Die Arzneimittelkommission (AKZ) der BZÄK/KZBV informiert

Erhöhtes Frakturrisiko bei Patienten unter Therapie mit Glitazonen

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Nachdem das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im Mai 2007 bereits darauf aufmerksam gemacht hat, dass unter Behandlung mit den als orale Antidiabetika eingesetzten Glitazonen (PPAR-Agonisten) in Studien bei Frauen eine signifikant erhöhte Rate von Knochenfrakturen festgestellt wurde, mehren sich die Hinweise, dass Thiazolidindione als Wirkstoffklasse unerwünschte Wirkungen auf das menschliche Skelett ausüben. Die Produktinformationen aller rosiglitazon- und pioglitazonhaltigen Arzneimittel wurden inzwischen um einen entsprechenden zusätzlichen Warnhinweis ergänzt. Da die Anzahl der Patienten mit Typ-2-Diabetes auch in den Zahnarztpraxen zunehmend ansteigt, weist die Arzneimittelkommission der Bundeszahnärztekammer (AKZ) hiermit auch alle Zahnärzte auf mögliche ossäre Komplikationen unter Dauerbehandlung mit Glitazonen hin.

Zur Wirkstoffklasse der Thiazolidindione – auch Glitazone genannt – gehören Troglitazon, Rosiglitazon und Pioglitazon.

Troglitazon wurde aufgrund erhöhter Lebertoxizität wieder vom Markt genommen. Glitazone sind Liganden am intrazellulären Rezeptorkomplex PPARã. Die Bindung an diesen Rezeptorkomplex bewirkt vor allem in der Leber eine verstärkte insulinabhängige Genexpression des PPARã-Rezeptors. Weiterhin werden eine Steigerung des Glukoseeintritts in die Zellen durch Erhöhung der Expression und Translokation der Glukosetransporter GLUT 1 und GLUT 4 und bei glukoseinduzierter Insulinresistenz mit Aktivierung der Proteinkinase C (PKC) eine Hemmung der PKC-abhängigen Phosphorylierung der â-Untereinheit des Insulinrezeptors als Wirkmechanismen angenommen. In der Folge verringern Glitazone die Insulinresistenz im Fettgewebe, an der Skelettmuskulatur und in der Leber. Die hepatische Glukoseproduktion wird verringert und die periphere Glukoseverwertung bei Insulinresistenz gesteigert.

Studienergebnisse

In der an insgesamt 4 360 neu diagnostizierten Diabetikern durchgeführten und erst kürzlich publizierten ADOPT-Studie (A Diabetes Outcome and Progression Trial) wurden Patienten entweder mit Rosiglitazon, Metformin oder Glyburid behandelt [1]. Die Frakturrate war nur bei weiblichen Patienten erhöht und betrug für Rosiglitazon 9,3 Prozent, für Metformin 5,1 Prozent und für Glyburid 3,5 Prozent. Frakturen wurden am häufigsten im Bereich der unteren Extremitäten registriert und betrugen bei den Frauen 5,6 Prozent für Rosiglitazon, 3,1 Prozent für Metformin und 1,3 Prozent für Glyburid. Frakturen der oberen Extremität wurden bei 3.4 Prozent der Frauen in der Rosiglitazongruppe, 1,7 Prozent der Frauen in der Metformingruppe und bei 1,5 Prozent der Frauen in der Glyburidgruppe registriert. Eine Fraktur der Wirbelsäule trat in allen drei Behandlungsgruppen nur bei jeweils einer Frau auf. In der mit Pioglitazon durchgeführten PROactive-Studie (PROspective pioglitazone clinical trial in macro vascular events) erlitten 5,1 Prozent der Frauen unter Pioglitazon im Vergleich zu 2,5 Prozent im Placeboarm eine Fraktur [2].

