Symposium zur Therapiefreiheit

Zwischen Hippokrates und Staatsmedizin

Schließen gesetzliche Rahmenbedingungen Patienten mittelbar oder direkt von optimaler Behandlung aus? Juristen und Ärzte diskutierten über die Therapiefreiheit und ihren Stellenwert unter dem wachsenden Diktat der Wirtschaftlichkeit.

Wo bleibt die Therapiefreiheit, das diskutierten Referenten und Teilnehmer auf dem Symposium „Zwischen Hippokrates und Staatsmedizin“. Ausrichter waren die Kaiserin-Friedrich-Stiftung und die Deutsche Gesellschaft für Medizinrecht (DGMR). Letztere wurde vor 25 Jahren gegründet, damit sich Ärzte und Juristen trotz ihrer unterschiedlichen Sichtweisen der Sachverhalte im Verständnis aneinander annähern konnten. Naturgemäß argumentierten Juristen und Mediziner dennoch aus unterschiedlichen Perspektiven. Und auch innerhalb der Stände kristallisierten sich kontroverse Ansichten heraus, ehe sich die einvernehmliche Quintessenz abzeichnete: Die Legislative schnürt – wenn auch vorwiegend mittelbar – Medizinern zunehmend die Hände, die Judikative verurteilt diese daraufhin wegen Untätigkeit. Ein wichtiger Punkt dabei: Den Richtern im Lande werde zunehmend bewusst, in welchem Spannungsfeld zwischen medizinisch Möglichem und Wirtschaftlichkeitsgebot die Ärzte handeln – oder eben nicht handeln.

Laut Dr. jur. Albrecht Wienke, Köln, entscheiden die Ärzte wider ökonomische Vorgaben und gegen eigene Interessen oft zugunsten der Heilkunst, könnten das aber eben nicht in allen Fällen durchhalten. Der Medizinrechtler bemerkte zudem: „Die Rechtsprechung ist sich nicht mehr einig, was dem GKV-Patienten zukommen darf.“ Er prognostizierte, dass der Große Senat schon 2008 entscheiden werde, ob eine Zweiteilung der medizinischen Versorgung in Deutschland vorliegt.

Sein Kollege Bernd-Rüdiger Kern, Leipzig, bestätigte, dass Sozialrecht und Zivilrecht in diesem Punkt oft in krassem Widerspruch zueinander stünden. Und warnte vor verdeckter Rationierung: „Man soll die ökonomischen und medizinischen Dinge auseinanderhalten.“

Richterin Ruth Schimmelpfeng-Schütte vom Landessozialgericht Celle/Niedersachsen-Bremen monierte in ihrem gleichnamigen Vortrag die „Einwirkungen der Gesundheitsgesetzgebung“ auf die praktizierte Medizin. Ihr ist insbesondere die Macht des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) ein Dorn im Auge, der mit seinen Vorgaben letztlich den (nicht-)behandelnden Arzt in dieses Spannungsverhältnis rücke.

Prof. Dr. Albrecht Encke, Präsident der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften bestätigte: „Entscheidungen des GBA über die Zulassung einer Maßnahme als GKV-Leistung können die Therapiefreiheit durchaus einschränken“. Allerdings seien – anders als in den Praxen – in den Kliniken Innovationen meist erlaubt, solange sie nicht explizit verboten würden.

Direkte dezidierte Einschränkungen der Therapiefreiheit durch die Gesetzgebung beobachtete der niedergelassene Facharzt Dr. Jörg-Andreas Rüggeberg nur an wenigen Punkten, zum Beispiel bei der künstlichen Befruchtung, sehr wohl aber grundsätzliche, massive Einschränkungen durch das Wirtschaftlichkeitsgebot. Rüggeberg konstatierte: „Es ist leider nicht möglich, dem Gesetzgeber Eingriffe in die Therapiefreiheit zu unterstellen. Aber die unmittelbaren Auswirkungen sind bereits in der Patientenversorgung angekommen.“ Regressandrohungen verhinderten zum Beispiel die optimale Versorgung chronischer Wunden in Deutschland, weil diese auf einfachere Materialien begrenzt werde. Für Klinikärzte sah Prof. Hans-Friedrich Kienzle, Chefarzt des Krankenhauses Holweide, das Schwergewicht der Einschränkungen vor allem durch interne Wirtschaftsprüfungen gegeben. Heute suchten Case-Manager den Spezialisten aus, Qualitätsbeauftragte prüften das Niveau der Leistungen und Gutachter lieferten die Zweitmeinung. Er sehe noch lange keine Antwort auf die Frage, wohin das Arztbild drifte. Auch die Zukunft anderer Heilberufe, für die der Sachverständigenrat Optionen auf bessere Berufschancen einzuräumen anregte, war ein umstrittenes Thema.

Für den Juristen Wiencke scheint dieser Trend kaum aufzuhalten, analog zu der vielschichtigen Arbeit in Anwalts-Sozietäten. Der Mediziner Encke warnte davor, aus Usancen ein Berufsbild zu schaffen, etwa wenn eine Anamnese-Schwester den Anästhesisten ersetzen sollte. Als sinnvoll dagegen wertete er die Delegation im Einzelfall unter der Verantwortung des jeweiligen Arztes und zog einen Vergleich: „Wenn die Piloten im Jumbo den Autopiloten einschalten, bleiben sie trotzdem im Cockpit.“ 

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