Chlorodont

Die Zahnpaste des Herrn von Mayenburg\r

Heftarchiv Gesellschaft
In Dresden erfand nicht nur Karl August Lingner sein berühmtes Mundwasser. Auch die Zahnpasta des Apothekers Dr. phil. Ottomar Heinsius von Mayenburg machte die Elbstadt zur deutschen Hauptstadt der Mundhygiene. Über die Erfolgsgeschichte des geschickten Tubenvermarkters von Mayenburg – und den späteren Abstieg seiner Weltmarke Chlorodont.

Wer in den zurückliegenden Jahren Dresden besucht hat, stellt fest, dass die Stadt die kriegsbedingten Zerstörungen und die nicht minder schädigenden Auswirkungen des bis 1989 real existierenden Sozialismus nahezu überwunden hat. Die Vielfältigkeit der weltberühmten Kulturgüter lässt den Besucher vielleicht übersehen, dass die Stadt ihren unverwechselbaren Charakter auch als Zentrum der Forschung und Industrialisierung gewann.

Für den geschichtlich interessierten Zahnmediziner ist der Besuch des Deutschen Hygienemuseums am Lingnerplatz eine besondere Empfehlung, dessen Entstehung eng mit dem gesundheitserzieherischen Wirken von Karl August Lingner, dem „Odol-König“, verbunden ist (siehe auch zm 09/93, Seite 64f). Dieser gilt als der Begründer der modernen Mundhygiene. Die Idee, der Bevölkerung fortschrittliche Mundhygiene zu erklären und hierfür die passenden Produkte zu entwickeln und anzubieten, nahm der Apotheker Dr. phil. Ottomar Heinsius von Mayenburg auf. Als er vor nunmehr 101 Jahren im Frühjahr 1907 in seiner Löwen-Apotheke in Dresden an allerlei Tinkturen und Cremes tüftelte, kam er auf die Idee, die selbstgemischte Zahncreme in kleine Metalltuben zu füllen. Damit wollte er sicherstellen, dass seine Zahnpasta lange haltbar und einfach zu handhaben ist.

Diese Idee war keineswegs gänzlich neu. Mit „Dr. Sheffields Creme Dentifrice“ stellte die Firma Colgate & Company bereits 1896 in Amerika eine Tubenzahnpasta vor. Durch geschicktes Wirken von Mayenburgs fasste die Öffentlichkeit außerhalb Amerikas seine Zahnpaste Chlorodont jedoch als Weltneuheit auf. Ihre weite Verbreitung machte sie zu einer Legende.

Gigantische Werbekampagne

Nicht nur in Deutschland, auch im benachbarten Ausland sorgte die erste Tubenzahnpaste für Aufsehen. Mit einer gigantischen Werbekampagne hämmerte von Mayenburg das neue Produkt geradezu in das Bewusstsein der Verbraucher. Dies gelang vor allem durch das klassische Chlorodont-Design mit der klaren weißen Schrift auf dunkelblauem Grund – unverwechselbar durch die „Leo-Kante“, einer Umfassungslinie mit abwechselnden grünen und blauen Karos. Das zeitlose Design gilt heute noch als beispielhaft. Den Namen leitete der Erfinder aus dem Griechischen her: „Chloros“ bedeutet hellgrün – im übertragenen Sinne „frisch“ – und „Odon“ ist der Zahn.

Warum ausgerechnet Ottomar Heinsius von Mayenburg die Zahnpaste erfand, ist heute unklar. In Leipzig studierte er ab 1884 Pharmazie und erst 1901– mit 36 Jahren – erwarb er den Doktor-Titel. Übrigens nicht zum Thema „Das Liebesleben der Algen“– wie die Familie gerne witzelte – sondern über „Schimmelpilze“.

Zu seiner späteren Leidenschaft, der Botanik, findet sich einiges in den Universitätsakten – aber nichts zum Thema Mundhygiene oder gar Zähneputzen. Damit muss er sich erst viel später beschäftigt haben. Die Zahnpaste erfand er schließlich erst im reifen Alter von 42 Jahren. Wahrscheinlich hat ihn der ungeheure Erfolg von Karl-August Lingners Mundwasser beflügelt.

