Moulagen

Krankheitsbilder in Wachs

Eine Moulage – was ist denn das? Bevor es die Farbfotografie gab, waren Wachsabdrücke die einzige Möglichkeit, um pathologische Veränderungen beim Menschen naturgetreu und in Farbe zu demonstrieren. Sie dienten vor allem als Anschauungsmaterial im Studium – wie ein Blick in die Medizingeschichte zeigt.

So mancher Arzt oder Zahnarzt mag vielleicht schon einmal eine Moulage gesehen haben – sei es in einem Museum oder vielleicht als Anschauungsmaterial während des Studiums. Im eigentlichen Wortsinn des Französischen bedeutet Moulage: Abdruck oder Abformen. Bevor es die Farbfotografie gab, waren Moulagen die einzige Möglichkeit, um pathologische Veränderungen beim Menschen naturgetreu in Farbe zu zeigen. Diese Abdrücke waren vor allem als Anschauungsmaterial bei der medizinischen Ausbildung in der Dermatologie oder Venerologie hilfreich.

Die Wachsgebilde boten den Vorteil, die Krankheitssymptome in 3D und besonders detailgetreu darzustellen. Neben vielen Hautkrankheiten wurden oft die Krankheitsbilder von Syphilis und Gonorrhö oder Tuberkulose dargestellt. Chirurgische Abdrücke waren dagegen eher selten. Es wurden auch Moulagen von Erkrankungen im Mund-Kieferbereich hergestellt. Die Geschichte der Moulagen reicht weit zurück. Schon im 17. und 18. Jahrhundert wurden anatomische Modelle aus Wachs hergestellt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden erste Abdrücke von Hauterkrankungen gefertigt. Als im Jahre 1889 in Paris im Hôpital St. Louis der erste Kongress für Dermatologie und Syphiligraphie stattfand, führte dieser zu einem verstärkten Interesse an Moulagen. Die medizinische Fachwelt war von den Moulagen des Mouleurs Jules Barettas (1834-1923) so begeistert, dass jede Klinik den Ehrgeiz entwickelte, eine eigene Kollektion wächserner Anschauungsmodelle zu besitzen.

Durch Fotografie ersetzt

Mitte des 20. Jahrhunderts wurden die Wachsgebilde durch die Farbfotografie, Dias und Filme weitgehend ersetzt. Aus dem Hörsaal sind sie heutzutage verschwunden. Aber ab und zu kommen Studierende immer noch damit in Berührung. Im Rahmen von Seminaren werden Studenten zum Beispiel an der Hautklinik des Universitätsklinikums Münster oder am Universitätsspital und der Universität Zürich mit den Wachsabdrücken vergangener Tage bekannt gemacht. Seit Mitte der 1980er-Jahre sind Moulagen-Sammlungen auch wieder auf Kongressen von Dermatologen zu sehen, so zum Beispiel beim Dermatologen-Weltkongress 1987 in Berlin.

Erstaunlich ist oft, wie echt die Abdrücke wirken. Genau dies ist die Faszination, die von den Wachsmodellen ausgeht und erklärt, warum sie so gut als Lehrmaterial für Studierende geeignet waren. Die Echtheit ist auch nicht verwunderlich, denn sie entstehen am lebenden Individuum. Vom Patienten wird zunächst ein Gipsabdruck abgenommen und dieser anschließend in Wachs gegossen. Danach muss der Patient weiter Modell sitzen, um eine originalgetreue Farbgebung der Wachsform zu erzielen. Und die wirklichkeitsgetreue farbliche Wiedergabe ist auch das Schwierigste an der Herstellung von Moulagen. Die Wachsformen werden mit Ölfarben bemalt. An der Moulagenwerkstatt in Zürich kamen nur die Grundfarben Rot, Blau, Gelb und Braun zur Anwendung.

Mouleure fast ausgestorben

Der Beruf des Mouleurs ist inzwischen fast ausgestorben. Ende der 1990er-Jahre stellte Elsbeth Stoiber in Zürich ihre Arbeit ein. Lange Jahre hat Elfriede Walther die Moulagenwerkstatt des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden geleitet. An der Charité in Berlin hat eine ambitionierte Mitarbeiterin wieder damit begonnen, Wachsabdrücke herzustellen. Allerdings nicht an lebenden Individuen, sondern an Leichen.

