Fortbildungsteil 2/2007

Aspekte der zahnärztlichen Behandlung von Patienten mit Malignomen

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In Deutschland erkranken jährlich mehr als 400 000 Menschen an einem Malignom [RKI, 2006]. Mit fast 5 000 Neuerkrankungen pro Jahr kommt dabei den malignen Tumoren im Bereich von Mundhöhle und Rachen, vor allem bei männlichen Individuen, ein erheblicher Anteil zu. Insgesamt ist eine steigende Zahl von Neuerkrankungen zu beobachten, die nicht alleine auf den wachsenden Altersdurchschnitt der deutschen Bevölkerung zurückgeführt wird, sondern auch auf verbesserte diagnostische Methoden [Barasch und Coke, 2007]. Zusammen sorgen alle Faktoren für einen wachsenden Bedarf von zahnärztlicher Versorgung bei Menschen, die aktuell oder zu einem früheren Zeitpunkt an einer malignen Erkrankung litten und sich einer onkologischen Therapie unterziehen mussten. Die Behandlung von malignen Erkrankungen stützt sich je nach Entität, Lokalisation und Ausdehnung des malignen Gewebes auf drei therapeutische Alternativen: die chirurgische Behandlung, die Strahlentherapie sowie den Einsatz von Medikamenten, unter anderem im Rahmen einer onkologischen Chemotherapie. Vor allem die Strahlen- und Chemotherapie können großen Einfluss auf die zahnärztliche Behandlung des Patienten ausüben. Die Nebenwirkungen der Strahlentherapie beschränken sich im Wesentlichen auf maligne Tumoren des Kopf-Hals-Bereichs [Shaw et al., 2000]. Im Gegensatz dazu verursachen zahlreiche in der onkologischen Therapie unverzichtbare Medikamente ausgeprägte systemische Nebenwirkungen, die auch für die zahnärztliche Therapie der betreffenden Patienten Konsequenzen nach sich ziehen [Barasch und Coke, 2007].

Strahlentherapie

Ist die Mundhöhle in das therapeutische Bestrahlungsvolumen einbezogen, stellen sich regelmäßig neben akuten Veränderungen an der Haut und Schleimhaut chronische Schädigungen der am Aufbau der Mundhöhle beteiligten Gewebekompartimente ein, insbesondere an den Zähnen, den Speicheldrüsen und den Kieferknochen [Sciubba und Goldenberg, 2006; Otmani, 2007] (Abbildung 1).

