39. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie

Funktionsdiagnostik von Morgen: Hightech für den korrekten Biss

Heftarchiv Zahnmedizin
Zu den Gebieten der Zahnheilkunde, die seit Jahren zunehmend an Bedeutung gewinnen, gehört neben der Implantologie und der Endodontie die Funktionsdiagnostik und -therapie. Dies spiegelt sich in einer Aufwertung der ehemaligen Arbeitsgemeinschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie wider. In Anbetracht der ständig zunehmenden klinischen Bedeutung wie auch der Mitgliederzahlen hat daher die DGZMK einer Umwandlung ihrer Tochter zur „Deutschen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGFDT)“ zugestimmt, berichtete Prof. Dr. Wolfgang B. Freesmeyer, nunmehr Präsident der Fachgesellschaft, auf der Jahrestagung 2006 in Bad Homburg.

Das Generalthema der Tagung war dieses Jahr die „Okklusion unter biomorphologischen Gesichtspunkten: Gestaltung versus Berechnung“. Beinahe 40 Hauptvorträge, Vorträge, Praxisseminare und Poster bildeten einen inhaltlichen Rahmen, der so umfangreich war wie noch nie. Die Tagung war dabei erstmals in vier große Themenbereiche aufgeteilt:

• Okklusion

• Klinisch Studien

• Praxisforum

• Neue Technologien.

Rund um die Okklusion

Prof. Dr. Rudolf Slavicek, Donau-Universität Krems, berichtete von der gegenseitigen Abhängigkeit der ontogenetischen Entwicklung der Zähne einerseits und ihrer okklusalen Gestaltung andererseits. Dabei erläuterte er, dass die langsame ontogenetische Reifung des Kauorgans in sogenannten Funktionsperioden laufend funktionelle Anpassungen erfordert, die teilweise auch von strukturellen Anpassungen gefolgt sind. Dadurch werden die Zahnreihen und Kiefergelenke tatsächlich dynamisch permanent gemeinsam entwickelt. Dieses erklärt auch das hohe Maß an Adaptationsmöglichkeiten, wodurch selbst bei vergleichsweise unphysiologischen Funktionsbeziehungen erst sehr spät Symptome funktioneller Störungen auftreten.

Zahntechnikermeister Stephan Schunke, Fürth, erläuterte die Vorgehensweise bei der konventionellen gnathologischen Okklusionsgestaltung und verglich diese mit der aktuellen Situation bei der CAD/CAMFertigung von Zahnersatz. Anhand von Patientenfällen stellte er dabei die verschiedenen konzeptionellen Vorgehensweisen bei der Herstellung von die natürliche Okklusion nachahmenden Restaurationen vor.

Auch der Hauptvortrag von OA Dr. Paul Weigel, Universität Frankfurt, beschäftigte sich mit der CAD-basierten Rekonstruktion der Okklusion. Der Referent konnte dabei zeigen, dass und wie die technische Weiterentwicklung zu immer besseren okklusalen Anpassungen führt, und dabei ausführen, dass zwar die Spitzenleistungen von zahntechnischen Experten mit den CAD-Systemen in der Kauflächengestaltung noch nicht erreicht werden, dass die jüngst verbesserten Systeme aber mittlerweile bereits so gut sind, dass sie mit durchschnittlichen konventionellen Ergebnissen konkurrieren können.

Prof. Dr. Albert Mehl, LMU München, präsentierte das von ihm entwickelte mathematische Modell zur Beschreibung von Zahnoberflächen. Bei diesem Verfahren wird mit „erlerntem Wissen“ gearbeitet, so dass von vornherein untypische Morphologien keine Berücksichtigung finden. Es unterscheidet sich daher völlig von anderen Verfahren, bei denen eine Standardkaufläche auf alle Situationen übergestülpt wird. Diese „biogenerische Methode“ ist vergleichsweise jung und wird daher in der nächsten Zukunft noch entsprechend klinisch getestet werden. Sie verspricht aber wesentliche Fortschritte bei der automatisierten Rekonstruktion von Kauflächen im CAD/CAM-Prozess nach funktionellen Gesichtspunkten.

