Netzkultur

Ein Blog für alle Fälle

Jedes Thema findet im World Wide Web sein Plätzchen. Dafür sorgt schon die rasant wachsende Gemeinde der Blogger. Die Inhalte ihrer Onlinetagebücher schwanken zwischen Klatsch und Quatsch, Politik und Wissenschaft. Wie viele Golfbälle in ein Auto passen, wird dort genauso ausführlich diskutiert, wie die geknebelte Pressefreiheit in China. Jetzt entdecken auch Unternehmen das Medium für sich.

„Dooced“ – dieses Wort gibt es seit 2002 im amerikanischen Wortschatz. Damals wurde die Bloggerin Heather Armstrong gefeuert, weil sie in ihrem Onlinetagebuch „Dooce“ von ihrer Arbeit erzählte. Die Zeiten haben sich geändert. Die Zahl der Weblogs liegt im zweistelligen Millionenbereich – und ihre Vorteile werden in immer mehr Führungsetagen erkannt.

Nähe schaffen

Stichwort Social Software: Viele Unternehmen haben damit begonnen, Blogs und andere Anwendungen, die sich im Web 2.0 bewährt haben, in die interne Kommunikation zu integrieren. Sie wollen auf diesem Weg Hierarchien glätten und den Austausch von Informationen beschleunigen. Neben Blogs etablieren sich so auch Elemente des Semantischen Webs in den Abläufen, etwa um Datenbanken und Wissenspools zu generieren (siehe zm 17/07). Blogs werden hauptsächlich im Bereich Projektmanagement eingesetzt. Zum Beispiel in Form von Tagesberichten, in denen Projektleiter und Team regelmäßig den Verlauf der gemeinsamen Arbeit protokollieren. Das fördert die Motivation und ermöglicht allen, immer auf dem neuesten Wissensstand zu sein.

Aber: Der Mehrwert ist nur so gut wie der Blog. Fehlt ihm die Struktur, geht das Vernetzungspotenzial verloren. Die Übersicht lässt sich bewahren, indem jeder Nutzer des Blogs seine Einträge mit Schlagworten, so genannten Tags, versieht. Noch effizienter wird diese Methode, wenn sich das Team im Vorfeld auf eine begrenzte Anzahl von Stichworten verständigt. Auch für die Zahnmedizin können Blogs einen Zugewinn bedeuten. Etwa beim fachlichen Austausch im Bereich Lehre und Forschung. Niedergelassene haben die Möglichkeit, über die Erfahrungen im Job zu sprechen, sich bei Kollegen Rat zu holen oder einfach nur von ihrem Praxisalltag zu erzählen. Wie seriös oder witzig der Blog gestaltet ist, hängt dabei ganz vom Autor ab.

Für Blog-Applikationen findet man viele Freeware-Angebote im Netz. Das macht sie zu einer kostengünstigen Innovation, die darüber hinaus meist – auch für Technikfaule – benutzerfreundlich gestaltet sind. Gute Tipps bietet die englischsprachige Seite www.weblogmatrix.org.

Gemeinsam stark

Der Einfluss der Blogger wächst. In den USA hat das schon der ein oder andere Politiker zu spüren bekommen. In Wahlkampfzeiten stehen die Parteigranden nicht mehr nur unter journalistischer Beobachtung. Immer öfter beschreiben auch Blogger ihre Begegnungen mit Senatoren, Gouverneuren und anderen Amtsträgern.

Informationen machen so blitzschnell die Runde. Politiker, die dabei schlecht abschneiden, kann das den Wahlerfolg kosten. Die New York Times bezeichnete Blogger aus diesem Grund als „neue Kraft im politischen Kampf“. Das trifft nicht nur auf die USA zu. Während der Unruhen in Burma dokumentierten hunderte junger Einheimischer täglich, was hinter den Kulissen wirklich ablief – oft unter Lebensgefahr. Auch aus China sind es meist Blogger, die auf ihren Seiten Informationen über Menschenrechtsverletzungen an der Zensur vorbeischmuggeln.