Orale Mukositis

Die orale Mukositis wird während einer onkologischen Therapie nicht nur durch die Bestrahlung, sondern auch durch die Behandlung mit antiproliferativen Medikamenten ausgelöst [Garfunkel, 2004; Wright et al., 2005]. Im Hinblick auf die weitgehenden pathogenetischen und klinischen Übereinstimmungen werden diese beiden Formen der oralen Mukositis von den meisten Autoren inzwischen jedoch als eine gemeinsame Entität zusammengefasst [Scully et al., 2006]. Die Prävalenz der oralen Mukositis wird in Abhängigkeit vom individuellen therapeutischen Regime mit Werten zwischen 37 Prozent und 100 Prozent angegeben [Filicko et al., 2003; Elting et al., 2003]. Die herausragende Bedeutung der oralen Mukositis für den Verlauf und Erfolg der onkologischen Therapie wird durch zwei Beobachtungen verdeutlicht: Zum einen verursachen die ulzerierenden intraoralen Schleimhautdefekte ein erhebliches Risiko für eine möglicherweise lebensgefährliche Septikämie [Donnelly et al., 1995]. Zum anderen geben bis zu 50 Prozent der Patienten unter einer myelo-ablativen Chemotherapie die orale Mukositis als die unangenehmste Nebenwirkung ihrer Behandlung an [Bellm et al., 2000]. Die orale Mukositis zeigt sich klinisch zunächst als Rötung, später durch Schwellungen und schließlich mit flächigen Ulzerationen der betroffenen Mundschleimhautareale [Vissink et al., 2003a] (Abbildung 2). Typischerweise manifestiert sich die orale Mukositis vor allem an der beweglichen, dagegen eher selten an Bereichen mit keratinisierter Schleimhaut, zum Beispiel der marginalen Gingiva oder dem Zungenrücken [Scully et al., 2006; Sonis et al., 2000]. Aus pathologischer Sicht stellen die Gewebeveränderungen während einer oralen Mukositis eine komplexe Wunde dar, die auf molekularer Ebene durch die Schädigung der DNS und die Freisetzung von Radikalverbindungen verursacht wird [Scully et al., 2006]. In der Prävention und Behandlung der oralen Mukositis kommt vor allem der systematischen häuslichen Mundhygiene, ergänzt durch regelmäßige zahnärztliche Vorsorgeuntersuchungen einschließlich der professionellen Zahnreinigung eine zentrale Rolle zu [McGuire et al., 2006]. Durch die kontinuierliche Entfernung der bakteriellen Zahnbeläge wird ein Wechsel der qualitativen und quantitativen Zusammensetzung der oralen Mikroflora von physiologischen zu pathologischen Verhältnissen verhindert [Folwaczny et al., 2002]. Da die Intensität der begleitenden Entzündungen einer Mukositis mit der Stärke der Besiedelung durch pathogene, gram-negative Bakterien korreliert, können durch einfache präventive Maßnahmen die klinischen Symptome der oralen Mukositis erheblich verringert werden [Rubenstein et al., 2004]. Zur Therapie der etablierten oralen Mukositis werden in der Literatur zahlreiche Ansätze diskutiert. Das Spektrum reicht von der einfachen Kühlung (sogenannte "Kryotherapie") [Cascinu et al., 1994; Mahood et al., 1991] über den chemischen Schutz der erkrankten Schleimhaut durch Aluminiumhydroxid (Sucralfat) [Castagna et al., 2001; Carter et al., 1999] bis zum topischen Einsatz antiseptischer und antibiotischer Wirkstoffe, wie Chlorhexidin, PVP-Iod, Tobramycin oder Amphotericin B [Cheng et al., 2003; El Sayed et al., 2002; Okuno et al., 1997; Wijers et al. 2001 (Abbildung 3). Der therapeutische Nutzen der meisten zur Verfügung stehenden Behandlungsmethoden ist bislang jedoch nur unzureichend belegt [Stokman et al., 2006]. Einige neuere Studien berichten, dass der rekombinante Wachstumsfaktor "human keratinocyte growth factor" (rhuKGF) (Palifermin) eine effektivere Behandlung der oralen Mukositis ermöglicht [Spielberger et al., 2004]. Der Einsatz von Wachstumsfaktoren zielt unter anderem auf die Verbesserung des regenerativen Potentials der oralen Mucosa [Crawford et al., 1999; Stokman et al., 2006]. Da möglicherweise gleichzeitig jedoch auch die Proliferationsfähigkeit des maligne erkrankten Gewebes gefördert wird, ist der Einsatz von Wachstums- und Differenzierungsfaktoren im Hinblick auf den Erfolg der onkologischen Therapie allerdings nicht unproblematisch [Vissink et al., 2003a].