Wenn ein Arzt eine pathologische Veränderung bei einem Patienten einer Moulage für „würdig” befunden hatte, begann der Mouleur mit der Arbeit. Über das genaue Vorgehen berichtete die Mouleurin Elfriede Walther 2006 Gabriele Goettle für die taz Berlin sehr anschaulich (aus: taz, die Tageszeitung, 27.2.2006):

„Dann gieße ich die erste Schicht Gips ganz dünn auf – das bringt später eine feine Zeichnung aller Details –, während es etwas anzieht, überlege ich mir, wo ich die Trennungslinien anlege, damit ich später die Form gut abkriege. Dann kommt auf diese erste, etwa zwei bis drei Millimeter dicke Schicht eine zweite, etwa eineinhalb Zentimeter dicke Schicht Gips, und da baue ich gleich meine zwei Fäden ein, mit denen ich dann die Trennungsfuge herstelle. Und nun muss ich genau den Zeitpunkt abpassen, um die Fäden zu ziehen, bevor der Gips zu fest wird. Nun warte ich auf das Abbinden des Gipses, was an seiner Erwärmung zu spüren ist. Um sicherzugehen, schütte ich ein wenig Wasser drauf, und wenn der Patient dann sagt, es kribbelt, dann ist der Gips abgebunden. Das sind alles Erfahrungssachen. Ja, und dann kommt der Moment der Wahrheit, ich nehme den Gips ab, schau, ob alles gut abgeformt ist, und setze dann die Form sofort wieder zusammen und fixiere sie mit 'Gipsschließen', damit sie sich nicht verzieht. Ich mache den Patienten wieder sauber, und meine Gerätschaften, nehme meine Beute unter den Arm und gehe in die Werkstatt.” Als nächster Schritt wird die Gipsform mit einem speziellen Wachs ausgegossen. Ist das Wachs ausreichend abgekühlt, wird die Moulage aus der Form genommen.

Zur weiteren Prozedur beschreibt Elfriede Walther: „Wenn alles gut ging, gibt’s keine Luftbläschen und nichts zu retuschieren, ich muss ihm also nur noch Leben einhauchen. Und nun gehe ich mit meinem Modell, mit Palette, Ölfarben, Terpentin und meinem Fehund Rindshaarpinsel ins Krankenhaus zur Patientin und male dann nach dem lebenden Vorbild sozusagen. Ich fange mit einem rötlichen Ton an, dann gehe ich noch mal mit einem bläulichen leicht drüber – zart und tupfend, damit die Poren und Hautfältchen nicht zerstört werden – bis ich die Hautfarbe der Patientin getroffen habe. Und was beim Malen der Wunde sehr wichtig ist, ist eben nicht nur die Wunde selbst, sondern die Übergänge von der Wunde in die normale Haut. Zuletzt werden dann noch, je nach Krankheitsbild, Schuppen aus Wachs, Eiter aus einer gefärbten Wachs-Dammarlack-Mischung, Blasen aus Harz oder nässende Stellen mit Lack vorgetäuscht. Am Ende jedenfalls muss die Moulage aussehen wie ihr Vorbild. Die meisten Patienten waren sehr überrascht, viele waren geradezu stolz. Nun wird die Moulage dem Arzt vorgelegt, der sie empfohlen hat. Er macht die Endabnahme, er gibt ihr sozusagen die wissenschaftliche Weihe. Danach geht sie ein ins Archiv, mit Nummer und allen Karteivermerken.”

Heute eine Renaissance

In jüngster Zeit erleben die Moulagen-Sammlungen eine Renaissance. Verstärkt werden sie wieder von der Medizingeschichte wahrgenommen. Vielleicht werden sie in Zukunft auch wieder vermehrt den Weg in Seminare finden, so zum Beispiel die Meinung eines Hautarztes. Denn viele pathologische Veränderungen, beispielsweise eine Syphilis im Endstadium, kann den heutigen Studenten nicht mehr am lebenden Patienten gezeigt werden. Und das alte Foto- und Filmmaterial ist nach Jahrzehnten kaum noch zu gebrauchen. Da wären gut erhaltene Moulagen eine willkommene Alternative.

