African IOFOS Meeting 2007

Forensische Zahnmedizin am Kap der Guten Hoffnung

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Vom 20. bis 23. November 2007 trafen sich in Kapstadt/Südafrika – in unmittelbarer Nähe zur berühmten „Victoria and Alfred Waterfront“ – 47 forensische Zahnärztinnen und Zahnärzte aus 16 Ländern zum „African IOFOS Meeting 2007“. Die Leitung des diesjährigen Symposiums hatte Prof. Dr. Herman Bernitz, Pretoria, Vorsitzender der „International Organization of Forensic Odontostomatology (IOFOS)“.

Eröffnet wurde die Tagung in der schönsten Stadt Südafrikas durch die deutschstämmige Journalistin Helen Zille, die seit dem Jahr 2006 Bürgermeisterin von Kapstadt und der Provinz Westkap ist.

Rechtsmedizinische Schwerpunkte

Nach dem Abspielen der Nationalhymne zu Kongressbeginn – ein für Europäer eher ungewöhnlicher Ritus – gab Prof. Gert Saayman, Pretoria, einen Überblick über das aktuelle Spektrum der Rechtsmedizin in Südafrika: er berichtete über 127 000 Schussverletzungen jährlich in Südafrika, was rund 350 Schussverletzungen pro Tag entspricht. Im gleichen Zeitraum würden 400 000 natürlichen Todesfällen 75 000 nicht natürliche Todesfälle gegenüberstehen. Durchschnittlich 13 000 Personen würden in Südafrika in jedem Jahr bei Verkehrsunfällen getötet. Pro Kalenderjahr könnten etwa 400 Tote nicht identifiziert werden. Dass Südafrika die höchste AIDS-Rate weltweit hat, war den meisten Teilnehmern nicht unbekannt. Aber auch hierzulande unübliche Themen, wie Organentnahmen nach Entführungen, beschäftigen regelmäßig die südafrikanischen Rechtsmediziner.

Bissspuren-Begutachtungen

Über die Analyse von Bissspuren referierte Prof. Bernitz: In Südafrika seien von April 2005 bis März 2006 18 545 Personen ermordet worden. Bei einem Teil dieser Straftaten würde es sich um Sexualdelikte handeln, die in Südafrika in 23 Prozent der Fälle mit Bissspuren vergesellschaftet wären. Nach der ersten Einschätzung, ob es sich um eine menschliche oder um die durch ein Tier verursachte Bissverletzung handelt, würde der Abstand zwischen den Eckzähnen sowohl an der Leiche als auch – wenn möglich – beim Tatverdächtigen bestimmt. Unterschieden werden sollte in allen Fällen zwischen Zerrungs- und Saugbiss. Des Weiteren sollten Rotationen der Kiefer während des Beißvorgangs ebenso wie das Alter der Bissverletzung untersucht werden. Aufgrund seiner langjährigen Begutachtungspraxis bemerkte der Referent, dass der Ausschluss eines Tatverdächtigen in der Regel wesentlich einfacher sei als das Überführen eines Beschuldigten.

Gesichtsrekonstruktionen

Die Gesichtsrekonstruktion und die Gesichtsidentifikation mittels moderner fotografischer Methoden waren Schwerpunkt des Referats von Prof. Maryna Steyn, Pretoria. Bereits seit 1994 würden Fotos aus Überwachungskameras zur Identifizierung von Personen begutachtet: Haaransatz, Leberflecke, Narben, Formen von Mund, Nase und Augenhöhle würden ebenso ausgewertet wie die Form des Philtrums oder andere anatomische Strukturen.

Dr. Sherie Blackwell, Melbourne/Australien, demonstrierte anhand eines Computerprogramms die 3D-Rekonstruktion der craniofazialen Morphologie. Als Datenbasis zur Gesichtsweichteilrekonstruktion dienten 400 Belgische Bürger. Signifikante Unterschiede liegen bei der japanischen und australischen Bevölkerung vor. Dr. Blackwell betonte, dass die Morphologie des Gesichtsschädels eines Menschen genauso einzigartig ist wie ein Fingerabdruck. Als „Nebenbefund“ ihrer Untersuchungen wurde festgestellt, dass bei Personen mit Schädelasymmetrien häufiger eine Epilepsie diagnostiziert werden konnte. Auf den bekannten Einsatz der Gesichtsweichteilrekonstruktion im Rahmen rechtsmedizinischer Identifizierungen ging die Referentin ebenfalls ein.