Radiogene Karies

Obwohl schon vor über 80 Jahren erstmals beschrieben, wird die Ätiologie der Strahlenkaries auch heute noch kontrovers diskutiert [Gotthard, 1922]. Neben einer indirekten Schädigung der Zahnhartsubstanz unter anderem durch die begleitende radiogene Xerostomie [Vissink et al., 2003a], kommt als primärer Auslöser der strahlungsinduzierten Karies auch eine direkte radiogene Schädigung des Zahnhartgewebes in Betracht [Pioch und Mayer, 1997; Kielbassa et al., 2006]. Die im Strahlungsvolumen lokalisierten Abschnitte der Dentition zeigen sowohl am Schmelz und Dentin als auch am Zement direkte radiogene Veränderungen [Grötz et al., 1998]. Besonders starke Schädigungen erfährt dabei offenbar vor allem die Schmelz-Dentin-Grenze [Grötz et al., 1997]. Dennoch gelten die indirekten Strahlenwirkungen, die insbesondere durch den reduzierten Speichelfluss und eine veränderte Speichelzusammensetzung vermittelt werden, als wesentliche Auslöser der radiogenen Karies [Vissink et al., 2003b]. Durch die Radioxerostomie wird die physiologische Funktion des Speichels als Schutz- und Remineralisationsmedium gestört [Chambers et al., 2006]. Gleichzeitig können sich bei reduziertem Speichelfluss selektiv kariogene Bakterienspezies, beispielsweise a-hämolysierende Streptokokken oder Lactobacillus sp., vermehren und dadurch die Manifestation kariöser Defekte verstärken [Cowman et al., 1983; Keene et al., 1981]. Wegen der ausgeprägten Mundtrockenheit und der teilweise sehr schmerzhaften Schleimhautläsionen wird außerdem von vielen Patienten eine eher kariogene, breiige und süße Kost bevorzugt und die Intensität der häuslichen Mundhygiene reduziert [Kielbassa et al., 1997]. Klinisch spiegeln sich die radiogenen Veränderungen der Dentition zunächst als Überempfindlichkeit der Zähne gegen thermische und osmotische Reize wider [Toljanic et al., 1984]. Innerhalb von wenigen Monaten nach Beginn der Strahlentherapie kann sich eine massive kariöse Zerstörung des noch vorhandenen Zahnhartgewebes in der Mundhöhle einstellen (Abbildung 4). Im Allgemeinen werden drei Formen der radiogenen Karies unterschieden, die an verschiedenen Zähnen auch gleichzeitig auftreten können [Vissink et al., 2003b] (Abbildung 5). Da die therapeutische Bestrahlung gleichzeitig auch das Gewebe der Zahnpulpa schädigt [Knowles et al., 1986], werden auf Grund der fehlenden oder abgeschwächten Schmerzperzeption die radiogenen Zahndefekte von den betroffenen Patienten meistens erst sehr spät bemerkt [Kielbassa et al., 2006]. Den wichtigsten Punkt der Prävention von radiogenen kariösen Defekten bildet die tägliche Anwendung von fluoridhaltigen Gelen oder Lösungen [zur Übersicht: Folwaczny und Hickel, 2001]. Für die langfristige Wirksamkeit der Fluoridprophylaxe ist im Hinblick auf den irreversiblen Charakter der intraoralen Strahlenschäden die kontinuierliche und lebenslange Anwendung der Fluoridpräparate entscheidend. Wegen der erhöhten Löslichkeit des Schmelzmantels und der fehlenden Remineralisationsfunktion des Speichels sollte dabei einem Präparat mit neutralem pH-Wert der Vorzug gegeben werden [Jansma et al., 1989]. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Prävention der radiogenen Zerstörung der Zähne ist außerdem die konsequente restaurative Versorgung vorhandener kariöser Defekte [Hancock et al., 2003]. Grundsätzlich sollten zur Behandlung von kariösen Defekten bei Patienten vor und nach einer Strahlentherapie klinisch möglichst einfache restaurative Methoden, vor allem direkte Füllungstechniken, zur Anwendung kommen, die eine zuverlässige Behandlung von kariösen Hartsubstanzdefekten erwarten lassen [Shaw et al., 2000]. Komposite stellen dazu die Füllungsmaterialien der ersten Wahl dar [Gernhardt et al., 2001; Gernhardt et al., 2004]. Für sehr ausgedehnte kariöse Defekte sind in Abhängigkeit von der Phase der onkologischen Therapie gegensätzliche klinische Strategien heranzuziehen. Vor der Strahlentherapie sollte für Zähne mit einer fraglichen Erhaltungsprognose eher die Indikation zur Extraktion gestellt werden. Wegen des Risikos für die Manifestation einer Osteoradionekrose in bestrahlten Kieferbereichen ist umgekehrt nach dem Abschluss der Strahlentherapie auch für Zähne mit einer weit fortgeschrittenen Zerstörung der klinischen Krone die restaurative und gegebenenfalls endodontische Therapie vor einer Extraktion unbedingt vorzuziehen [Barasch et al., 2007; Shaw et al., 2000]. Für unvorhergesehene Extraktionen nach Beginn der Strahlentherapie öffnet sich durch die verzögerte Ausbildung des chronischen ossären Gewebeschadens unmittelbar nach der Bestrahlung noch für rund sechs Monate ein therapeutisches Fenster. In dieser Phase ist das Risiko für die Auslösung einer Osteoradionekrose vergleichsweise gering [Shaw et al., 2000; Vissink et al., 2003a].