Dr. Jan Hajto, München, bezog sich auf das von Mehl entwickelte biogenerische Modell und stellte selbst ein neues Verfahren zur Herstellung von Keramik-Inlays vor, deren Abformung nach Präparation durch den Zahnarzt vor Ort genommen und in eine zentrale Fabrikationsstelle versandt wird, wo die Inlays von geschulten Spezialisten hergestellt werden. Die Herstellung erfolgt dabei in einem CAD/CAM-Verfahren nach Prinzipien des biogenerischen Modells. Zur praktisch-klinischen Umsetzung ist dabei ein neuer Hersteller gegründet worden, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Herstellung derartig hoch technisierten Zahnersatzes weiterhin in Deutschland zu ermöglichen (CADdental/Raindrop Geomagic).

Chronischer Stress ist messbar

Einer der Gründe für zu festes Pressen kann chronischer Stress sein. Dieses Wissen ist nicht neu. Neu hingegen ist ein von wenigen Jahren publiziertes „Trierer Inventar zum chronischen Stress“ (TICS). Dieses standardisierte und validierte Instrument, mit dessen Hilfe die psychische Belastung in unterschiedlichen Lebenssituationen und -bereichen bezogen auf die letzten drei Monate vor dem Untersuchungstermin erhoben werden kann, untersuchten die Kollegen der Heidelberger CMD-Sprechstunde. Dr. Michael Leckel berichtete von den Erfahrungen mit diesem Instrument und erläuterte, dass es eine vergleichsweise transparente Auswertung des chronischen Stresses in zehn verschiedenen Dimensionen ermögliche, darunter chronische Besorgnis, Überforderung bei der Arbeit, Mangel an sozialer Anerkennung und mehr. Der Aufwand für die Auswertung dieser insgesamt über 50 Einzelinformationen beträgt nach seiner Einschätzung jedoch rund 15 Minuten.

Eine weitere Arbeit zu diesem Themenkreis stellte eine Arbeitsgruppe der Universität Leipzig vor. Der Referent, Dr. Daniel Reißmann, berichtete hierzu, dass nach den durchgeführten Arbeiten zum Vergleich der Stressverarbeitung in einer CMD-Patientenpopulation mit Personen aus der allgemeinen Bevölkerung ohne CMD generelle Unterschiede nicht nachgewiesen werden konnten. Die Stressverarbeitungsformen bei CMD-Patienten variieren bei verschiedenen Diagnosen zum Teil erheblich. Dieses spricht nicht dafür, dass eine besondere Art der Stressverarbeitung bei CMD-Patienten Ursache oder Co-Faktor der Erkrankung ist. Dies sagt nichts darüber aus, ob eventuell besonders hohe Stressbelastungen die oder zumindest eine Ursache von CMD sind.

Verschiedene neue Technologien setzen allesamt auf innovative computertechnische Lösungen zur Verbesserung der Diagnostik.

Innovationen für die Praxis

Für den Bereich der instrumentellen Bewegungsaufzeichnung stellte dabei Dr. Rolf Klett, Höchberg bei Würzburg, ein neues Registriersystem für die Kiefergelenk- und Funktionsdiagnostik vor (Freecorder‚ Blue- Fox, Fa. Dentron). Grundlage dieses Registrierverfahrens ist ein optisches Messverfahren zur automatischen Erkennung und Verfolgung graphischer Muster, die an einem entsprechenden Registrierbogen am Unterkiefer angebracht werden. Diese kodierten Muster werden mit digitalen Videokameras, die sich in einem über dem Patienten schwebenden C-Bogen befinden, dreidimensional abgebildet und ausgewertet. Hierfür erforderlich ist allerdings ein spezieller Untersuchungsplatz, etwa wie bei einem Panoramaröntgengerät, nur etwas kleiner.