Parallel zum Blog-Boom entsteht eine Diskussion über die Qualität der Inhalte, in deren Mittelpunkt die Frage steht, wer den Wahrheitsgehalt der Einträge überwacht. Viele bezweifeln die Glaubwürdigkeit des neuen Mediums. Diese Einwände haben ihre Berechtigung, der aktuellen Entwicklung hinken sie jedoch hinterher. Blogs haben sich als Ausdrucksform etabliert.

Das haben mittlerweile auch die traditionellen Medien erkannt. Der Trend: Immer mehr Zeitungen, TV- und Radiostationen ergänzen ihr Programm durch hausgemachte, so genannte Corporate-Blogs.

Ein erfolgreiches Beispiel ist das Weblog der ARD-Tagesschau „Hinter den Nachrichten“. Seit Anfang des Jahres berichten darin die Chefredakteure Kai Gniffke und Thomas Hinrichs sowie Redaktion und Korrespondenten über die Hintergründe des Nachrichtengeschäfts und die Debatten in der Redaktion. Von den Zuschauern wird das Angebot rege genutzt, vom Grimme-Institut gab es den begehrten Online Award. Daran, dass Blogs ein Medium mit Zukunft sind, besteht für Gniffke seit dem Posten des allerersten Eintrags kein Zweifel mehr: „Rund 170 Kommentare und Zigtausend Klicks – das hat mich fast umgehauen. Da war mir klar: Das ist keine Nischenveranstaltung.“

Best of Blogs

Klasse in der Masse zu finden, ist in der Bloggosphäre nicht immer einfach. Doch Ausdauer beim Stöbern wird belohnt. Drei Blogs, die einen Abstecher wert sind:

Gegen rechts

Für politisches und gesellschaftliches Engagement sind Blogs ein ideales Medium, wie der Ende 2005 online gegangene Anti-NPD-Blog beweist. Der Journalist und Tagesschau-Redakteur Patrick Gensing betreibt die Site als „kritische Dokumentation über die rechtsextreme NPD und deren Umfeld“. Der Blog betrachtet die Aktivitäten von Neonazis nicht isoliert, sondern im bundesweiten Zusammenhang. Auf der Startseite können sich User gezielt über rechtsextreme Verstöße in ihrem Bundesland informieren. Außerdem gibt es eine ausführliche Linkliste zu anderen Webangeboten, die sich mit rechter Gewalt beschäftigen.

http://npd-blog.info

Die Nummer 1

Mit 30 000 Besuchern der meistbesuchte Weblog Deutschlands: BILDblog. Hier holt sich Europas größte Tageszeitung täglich ordentlich Schelte ab. Die Blogger veröffentlichen auf ihrer Seite, welche sachlichen Fehler, sinnentstellenden oder bewusst irreführenden sowie Persönlichkeitsrechtsverletzungen sich die BILD-Zeitung leistet. Passend, der Slogan der Betreiber: „Jede Lüge braucht einen Mutigen, der sie zählt.“

http://www.bildblog.de

König Fußball

Ein echter Volltreffer ist der taz-Fußballblog. Name: Volk ohne Raumdeckung. Autor: Rob Alef. Inhalt: Antworten auf alle haupt- und nebensächlichen Fragen, die das Herz der nationalen Fußballgemeinde bewegen – und auch für Nichtfans amüsant sind. Eine Kostprobe: „Nach einem qualifizierten Gerücht steht der FC Energie Chosebuz kurz vor einem Vertragsabschluss mit Startrainer José Mourinho. Strittig sei allein die Höhe der Siegprämien. Der Verein bietet Freikarten für den Cottbusser Zoo, Mourinho möchte gerne die ganze Lausitz. Wir bleiben dran.“

http://taz.de/blogs/fusballblog

Susanne TheisenFreie Journalistin in KölnSusanneTheisen@gmx.net

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