Parodontium

Ähnlich wie die klinische Zahnkrone erfährt auch die Zahnwurzel einschließlich des parodontalen Zahnhalteapparates irreversible radiogene Veränderungen. Ultrastrukturell wurden die Folgen einer onkologischen Bestrahlung mit einer reduzierten Gefäßversorgung sowie einer Desorientierung und Verplumpung des kollagenen Anteils der desmodontalen Fasern beschrieben [Anneroth et al., 1985]. Radiologisch zeigt sich an bestrahlten Zähnen eine deutliche Erweiterung des gesamten Parodontalspaltes [Fujita et al., 1986]. Als Folge dieser Veränderungen wurde ein reduziertes lokales immunologisches Abwehrvermögen des parodontalen Gewebes postuliert [Markitziu et al., 1981, Leung et al., 1998]. Diese Beobachtung erscheint insbesondere vor dem Hintergrund problematisch, wonach chronische Infektionen des marginalen Parodontiums als wichtige ätiologische Ursache für eine Osteoradionekrose gelten. Aus diesem Grund sollte eine parodontale Infektion sowohl vor als auch nach einer Strahlentherapie systematisch behandelt werden [AAP, 1997].

Xerostomie

Die paarigen großen Speicheldrüsen, Gl. submandibularis, lingualis und parotis, produzieren rund 90 Prozent der Gesamtspeichelmenge [Seikaly et al., 2001]. Liegen die großen Speicheldrüsen ganz oder teilweise im Bestrahlungsvolumen, kommt es bereits bei kleineren Strahlungsdosen von wenigen Gray (Gy) zu ausgeprägten Schädigungen des Drüsenparenchyms [Eisbruch et al., 2001; Konings et al., 2005]. Die Strahlenschäden führen nicht nur zu einer deutlichen Abnahme der Produktion, sondern gleichzeitig auch zu einer veränderten Zusammensetzung der anorganischen und organischen Anteile des Speichels [Reddy et al., 2001]. Daraus resultiert eine Reduktion der Pufferkapazität des Speichels sowie eine unphysiologische Zunahme der mikrobiellen Proliferation. Ab einer kritischen Grenzdosis von rund 30 Gy sind die Schädigungen der großen Speicheldrüsen so ausgedehnt, dass die Speichelproduktion um etwa 50 Prozent sinkt [Chambers et al., 2004] woraus sich klinisch eine Xerostomie entwickelt [Eisbruch et al., 2001]. Die radiogene Xerostomie tritt bei der strahlentherapeutischen Behandlung von Tumoren der Kopf-Hals-Region mit einer Prävalenz zwischen 94 und 100 Prozent auf [Sciubba und Goldenberg, 2006]. Als wirksamste Methode zur Prävention der radiogenen Xerostomie gilt die Anwendung von modernen dreidimensionalen Bestrahlungstechniken, zum Beispiel der intensitätsmodulierten Radiotherapie (IMRT). Mit deren Hilfe kann die Strahlenbelastung der großen Speicheldrüsen bei gleicher therapeutischer Dosis deutlich - auf Werte von weniger als 20 Gy - gesenkt werden [Vissink et al., 2003b; Saarilahti et al., 2005]. Die klinische Effektivität von pharmakologischen Methoden zum Schutz der Speicheldrüsen vor den Nebenwirkungen der Strahlentherapie, beispielsweise des organischen Thiophosphats Amifostin, konnte demgegenüber bislang noch nicht eindeutig belegt werden [Wasserman et al., 2005; Buentzel et al., 2006]. Zudem scheint dieser Wirkstoff bei systemischer Anwendung erhebliche eigene Nebenwirkungen zu induzieren [Rades et al., 2004] und das Tumorgewebe vor den therapeutischen Strahlungswirkungen zu schützen [De Castro und Federico, 2006]. Zur Behandlung der radiogenen Xerostomie stehen grundsätzlich zwei Strategien zur Verfügung. Einerseits kann mithilfe von gustatorischen, mechanischen oder pharmakologischen Stimulanzien der Speichelfluss angeregt werden. Dies setzt jedoch voraus, dass noch eine Restkapazität für die Speichelproduktion vorhanden ist. Zum anderen kommt die Anwendung von Speichelersatzlösungen oder Spüllösungen in Frage, die neben der einfachen Befeuchtung der trockenen Mundhöhle zusätzlich auch eine remineralisierende Funktion übernehmen können [Regelink et al., 1998]. Die klinische Wertigkeit sowohl der Speichelstimulantien als auch der Speichelersatzlösungen ist im Hinblick auf ihre schlechte Wirksamkeit allerdings als eher gering einzuschätzen [Vissink et al., 2003a].