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Forensische Altersdiagnostik

Prof. VM Phillips von der „University of the Western Cape“ referierte über die Ergebnisse einer Studie zur Altersschätzung anhand der Weisheitszähne und des Schlüsselbeins, in der das Lebensalter südafrikanischer Kinder mithilfe der vorliegenden Einteilungen nach Moorrees und Demirjian geschätzt wurde. Eingeteilt in drei ethnische Gruppen (Tygerberg, Kwa-Zulu Natal und Indian children) gelangte Phillips zu dem Ergebnis, dass südafrikanische Kinder bei der Moorrees-Methode um 0,91 Jahre unterschätzt und bei der Demirjian-Methode um 0,89 Jahre überschätzt wurden. Phillips forderte daher für die beiden vorgenannten Methoden der Altersschätzung einen Korrekturfaktor für südafrikanische Kinder, für jede Rasse und für jeden Zahn.

Ebenfalls mit der forensischen Altersdiagnostik beschäftigte sich die Zahnärztin Dr. Feryal Karaman, Istanbul, in ihrem Vortrag. Der Zahndurchbruch sei eine der am meisten angewandten Methoden zur Bestimmung von Wachstum und Alter. 702 Personen beiderlei Geschlechts im vermuteten Alter von 3 bis 30 Jahren seien mithilfe der Orthopantomographie untersucht worden. Das Zahnwachstum sei entsprechend der acht Wachstumsstadien nach Demirjian eingestuft worden. Erste Ergebnisse hätten gezeigt, dass das Zahnwachstum bei türkischen Kindern nach regulärem Ablauf erfolgt und die Ergebnisse der Demirjian-Studie auf türkische Kinder angewandt werden können.

In einem weiteren Vortrag zur forensischen Altersschätzung präsentierte Dr. Helen Liversidge, London, eine Studie, in welcher das Wachstum der bleibenden Zähne mithilfe von Orthopantomogrammen bei 770 „black children“ aus Johannesburg und Pretoria mit 720 „coloured children“ aus Kapstadt und Umgebung verglichen wurde. Diese Ergebnisse wurden mit weiteren 5 277 Orthopantomogrammen verglichen: Weißhäutige und aus Bangladesch stammende Personen, die in London leben, Australische Aborigines, Neuseeländer, Personen aus Malaysia und Japaner.

Die Ergebnisse zeigen, dass das Wachstum der permanenten Zähne bei verschiedenen Rassen sehr ähnlich verläuft. Diese Resultate untermauern, dass die gut gestaltete Studie von Willems et al. (2001) bei Untersuchungen bis zum 14. Lebensjahr weltweit angewandt werden kann.

Zahnärztlicher Interpol-Einsatz in Barbados

Dr. Wenke Stene-Johanson, Norwegen, hatte an einem Interpol-Einsatz in Barbados teilgenommen: Ein kleines Boot wurde von einem Fischer vor der Küste Barbados aufgefunden. An Bord befanden sich elf tote Männer, deren Identität ungeklärt war. Das Interpol-Team konnte aufklären, dass es sich um ein böses Schicksal im schmutzigen Geschäft der illegalen Einwanderung handelte und wollte klären, welche Menschenhandelsorganisation für den Tod der elf Männer letztendlich verantwortlich war.

###more### ###title### Verhalten im Gastland ###title### ###more###

Verhalten im Gastland

Prof. Dr. Helena Ranta, Helsinki, betonte in ihrem Vortrag, dass auf dem Gebiet der forensischen Untersuchungen im Bereich von Kriegsverbrechen, Menschenrechtsverletzungen und Völkermord internationale Untersuchungen immer häufiger durchgeführt würden. Der jeweilige Auftrag für die international besetzten Teams müsse klar definiert sein. Dabei hätten die Teams ihrerseits die Rechte des Gastlands zu berücksichtigen. Der Gaststaat muss den Experten ungehinderten Zugang, Rechte zur Exhumierung und Leichenöffnung sowie zur Gewinnung geeigneter Proben gewähren. Ebenso muss für die Sicherheit und Immunität der Experten von Seiten des Gastlandes Sorge getragen werden. Sogenannte „Vorschriften“ sind bei internationalen Einsätzen oftmals eine Mischung aus Vorschriften, Richtlinien und Gesetzen verschiedener Länder. Sie weichen meist mehr oder weniger voneinander ab. Geltende Moralvorschriften basieren nicht auf wissenschaftlichen Beweisen und dürfen damit nicht Opfer von wissenschaftlicher Professionalität werden.