Die wenigen noch erhaltenen Sammlungen haben ihren Platz in den Kisten der Depots verlassen. In Münster können sie von den Studenten in Vitrinen betrachtet werden. An der Hautklinik der Universität Erlangen wurden sie in einer eigenen Ausstellung gezeigt. Interessierten Besuchern ist die Sammlung nach Voranmeldung auch weiterhin zugänglich. Am 26. Oktober 2007 wurde die Erweiterung des Medizinisch Historischen Museums der Charité in Berlin der Öffentlichkeit präsentiert. Die Dauerausstellung zeigt nun auch eine Reihe von Moulagen.

Aktuell wird im Städtischen Museum Göttingen die Ausstellung „Wachs-Bild-Körper, Moulagen in der Medizin” gezeigt, die die Kollektion von Moulagen der Göttinger Hautklinik in neuer Konzeption zeigt. In Göttingen entstand die Sammlung in der 1917 gegründeten Poliklinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten. Sie wird heute im Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Georg-August-Universität in Göttingen aufbewahrt. Sie umfasst etwa 80 Objekte, die in den 1920erund 1930er-Jahren entstanden und meist in gutem Zustand sind. Neben den Göttinger Moulagen sind auch Leihgaben aus anderen bedeutenden Sammlungen zu sehen.

Im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden werden in der Ausstellungseinheit „Der Gläserne Mensch” Wachsabdrücke gezeigt. Im DHM war 1912 das Pathoplastische Institut für Moulagen-Herstellung aufgegangen. Das Institut war von dem „Odol”-Fabrikanten Karl August Lingner (1861-1916) zur Vorbereitung der I. Internationalen Hygiene-Ausstellung, die im Jahre 1911 in Dresden stattfand, gefördert worden. Der erste Leiter des Institutes war der berühmte Mouleur Fritz Kolbow (1873-1946). In Dresden existierten auch private Sammlungen. Der Dresdener Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten, Eugen Emanuel Galewsky (1864-1935) hatte bei seinen Studienreisen in Wien und Paris die Bedeutung von Moulagen kennen gelernt, was ihn bewog, eine eigene Sammlung aufzubauen. Er ermutigte auch den Dresdener Kinderarzt Arthur Schloßmann (1867-1932) für seine Kinderklinik Moulagen anfertigen zu lassen.

In Zürich existiert seit 1993 ein eigenes Museum der Universität und des Universitätsspitals, in dem etwa 600 der über 1800 Moulagen den Besuchern zugänglich sind. Die gezeigte Sammlung geht auf die Initiative von Professor Bruno Bloch (1878-1933) zurück. Als Direktor der Dermatologischen Klinik Zürich hatte er zu Beginn des letzten Jahrhunderts Gelder für die Herstellung von Wachsmodellen gefordert. „Eine dermatologische Klinik ohne eigene Moulagensammlung und ohne die Möglichkeit, die in ihr vorkommenden, praktisch oder theoretisch wichtigen Fälle moulagieren zu lassen, ist nicht vollständig”, war seine Auffassung. Die Mouleurin Lotte Volger (1883-1956), die bei Fritz Kolbow gelernt hatte, verhalf der Klinik zu einer umfangreichen Sammlung. Im Laufe der Jahre wurde die Kollektion immer mehr erweitert. Im heutigen Museum werden auch chirurgische Stücke präsentiert, die ab 1919 von dem Mouleur Adolf Fleischmann (1892-1942) gefertigt wurden.

In Deutschland existieren unter anderen noch Sammlungen in Bonn, Frankfurt am Main, Freiburg, Hamburg-Eppendorf, Kiel, München, Würzburg und Tübingen. Früher gab es noch viel mehr Moulagen-Sammlungen, sie wurden aber durch Krieg, falsche Lagerung oder schlichtes Desinteresse vernichtet. Für den Interessierten sind die großen Sammlungen von Moulagen in Paris, im Musée Baretta, oder in Wien, im Pathologisch-Anatomischen Bundesmuseum, zu empfehlen.

Kay LutzeLievenstraße 1340724 Hildenkaylutze@ish.de

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