Versicherungspflicht

Das Windei

Es gibt sie, die Unversicherten in Deutschland. Kein Zweifel. Doch ob sie zweibis vierhunderttausend ausmachen oder eben deutlich weniger, das hat bisher noch keiner feststellen können. Soviel zu Transparenz im Gesundheitswesen, die Dunkelziffer bleibt. Das liegt wohl auch daran, dass die Bundesgesundheitsministerin die Quintessenz nicht wahrhaben will, die sowohl die Assekuranz als auch die Medien herausgefunden haben: Zwar sei die Öffnung der Versicherungssysteme für Menschen ohne diesen Schutz wichtig, aber das sei keineswegs ein problemlösendes Kernelement der Gesundheitsreform.

Im Rahmen der Gesundheitsreform beschlossen die Koalitionäre, dass alle ehemals privat Krankenversicherten, die jetzt ohne Versicherung dastehen, in die PKV zurückkehren dürfen. Betroffen sind vor allem Selbstständige und Freiberufler, die wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten irgendwann ihre Prämien nicht mehr bezahlen konnten. Seit dem 1. Juli können sie nun zu moderaten Konditionen in die PKV zurück. 2 000 sind diesen Schritt bis Ende August gegangen, erklärte der PKV-Verband gegenüber den zm.

Nach wie vor wird gemunkelt, dass die einstige Schätzung des BMG von zwei- bis vierhunderttausend Unversicherten in der Republik zu hoch gegriffen war. Verbraucherschützer geben Ulla Schmidt Recht, wenn sie betont, die günstigen Bedingungen des modifizierten Standardtarifs etwa seien zu wenig bekannt. Sie sehen als Ursache dafür, dass die privaten Versicherer gar keine Rückkehrer wollten, weil sie die Auflagen insbesondere für den modifizierten Standardtarif für bislang Unversicherte als Ballast empfänden und deshalb den Informationsfluss klein führen. Cornelia Nowack, Krankenversicherungsexpertin der Stiftung Warentest erklärte gegenüber dem Berliner Tagesspiegel: „Die privaten Versicherer haben kein Interesse daran, dass viele Menschen in den neuen Standardtarif gehen.” Wegen der Deckelung der Höchstbeiträge und dem gesetzlich vorgeschriebenen Verzicht auf Risikozuschläge ist der neue Tarif nach Meinung der Branche nicht auskömmlich. Für Neuzugänge, die einen anderen Vertragstarif wählten, wurde nicht erfasst ob sie bis dato ohne Krankenversicherung gelebt hatten, erklärte der PKV-Verband gegenüber den zm.

Für die zögerliche Haltung führt Verbraucherschützerin Noack die Angst davor an, die Prämien nicht zahlen zu können; dass der neue Standardtarif billiger ist als eine normale Vollversicherung, wüssten die wenigsten Leute. Sie sieht auch hier dringenden Infobedarf. Denn der modifizierte Standardtarif ist branchenweit einheitlich, einen Wettbewerb um die Kunden gibt es in diesem Segment nicht. Eher das Gegenteil scheint der Fall. Die Assekuranz klagt nicht über die geringe Nachfrage. Weil die Versicherer im Standardtarif nicht die sonst üblichen Risikozuschläge für Menschen mit Vorerkrankungen verlangen dürfen, gilt der Tarif als nicht kostendeckend. Je weniger Patienten ihn wählen, desto weniger müssen die Unternehmen daher quersubventionieren.

Freiberufler und andere Selbstständige haben das leidvoll erfahren: Auf ihren Antrag zur Wiederaufnahme folgte ein leidiger Schriftwechsel, die Angaben über Tarife und Beitragshöhe waren zu vage für einen Vertragsabschluss. Auch Zahnärzte berichteten, dass ihre Verhandlung sich über Monate hinzog und erst ein Anwalt eine zügige Bearbeitung erreichen konnte.

Doch das zögerliche Prozedere ist nicht allein Schuld der Branche. Da das Rückkehrrecht in die PKV erst spät ins Gesetz aufgenommen worden sei, habe man im Versicherungsverband auch erst spät mit der Kalkulation des Tarifs beginnen können, hieß es bei der Axa. Denn über geraume Zeit waren weder die Prämien noch die Versicherungsbedingungen amtlich genehmigt, eine zeitlang gab es nur nur vorläufige Beiträge. Vielleicht auch, weil die Zeit nicht drängt: Die Versicherungspflicht für ehemalige Privatversicherte ohne aktuellen Schutz gilt erst ab 2009.

Den gesetzlichen Krankenkassen bescheinigten die Verbraucherschützer ebenso wenig, mit Trommelwirbel um Rückläufer zu werben, die sie einst aus der Solidargemeinschaft ihrer Versicherten hinausgekündigt haben, zum Beispiel, wenn ein Freiwilliges Mitglied mit mehr als zwei Monatsbeiträgen im Rückstand war. Zu knapp bei Kasse für die Mitgliedschaft bei der Kasse? Da hörte das solidarische Empfinden regelmäßig auf. Seit Inkrafttreten der Gesundheitsreform sind immerhin rund 43 000 Nichtversicherte in die gesetzliche Krankenversicherung zurückgekehrt. Diese Zahl nannte der Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums, Klaus Vater, der Presse im September: „Ich bin mit dieser Zahl, Stand Ende August, nicht unzufrieden – die Neuregelungen müssen sich erst herumsprechen”, sagte Vater. Aber so ganz zufrieden scheint er doch nicht, denn zugleich kündigte er eine bundesweite Aufklärungskampagne über das Rückkehrrecht und die Versicherungspflicht ehemals gesetzlich Versicherter an. „Der Gesetzgeber muss an die Einsicht der Betroffenen appellieren”, anders könne die Versicherungspflicht nicht durchgesetzt werden. Die Tür wurde geöffnet

„Dir kann jemand die Türe öffnen, durchgehen musst du schon selber” besagt ein Sprichwort. Mit dieser Tür hier, die zurück in den allgemein üblichen Versicherungsschutz führen soll, klappt das aber nicht so. Rückkehrwillige stoßen auf Hindernisse. Bis heute finden sich in den unterschiedlichsten Foren Klagen auch dieser Klientel über die Verzögerungstaktik gerade der gesetzlichen Krankenkassen, die sie eigentlich wieder aufnehmen müssten. Mitunter verlangen diese sogar Versicherungsnachweise aus der Studentenzeit in den 50ern.

Mitarbeiter des Ministeriums haben ein anderes Ergebnis bei der Ursachenforschung gefunden: Sie vermuten, die Unversicherten wollten einfach noch so lange ohne Vertrag bleiben, so lange sie keinen Arzt bräuchten, um Kosten zu sparen. Nicht von ungefähr schließlich sind gerade die Rückkehr- Kandidaten knapp bei Kasse. Doch wer das versuche, werde zur Nachzahlung der Beiträge mit Säumniszuschlägen verpflichtet.

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