Gegen die Mär vom Zahnwurm

Im Zuge der Vermarktung ihrer Produkte räumten Lingner und von Mayenburg gründlich mit der in der Bevölkerung jahrhundertelang verankerten Mär auf, ein Zahnwurm mache die Zähne der Menschen faul. Zähneputzen war seit dem Mittelalter nicht mehr üblich. Alte Methoden aus dem Orient waren längst in Vergessenheit geraten. Die Menschen mit ihren Zahnruinen im Mund stanken erbärmlich. Die Reichen und Adligen waren wegen ihres Zuckergenusses häufig noch schlimmer als die Bauern und Handwerker betroffen. Die Erkenntnis, dass kranke Zähne den ganzen Körper vergiften und sie deshalb durch regelmäßige mechanische Reinigung mittels Zahnbürste und Zahnpaste gepflegt werden müssen, wurde durch die Werbemaßnahmen wieder zum Allgemeingut. Neben der willkommenen Absatzsteigerung leistete von Mayenburg einen beachtlichen Beitrag dazu, dauerhaft ein Hygienebewusstsein in der Bevölkerung zu etablieren.

Von der Apotheke zur modernen Tubenfabrik

Zunächst stellte von Mayenburg seine Zahnpasta-Tuben in seiner Apotheke her. Die Löwen-Apotheke am Dresdener Altmarkt war jedoch schnell zu klein für die Firma. 1917 mietete der Apotheker eine Fabrik, dann ließ er die „Leo-Werke“ in der Neustadt bauen. Im gleichen Jahr begann der Export der Zahnpaste, den selbst der erste Weltkrieg nicht zum Erliegen brachte. Das deutsche Heer orderte große Mengen Chlorodont.

Von Mayenburgs Firma stellte bald neben den Lingner-Werken mit dem „Odol“- Mundwasser und der Max Elb KG mit der „Biox-Ultra“-Zahnpaste einen wichtigen Wirtschaftsfaktor nicht nur für Dresden dar. Seine Metalltuben bis hin zum Deckel fabrizierte von Mayenburg selbst in der eigenen Tubenfabrik. Arbeiter fertigten die Pappschachteln und bedrucken sie. Knetmaschinen, moderne Mühlen, Tubenfüll- und Schließmaschinen machten die Produktion effektiver. In der Nähe von Ulm baute von Mayenburg seinen eigenen Naturkalkstein ab, den wichtigsten Grundstoff für Chlorodont. Pfefferminze für den frischen Geschmack lieferte eine eigene Plantage in Siebenbürgen. In den Laboratorien forschten 60 Mitarbeiter.

Aufstieg zur Weltmarke

Anfang der 30er-Jahre zählte allein das Hauptwerk in Dresden über 1 500 Beschäftigte. Die Maschinen waren die modernsten der Welt und mussten ununterbrochen laufen, um die riesige Nachfrage nach Zahnpasta befriedigen zu können. In den 20er- und 30er-Jahren erreichte die Firma Tagesproduktionen von bis zu 150 000 Tuben. Chlorodont war eine Weltmarke geworden – mit mehr als 20 Niederlassungen rund um den Erdball. Sogar in Afrika vertrauten die Menschen ihre Zähne der Zahnpaste aus Deutschland an. Schwarzer Mann und weiße Zähne, so lautete damals ein beliebtes Klischee in der Werbung.

In nicht weniger als zwanzig Jahren führte von Mayenburg sein Unternehmen an die Spitze der deutschen Dental-Industrie. Trotz Umwandlung in eine AG blieb von Mayenburg Eigentümer, da die Familie die Aktien hielt. Der wirtschaftliche Erfolg machte von Mayenburg in Deutschland zu einem der reichsten Männer seiner Zeit.

Schlossherr mit sozialem Engagement

Bereits 1925 erwarb der Apotheker Schloss Eckberg in Dresden. Dort zog er mit seiner Frau Rose, SohnChristoph und den drei Töchtern ein. Im 15 Hektar großen Schlosspark entfaltete sich der begeisterte Botaniker, der jeden essbaren Pilz bestimmen konnte, nach seinen eigenen Vorstellungen: Zehntausende Blumen ließ er setzen, züchtete und veredelte selbst Pflanzen, gestaltete den Park um. Die Liebe zu den Pflanzen war wohl die wahre Leidenschaft des neuen Schlossherren, der nicht zufällig Ehrenmitglied im Landesverein Sächsischer Heimatschutz war.

Alljährlich zur schönsten Blütezeit öffnete er seinen Park für die Bevölkerung. Die eigenen Kinder flohen dann auf die Dächer des Schlosses. Noch vier weitere Schlösser kaufte von Mayenburg – für jedes Kind eins. Seine Firma florierte ja blendend.

Seine Belegschaft ließ er ebenfalls am Erfolg teilhaben: Schon früh gab es einen Werksarzt und eine Kantine. An Festtagen und Jubiläen beschenkte der Firmengründer seine Angestellten. Auf dem eigenen Firmen- Sportplatz spielte sogar eine Damen-Fußballmannschaft – damals eine Sensation. Im Erholungsheim der Leo-Werke im Erzgebirge konnten alle Mitarbeiter mit ihren Familien kostenlos Ferien machen. Der Jahres- Urlaub betrug damals je nach Dauer der Betriebszugehörigkeit sechs bis 18 Tage.