Erhöhte Knochenfragilität

Epidemiologische Studien zeigen, dass die Knochenfragilität auch ohne Behandlung mit einem Glitazon bei Typ-2-Diabetikern erhöht ist [3]. In diesen Studien zeigte sich bei Typ-2-Diabetikern ein erhöhtes Frakturrisiko für die Hüfte, den proximalen Oberschenkel und die Füße ohne klare Evidenz für ein erhöhtes Frakturrisiko im Bereich der Wirbelsäule. Aus diesen Untersuchungen wurde gefolgert, dass ein Typ-2-Diabetes mit einem erhöhten Frakturrisiko assoziiert ist, welches kausal hauptsächlich einer Kombination aus den Risikofaktoren erhöhtes Fallrisiko, regionale Osteopenie und einer beeinträchtigten Knochenqualität zuzuschreiben ist [4].

Tierexperimentelle Daten ließen vermuten, dass die Aktivierung des PPARã-Rezeptorkomplexes neben den bereits geschilderten erwünschten hypoglykämischen Effekten mit nachteiligen Effekten auf das Skelettsystem assoziiert ist, zum Beispiel einer Beeinträchtigung des Knochenaufbaus und einer Umdifferenzierung pluripotenter Knochenmarkstammzellen aus der osteoblastischen Abstammungslinie hin zur Adipozyten-Abstammungslinie. Im vergangenen Jahr wurde eine Reihe klinischer Studien publiziert, welche belegen, dass Glitazone in üblichen verschriebenen Dosierungen klinisch signifikante unerwünschte Wirkungen auf das humane Skelettsystem ausüben (1,5 bis 8). Beim Menschen werden die nachteiligen Effekte der Glitazone auf das Knochenskelett einer verstärkten Neigung zur Knochenmarksverfettung, einer reduzierten Osteoblastenaktivität beziehungsweise einer reduzierten Aromataseaktivität zugeschrieben, die zu einer veränderten Östrogenproduktion und einer erhöhten Knochenresorption führt. Bisher wurde eine erhöhte Frakturrate nur bei Frauen beobachtet. In einer erst kürzlich publizierten Arbeit wird jedoch der Verdacht geäußert, dass eine Therapie mit Glitazonen auch bei Männern zu einer Abnahme der Knochendichte beitragen könnte [8]. Es ist jedoch unstrittig, dass nach der derzeitigen Datenlage ältere postmenopausale Frauen das größte Risiko aufweisen, unter Glitazontherapie eine Fraktur zu erleiden. Obwohl der Mechanismus des Glitazon-induzierten Knochensubstanzverlustes sehr wahrscheinlich durch einen inhibitorischen Effekt auf den Knochenaufbau verursacht wird, ist es möglich, dass eine Behandlung mit Bisphosphonaten oder Östrogen diesen unerwünschten Glitazoneffekt therapeutisch günstig beeinflussen könnte. Vor einer endgültigen Beurteilung müssen jedoch die Ergebnisse weiterer Studien abgewartet werden.

Resümee

Glitazone sind orale Antidiabetika, die zur Blutzuckerkontrolle bei der Behandlung des Typ-2-Diabetes eingesetzt werden. Sowohl die mit Rosiglitazon durchgeführte ADOPTStudie als auch die mit Pioglitazon durchgeführte PROactive-Studie haben für Frauen ein erhöhtes Risiko gezeigt, Knochenfrakturen zu erleiden. Für Männer zeigte sich in diesen beiden großen Studien hingegen kein erhöhtes Frakturrisiko. Obwohl bisher keine Berichte über ossäre Frakturen unter Glitazonbehandlung im Zahn-, Mund- und Kieferbereich vorliegen, sollten auch Zahnärzte über das mögliche Spektrum unerwünschter Wirkungen von Glitazonen informiert sein. Entsprechende Verdachtsmeldungen aus dem Bereich der zahnärztlichen Praxis sollten direkt an die Arzneimittelkommission der Bundeszahnärztekammer gerichtet werden.

Dr. med. Christoph SchindlerProf. Dr. med. Dr. med. dent. Wilhelm KirchInstitut für Klinische PharmakologieTechnische Universität DresdenFiedlerstraße 2701307 Dresdenchristoph.schindler@tu-dresden.de

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