Osteoradionekrose

Im Knochengewebe von Ober- und Unterkiefer verursacht die therapeutische Tumorbestrahlung nach dem allgemein anerkannten pathogenetischen Modell von Marx et al. [Marx, 1983] vor allem die Manifestation eines chronisch hypoxischen, hypozellulären und hypovaskularisierten Gewebedefekts. Neuere Untersuchungen haben außerdem gezeigt, dass schon in frühen Bestrahlungsphasen und somit bei niedrigeren Strahlungsdosen eine deutliche Verringerung der Dichte an Osteozyten festzustellen ist. Aus dieser resultiert eine Reduktion der physiologischen Erneuerung des bestrahlten Knochengewebes [Grötz et al., 1999]. Eine schwerwiegende klinische Folge der radiogenen Schädigung des Knochengewebes ist die Manifestation einer Osteoradionekrose. Die Prävalenz dieser Nebenwirkung wurde noch vor wenigen Jahren mit bis zu 20 Prozent angegeben, scheint jedoch inzwischen auf Grund verbesserter präventiver Strategien auf Werte von rund fünf Prozent gesunken zu sein [Studer et al., 2004]. In der Regel tritt eine Osteoradionekrose erst ab einer Gesamtbestrahlungsdosis von mehr als 60 Gy auf [Schwartz und Kagan, 2002]. Insgesamt ist dabei mit einem Anteil von 80 bis 90 Prozent in der überwiegenden Zahl der Fälle die Mandibula betroffen [Grötz et al., 1999]. Da das Risiko für eine Osteoradionekrose nach einer Strahlentherapie stark zunimmt [Epstein et al., 1987a; Epstein et al., 1987b], sollten vor Beginn der Bestrahlung alle Zähne mit einer eingeschränkten langfristigen Erhaltungsprognose entfernt werden [Thorn et al., 2000; Schiodt und Hermund, 2002] (Abbildung 6). Eine fragliche Erhaltungsprognose wird von den meisten Autoren unter anderem durch eine fortgeschrittene kariöse Zerstörung der Zahnkrone mit endodontaler Beteiligung, eine periapikale Parodontitis sowie durch fortgeschrittene marginale parodontale Gewebeverluste definiert [Schiodt und Hermund, 2002]. Einschränkend haben einige neuere Studien den klinischen Wert umfangreicherer zahnärztlich-chirurgischer Sanierungen der Mundhöhle vor einer onkologischen Strahlentherapie in Frage gestellt [Chang et al., 2007]. Nach einer chirurgischen Sanierung sollte eine mindestens zehntägige, falls mit der Planung der onkologischen Therapie vereinbar, besser eine 21-tägige Heilungsperiode eingehalten werden [Tong et al., 1999]. Nach der Strahlentherapie wird grundsätzlich der Erhaltung von erkrankten Zähnen der Vorzug vor einer Entfernung gegeben [Shaw et al., 2000].

