Umstrittenes GKV-WSG

Schwimmt sogar in Milch

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"Schwimmt sogar in Milch" - dieser ehemalige Werbeslogan ist für die Gesundheitsreform wie gemacht: Ohne Substanz und ohne Wirkung. Die Frage, wie wir Gesundheit und Krankheit in Zukunft bezahlen, streifte die Koalition nämlich ebenso wenig wie die massiven strukturellen Probleme im Gesundheitswesen. Aber auch sonst gibt es viele Gründe, warum das GKV-WSG bei Medizinern wie Patienten überwiegend schlecht ankommt.

Was drauf steht, steckt nicht immer drin. Selten trifft eine banale Weisheit so ins Schwarze wie beim GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz. Das hat ohne Frage einen imposanten Namen, doch stärkt es den Wettbewerb ungefähr genauso wie ein Zitronenfalter Zitronen faltet. Was die Reform lösen sollte, nämlich die finanziellen und strukturellen Probleme im Gesundheitswesen, wurde gleichermaßen ausgespart wie der Generationenkonflikt oder die Versorgung im Kontext von demografischem Wandel und medizinischem Fortschritt. Der Blick aufs Kleingedruckte bestätigt die Zweifel:

Thema Kostenerstattung

Eigentlich wollte die Regierung dem Patienten die Wahl der Kostenerstattung erleichtern: Gesetzlich Versicherte sollten bei jeder einzelnen Behandlung flexibel zwischen Kostenerstattung und Abrechnung über die GKV wählen können, um Zugang zu Therapien zu haben, die die GKV nicht übernimmt.

State of the Art - für viele bleibt er außer Reichweite

Mit dem Reformgesetz ist dieser Weg versperrt: Künftig ist die Kostenerstattung nur für einzelne Sektoren - zum Beispiel en bloc für die Zahnbehandlung - vorgesehen. Die bisherige Belehrungspflicht durch die Kassen ersetzt eine Beratung des Behandlers vor jeder Therapie. Stimmt der Patient unter diesen Bedingungen dafür, ist er an seine Entscheidung ein Jahr gebunden. Die Möglichkeit, sich im Einzelfall pro oder kontra Kostenerstattung zu entschließen, entfällt. Innovative Therapien, die nicht im GKV-Leistungskatalog enthalten sind, liegen damit für den Kassenpatienten, der bei der Sachleistung bleibt, nach wie vor außer Reichweite.

Aber auch einem Großteil der Privatversicherten droht möglicherweise die Abkopplung vom medizinisch-technischen Fortschritt. Denn die Konditionen im Basistarif liegen unter denen der GKV - eine moderne zahnmedizinische Behandlung auf dem neuesten Stand der Wissenschaft ist damit nicht mehr zu garantieren.

Ausgedörrte PKV

Thema Basistarif

Am 1. 1. 2009 kommt der neue Basistarif in der PKV. Und es bleibt dabei: Er ist nur vom 1. Januar bis 30. Juni 2009 für freiwillige GKV-Mitglieder geöffnet. Wechseln dürfen innerhalb dieser Frist auch diejenigen, die erstmals über der Pflichtversicherungsgrenze liegen. Wer dagegen beihilfeberechtigt ist oder ab 2009 erstmals den Normaltarif der PKV abschließt, darf ohne zeitliche Begrenzung hinein. Kritiker fürchten, dass die PKV durch diese systemfremden Eingriffe ausgetrocknet wird. Das duale Kassen- und Versorgungssystem in Deutschland steht auf der Kippe.

Thema Altersrückstellungen

Was die Altersrückstellungen betrifft: Hier hat sich der Gesetzgeber die Kritik offenbar zu Herzen genommen. Altersrückstellungen sind nur dann übertragbar, wenn der Vertrag ab dem 1. Januar 2009 abgeschlossen wird. Wer dann seine Versicherung wechseln will, muss nachweisen, dass er einen neuen Versicherer gefunden hat - nur dann darf der alte die Kündigung akzeptieren.

Geplant war ursprünglich, dass der PKV-Standardtarif im neuen Basistarif aufgeht. Stattdessen bleiben nun beide Tarife nebeneinander bestehen. Ärzte, Zahnärzte und Krankenhäuser werden allerdings verpflichtet, die Versicherten in beiden Tarifen zu behandeln - maximal zum 1,8-fachen Gebührensatz der Ärzte beziehungsweise 2-fachen Gebührensatz der Zahnärzte. Eine gedeckelte GOZ macht der Zahnärzteschaft jedoch doppelt Sorge: Bislang ist es so, dass die GKV die Grundversorgung übernimmt, während Patienten alles, was darüber hinausgeht, aus eigener Tasche zahlen. Zum Beispiel besondere ästhetische Lösungen oder sehr komfortable Versorgungen. Damit fahren Patienten und Zahnärzte gleichermaßen gut, zudem begrenzt dieses Modell die Kosten im System. Wird die private Gebührenordnung ausgehebelt, zerbricht das Modell - goodbye Therapievielfalt, hello Verstaatlichung.