Forensik bei illegalen Einwanderern in Italien

Dr. Emilio Nuzzolese, Bari, berichtete über die wachsende Anzahl an Flüchtlingen in Italien, welche durch die zunehmende Globalisierung ständig steigen würde. Zwischen 1998 und 2006 seien bis zu 49 000 Flüchtige pro Jahr registriert worden. Hierdurch würden eine Reihe von Problemen auftreten: Menschenrechte, Schutzbedürfnisse, Krankheiten, aber auch Identifizierungen, Altersbestimmungen und Flüchtlingsstatus, insbesondere bei unbegleiteten Minderjährigen. Da Italien aufgrund seiner geografischen Lage von mehreren Ländern auf dem Wasserweg gut erreichbar ist, gelangen insbesondere in den Sommermonaten zahlreiche Flüchtlinge auf das italienische Festland beziehungsweise die italienischen Inseln. Asylsuchende, welche jünger als 18 Jahre zu sein scheinen, durchlaufen in Italien – verglichen mit anderen westlichen Ländern – einen aufwendigen Weg durch das italienische Einwanderungssystem. Im Allgemeinen werden als „Erwachsene“ aussehende Personen zur unmittelbaren Ausreise aufgefordert oder in Schutzhaft genommen. Minderjährigen wird Schutz geboten, sie erhalten eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis und nehmen an Erziehungsprogrammen teil. Aufgrund einer Übereinstimmung zwischen den Einwanderungsbehörden, dem zuständigen Ministerium, Rechtsmedizinern und forensischen Odontologen wurden die Bedingungen für eine umgehende Altersbestimmung der jungen Einwanderer festgelegt. Hierzu zählen Röntgenuntersuchungen der Zähne, der Hand oder des Schlüsselbeins und die Bestimmung des Wachstums der dritten Molaren in Verbindung mit klinischen zahnmedizinischen Befunden.

Deutscher Kongressbeitrag

Über standardisierte Prozessabläufe der zahnärztlichen Identifizierung im Einzelfall sowie bei Massenkatastrophen referierte Dr. Dr. Claus Grundmann, Duisburg. Digitale fotografische Dokumentationen der Kiefer, Röntgenuntersuchungen der Zähne in Bissflügeltechnik, Mazeration der entnommenen (Ober- und) Unterkiefer, elektronische Erfassungen der ante- und postmortem Daten – einschließlich Auswertung der zu Lebzeiten angelegten zahnärztlichen Behandlungskarteikarte beziehungsweise ante-mortem angefertigter Röntgenaufnahmen – waren ebenso wie die Vergleichsanalyse der AM- und PM-Datensätze Gegenstand dieses Vortrags.

Zukunftsaussichten

Zum Ende des Kongresses diskutierten die Teilnehmer die Ausbildung in forensischer Zahnmedizin und das Management bei Massenkatastrophen wie dem Tsunami 2004. Sie stimmten für eine standardisierte Ausbildung in „Forensischer Zahnmedizin“ mit einer „International Quality Control“ und waren sich einig, dass beispielsweise eine zweiwöchige Tätigkeit im Tsunami-Krisengebiet nicht gleichzeitig den erfolgreichen Abschluss einer post-graduierten Weiterbildung in forensischer Zahnmedizin bedeutet.

Prof. Dr. Helena Ranta erläuterte, dass in Finnland eine Ernennung zum „Forensic Dentist“ ausschließlich durch das Justizministerium erfolgt. Prof. Dr. Tore Solheim, Oslo, forderte, dass IOFOS über den aktuellen Standard der forensischen Weiterbildung entscheidet. Interpol würde hierzu durch IOFOS regelmäßig informiert. Die Guidelines von IOFOS würden auf der IOFOS-Homepage (www.iofos.eu) – wie bisher schon geschehen – regelmäßig aktualisiert.

Die Reise zum Kap der Guten Hoffnung – unterstützt durch die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde – gewährte nicht nur Einblicke in aktuelle Themen der forensischen Medizin und Zahnmedizin, sondern auch in ein interessantes Land mit zahlreichen Sehenswürdigkeiten.

Dr. Dr. Claus GrundmannViktoriastr. 847166 Duisburgclausgrundmann@hotmail.com

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