Ein weiterer Beitrag befasste sich mit der Entwicklung standardisierter Vorgaben zur Befundung von Kiefergelenk-Magnetresonanztomogrammen. Priv.-Doz. Dr. M. Oliver Ahlers, Hamburg, stellte gemeinsam mit Prof. Dr. Holger A. Jakstat, Leipzig, die Entwicklung derartiger Vorgaben vor sowie deren Übertragung in eine hierfür entwickelte Spezialsoftware (CMDtomo, dentaConcept Verlag). Anders als die verfügbaren Softwaresysteme zur Darstellung von Kiefergelenk- MRTs (zum Beispiel eFilm, Fa. Merge Healthcare) dient CMDtomo dazu, die mit den anderen Systemen dargestellten Bilder strukturiert zu befunden und die Befunde den zuvor in der klinischen Funktionsanalyse gestellten Initialdiagnosen zuzuordnen. CMDtomo übergibt dabei die Befunde an die Diagnose-Software CMDfact, die auf der Tagung in der Version 2.0 vorgestellt wurde. Einen neuen Entwicklungsschritt in der Erfassung des Press- und Knirschverhaltens von Patienten in der Phase der Funktionstherapie stellte der Vizepräsident der DGFDT, Dr. Wolf-Dieter Seeher, München, vor. Dabei handelt es sich um einen neuen Sensor, der aus einer Mess- und Sendeelektronik besteht, die in eine Okklusionsschiene integriert werden kann und ihre Daten an einen kleinen Empfänger sendet, von dem wiederum die entsprechenden Messdaten an einen handelsüblichen PC übermittelt werden. Die Besonderheit dieses Verfahrens liegt darin, dass die Messund Sendeelektronik in eine konventionelle Okklusionsschiene integriert werden kann, wobei die in den klinischen Tests eingesetzten Prototypen noch vergleichsweise großvolumig waren. Der Referent beeindruckte jedoch mit einem klar strukturierten und gut verständlichen Vortrag, den er mit dem Hinweis abschloss, er habe bei dem entsprechenden Vortrag die Okklusionsschiene im Mund getragen. Hiermit bewies er dem begeisterten Auditorium, dass das verbreiterte Behandlungsmittel Okklusionsschiene kein Hindernis in der Kommunikation darstellt, selbst nicht bei einem wissenschaftlichen Vortrag vor mehreren Hundert kritischen Kollegen.

Das System (SensoBite, Firma Sense Inside) soll Anfang 2008 praxisreif sein und wird es Zahnärzten ermöglichen, im Rahmen einer Schienentherapie begleitend mit dem Patienten herauszufinden, unter welchen Bedingungen in der täglichen Lebensgestaltung dysfunktionelle Aktivitäten zu- oder abnehmen und inwieweit Veränderungen der Schienengestaltung und -okklusion Einflüsse auf das Pressbild- und Knirschverhalten haben. Dadurch würde erstmals der bisher der Diagnostik nicht zugängliche Bereich außerhalb der Zahnarztpraxis für Zahnarzt und Patienten transparent – sozusagen der Biss in Bits und Bytes.

Preissverleihungen

Bei den vorgestellten experimentellen Studien beeindruckte insbesondere die Arbeit der Forschungsgruppe Biomechanik von der Fakultät für Mathematik der Universität Karlsruhe. Ein Mitglied der Arbeitsgruppe, Ingenieur Stefan Rues, wurde für seinen Vortrag über die „Muskel- und Gelenkkräfte beim Pressen – experimentell gewonnene Optimierungsstrategien“ mit dem Tagungsbestpreis für einen nicht habilitierten Hochschulmitarbeiter ausgezeichnet.

Ein weiterer Tagungspreis ging an das zweite Mitglied der Forschungsgruppe, den zudem in eigener Praxis in Karlsruhe tätigen Zahnarzt Dr. Hans-J. Schindler. Dieser berichtete über „Feedback kontrollierte isometrische Muskelkontraktionen in einer experimentellen Okklusion“.

Priv.-Doz. Dr. M. Oliver AhlersGeneralsekretär der DGFDTCMD-Centrum Hamburg-EppendorfHaus C (CiM)20251 HamburgOliver.Ahlers@cmd-centrum.de

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