Enge Kontakte zum Hygiene-Museum

Der Odol-Erfinder Lingner und der Chlorodont-Erfinder von Mayenburg machten Dresden zur deutschen Hauptstadt der Mundhygiene. Beide engagierten sich für die Gesundheits- und Hygieneerziehung in Deutschland und unterstützten die Errichtung des Deutschen Hygiene- Museums in Dresden. Seit Beginn der 20er-Jahre hatten die Leo-Werke enge Kontakte zum Museum und dessen LehrmittelGmbH. Gemeinsam erstellten Leo-Werke und Museum Lehrmittel für Zahnpflege und gesunde Ernährung. Diese lieferten sie kostenlos an Schulen und öffentliche Einrichtungen. Nicht zufällig ähnelte das Design dabei der Chlorodont-Werbung. Zudem bestückten die Leo-Werke das Hygiene- Museum mit Schautafeln sowie plastischen und beweglichen Figuren, die den Wert der Zähne und der Zahnpflege für den Körper zeigten.

Verlust der Markenidentität

Kurz vor dem 25. Firmenjubiläum starb der schwer herzkranke Apotheker im Juli 1932 mit 67 Jahren. Nach seinem Tod schrieb das Unternehmen weiter Erfolgsgeschichte – trotz kriegsbedingten Rohstoffmangels. Als im Feuersturm von Dresden im Februar 1945 Zehntausende ihr Leben ließen, blieben die Leo-Werke weitgehend verschont. beliebigen Produkt. Kommunistische Kleingeist- Bürokratie und die allgegenwärtigen Probleme bei der Beschaffung moderner Technologien und der Rohstoffe sorgten für den Verlust der Markenidentität.

Schließlich verkaufte die Firma den Markennamen Chlorodont für dringend benötigte Devisen an den Westen. Zum Ausgleich führte das Unternehmen parteieigene Markennamen wie „El-ce-sal“ ein. Den Genossen sollte natürlich nur eine weltanschaulich korrekte Verpackung angeboten werden. Immerhin verbesserte der Betrieb mit modernen Rezepturen die Zahnpaste. Mit neuen Produktionsanlagen befriedigte er zumeist die Nachfrage aus dem In- und Ausland.

Anfang der 50er-Jahre zwang der Staat die von Mayenburgs, Schloss Eckberg zu räumen. SED-Funktionäre zogen ein, später wurde das Schloss ein DDR-Jugendhotel. Die Familie von Mayenburg hatte die Enteignung geahnt: Schon 1950 verlegte sie deshalb den Hauptsitz der Leo-Werke nach Frankfurt am Main. Wenig später folgte sie in den Westen. Die Dresdener Leo-Werke wurden zum Volkseigenen Betrieb Elbe- Chemie, in dem alle ehemaligen Konkurrenten der Dresdener Dental-Industrie vereinigt waren.

In Obertshausen bei Offenbach baute die Familie „Chlorodont West“ auf. Die Marke lebte wieder auf, doch der alte Erfolg blieb aus. Der Markenname Chlorodont, den sich schließlich die Kosmetikfirma Schwarzkopf sicherte, hatte letztlich kein Glück. Längst tummelten sich andere auf dem globalisierten Zahnpasta-Markt.

Neue Zahnpaste an alter Stätte

Nach der Wende ist die Marke Chlorodont nach Dresden zurückgekehrt. Zum Jubiläumsfest im Deutschen Hygiene-Museum feierten die Dresdner nicht nur den Geburtstag der Zahnpaste, sondern auch die Wiederaufnahme der Zahnpastaproduktion in ihrer Stadt.

Genau an der Stelle, wo der alte von Mayenburg seine Erfolge erlebte, wird wieder Zahnpaste gemacht. Nicht mit 1 500 Beschäftigten wie in den Glanzzeiten, sondern nur noch mit 120. Die Firma Dental-Kosmetik stellt ihre Marken und Handelsmarken für große Drogerie- und Discounterketten her. Die legendäre DDR-Kinderzahnpaste „Putzi“, die den Sprung in westliche Zahnbecher geschafft hat, ist weiter im Programm.

 Die Nachkommen des Erfinders Ottomar Heinsius von Mayenburg haben keinen Einfluss mehr auf die Zahnpasta-Herstellung. Das heutige Luxushotel Schloss Eckberg ist ebenfalls nicht mehr Familiensitz. Was ihnen bleibt, ist die Gewissheit: Ihr Großvater und Urgroßvater hat Bahnbrechendes für die Zahngesundheit geleistet.

Dr. Rolf MahlkeMozartweg 1129378 Wittingen

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