Eine GKV-isierung der PKV impliziert darüber hinaus, dass die GOZ immer mehr dem Bema angeglichen und damit vielen Praxen die betriebswirtschaftliche Grundlage entzogen wird.

Sicherstellungsauftrag

Im neu formulierten § 75 SGB V steht auch, dass der Sicherstellungsauftrag der KVen und KZVen auf Basis- und Standardtarif erweitert wird. Außerdem agiert die PKV als Verhandlungspartner von KBV und KZBV, um die Vergütungen für die Leistungserbringer im Standardtarif auszuhandeln. Sollten sich beide Seiten nicht einigen können, schaltet sich eine Schiedskommission, bestehend aus Vertretern von KBV, KZBV, PKV, Beihilfe, BMG, Finanzministerium und Neutralen ein. Dadurch, dass hier neuerdings der Staat mitmischt, kann von Waffengleichheit keine Rede mehr sein.

Das Gesetz sieht außerdem vor, dass KBV, KZBV und ihre Vertretungen auf Länderebene Dienstleistungsgesellschaften gründen dürfen, um bei Abschluss und Abwicklung von GKV-Verträgen, Fragen in punkto Datenschutz und -verarbeitung sowie der Übernahme von Verwaltungsaufgaben für Praxisnetze beratend zur Seite zu stehen.

Bedarfsplanung

Wie bereits in den Entwürfen zum GKV-WSG vorgesehen, bleibt das bisherige Bedarfsplanungsrecht grundsätzlich bestehen. Für die vertragszahnärztliche Versorgung sind keine Zulassungsbeschränkungen mehr vorgesehen - egal, ob eine Unter- oder Überversorgung besteht. Ist ein Gebiet unterversorgt, können lediglich Sicherstellungszuschläge vereinbart werden.

Vorgegaukelter Markt

Ab 2009 soll der Gesundheitsfonds den finanziellen Ausgleich der gesetzlichen Kassen steuern. Zu dieser Riesenbehörde, die das Gesundheitswesen mehr denn je verstaatlicht, kommt der feste GKV-Beitrag, der, statt Wettbewerb zu schaffen, sämtliche Marktanreize via Preis im Keim erstickt.

Wahltarife

Die gesetzlichen Krankenkassen erhalten künftig die Möglichkeit, für alle Versicherten Wahltarife einzuführen und damit Tarife mit Selbstbehalten, Beitragsrückerstattungen und -ermäßigungen anzubieten. Und zwar ohne Bindung an die Kostenerstattung. Je nach dem, ob der Versicherte bei speziellen Vorsorgeprogrammen mitmacht, wirkt sich diese Teilnahme günstig auf den Beitrag aus. Die Kassen können dann jährlich eine Prämie von bis zu 20 Prozent des Jahresbeitrags, maximal 600 Euro, zurückgeben. Die Kassen begrüßen die neuen Möglichkeiten, weil sie die GKV im Vergleich zur PKV attraktiver machen. Dagegen sehen viele Ärzte die Wahltarife kritisch: Sie befürchten, dass Patienten wegen des Selbstbehalts Krankheiten verschleppen.

Pflicht zur Krankenversicherung

Jede "Person mit Wohnsitz im Inland", so wörtlich, muss sich krankenversichern, und zwar mindestens für die ambulante und stationäre Behandlung. Der maximale Selbstbehalt darf höchstens 5 000 Euro betragen, bei Beihilfeberechtigten entspricht der Anteil dem Prozentsatz der privat abzudeckenden Krankheitskosten. Ausgenommen sind davon jene, die in der GKV "versichert oder versicherungspflichtig", heilfürsorge- oder beihilfeberechtigt sind oder Sozialhilfe beziehen. Wer also nicht unter die GKV, Beihilfe oder Heilfürsorge fällt, muss sich in zwei Jahren in der PKV versichern - ab 2009 gibt es in Deutschland somit eine Versicherungspflicht in der PKV.

Nichtversicherte, auch Beamte, die weder gesetzlich noch privat versichert sind, können ab dem 1. Juli 2007 in den Standardtarif gehen. Dieser wird 2009 in den Basistarif übergehen. Wer bereits im PKV-Standard versichert war, kann das mit Ausnahme der ehemals Nichtversicherten aber auch nach 2009 bleiben. Generell gelten für den Standard dieselben Aufnahmebedingungen, die eigentlich für die Basisstufe gedacht waren: keine Risikozuschläge, keine Ablehnung wegen Krankheit. Kritik an dieser Regelung war vor allem deshalb laut geworden, weil sie Missbrauch in Form von Versicherungshopping Tür und Tor öffnet. Diese Gefahr will man jetzt dadurch bannen, indem Nichtversicherte für jeden Monat, den sie verspätet in den Standardtarif eintreten wollen, einen einmaligen Prämienzuschlag zahlen müssen. Ob dieser Plan greift, wird sich in der Praxis zeigen. Dass viele Maßnahmen nicht die bestehenden Probleme beheben, sondern stattdessen neue verursachen, steht freilich heute schon fest.

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