Pharmakologische Therapie

Chemotherapie

Da sich die onkologische Chemotherapie ebenso wie die Strahlentherapie unspezifisch gegen stark proliferierende Zellen des Organismus richtet, tritt auch unter der zytostatischen Chemotherapie in den meisten Fällen eine orale Mukositis auf [Sonis, 2004]. Als besonders stomatotoxisch haben sich die Wirkstoffe Methotrexat, 5-Fluoruracil, Cisplatin, Etoposid, Melphalan, Doxorubicin, Vinblastin und die Taxane erwiesen [Symonds, 1998]. Eine zytostatische Chemotherapie verursacht meistens auch eine ausgeprägte Myelosuppression. Aus der Abnahme der Leukozytenzahl, insbesondere der Zahl neutrophiler Granulozyten, ergibt sich eine erhöhte orale Infektionsneigung [Raber-Durlacher et al., 2002]. Die als Teil der generalisierten Myelosuppression außerdem zu beobachtende Thrombozytopenie tritt in der Mundhöhle unter anderem in Form von petechialen und ecchymalen submukösen Blutungsherden in Erscheinung [Ferguson et al., 1978]. Die begleitende Schädigung der Mucosa des Gastrointestinaltraktes erhöht durch eine verringerte Resorption von fettlöslichen Vitaminen und der folgenden Synthesestörung der Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsfaktoren des Prothrombinkomplexes die Blutungsneigung zusätzlich. Klinisch muss die erhöhte Infektions- und Blutungsneigung während einer Chemotherapie vor allem im Zusammenhang mit der Mundpflege sowie bei einer invasiven zahnärztlichen Therapie beachtet werden, da durch beide Blutungen und Bakteriämien verursacht werden können [Lockhart und Durak, 1999]. Sowohl für die Mundhygiene als auch für invasive Behandlungsmethoden wird für die neutrophilen Granulozyten der kritische Grenzwert mit 1000 Zellen/ml angegeben [AAP, 1997; Williford et al., 1989]. Sind weniger neutrophile Granulozyten vorhanden, ist die prophylaktische Gabe eines Antibiotikums notwendig [AAP, 1997]. Für die Thrombozyten wurde für invasive zahnärztliche Behandlungen eine minimale Anzahl von 50 000 Zellen/ml und für die mechanische Mundhygiene wenigstens eine Konzentration von 20 000 Zellen/ml gefordert [Seto et al., 1985; Peterson et al., 1992]. Eine zu geringe Thrombozytenzahl sollte vor der Behandlung durch die Gabe eines Thrombozytenkonzentrats angehoben werden [De Paola et al., 1986]. Ist aufgrund einer zu starken Leuko- und Thrombozytopenie keine mechanische Mundhygiene mehr möglich, kann als Ersatz eine plaquehemmende Spüllösung, zum Beispiel Chlorhexidin, zur Anwendung kommen. In der Regel hinterlässt eine zytostatische Chemotherapie keine irreversiblen Schädigungen des oralen Gewebes. Einschränkend induziert eine zytostatische Chemotherapie im gesamten Körper ein erhöhtes Risiko für die Manifestation von sekundären malignen Erkrankungen, einschließlich Malignomen der Mundhöhle [Curtis et al., 1997; Forrest et al., 2003]. Im Rahmen der regelmäßigen zahnärztlichen Kontrolluntersuchungen sollte deshalb besonderer Wert auf die Kontrolle der intra- und perioralen Gewebe hinsichtlich maligner Veränderungen gelegt werden.

Bisphosphonate

Zur Reduktion des Risikos von skelettalen Metastasen sowie zur Prävention einer tumorbedingten Hyperkalzämie werden seit mehreren Jahren verschiedene Wirkstoffe aus der Gruppe der Bisphosphonate eingesetzt [Santini et al., 2003; Hillner et al., 2003; Berenson et al., 2002]. Im Vergleich zur Behandlung der Osteoporose wird in der onkologischen Therapie eine erheblich stärkere Wirkung der Bisphosphonate angestrebt. Dies wird unter anderem durch die Verwendung von Bisphosphonaten der sogenannten zweiten Generation erreicht, die sich durch eine sehr hohe biologische Effektivität auszeichnen [Woo et al., 2006; Farrugia et al., 2006]. Vor allem zwei dieser Wirkstoffe, Pamidronat und Zoledronat, scheinen mit einer Prävalenz zwischen 4 bis 10 Prozent die Manifestation von Nekrosen der Kieferknochen zu begünstigen [Durie et al., 2005; Tänzer et al., 2005]. Das klinische Erscheinungsbild der Bisphosphonat-assoziierten Knochennekrose ist in einigen Aspekten mit den Symptomen einer Osteoradionekrose vergleichbar [Gutta und Louis, 2007]. Ähnlich wie die Osteoradionekrose tritt die Bisphosphonat-assoziierte Kiefernekrose meist als Folge eines iatrogen gesetzten Traumas auf, zum Beispiel nach einer Zahnextraktion oder einer chirurgischen Therapie [Marx et al., 2005]. Außerdem scheinen auch marginal-parodontale Infektionen eine ätiologisch wichtige Rolle zu spielen. Die Bisphosphonat-assoziierte Kiefernekrose ist einer Behandlung meistens nur sehr unzureichend zugänglich [Abu-Id et al., 2006]. Deshalb wird inzwischen für alle Patienten vor einer onkologischen Bisphosphonattherapie eine vollständige oro-dentale Sanierung empfohlen [Ruggerio et al., 2004; Weitzman et al., 2007]. Nicht zuletzt wegen der klinischen Ähnlichkeiten mit der Osteoradionekrose orientiert sich die therapeutische Strategie dabei an den Kriterien für Patienten vor und nach einer Strahlentherapie des Kopf-Hals-Bereichs [Hellstein und Marek, 2005].

Priv.-Doz. Dr. med. Dr. med. dent. Matthias FolwacznyPoliklinik für Zahnerhaltung und ParodontologieLudwig-Maximilians-UniversitätGoethestr. 7080336 München

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