Der besondere Fall

Kindlicher adenomatoider dentogener Tumor der Oberkieferfront

218684-flexible-1900
Heftarchiv Zahnmedizin
Eine sechsjährige Patientin wurde in unserer Poliklinik vorstellig, da die Mutter eine seit vier Wochen bestehende Schwellung des Gaumens regio 021 bemerkt hatte. Im Alter von zwei Jahren hatte die Patientin ein Frontzahntrauma erlitten, so dass der stark gelockerte Zahn 61 damals extrahiert werden musste. Außer einer chronischen Bronchitis waren keine weiteren Vorerkrankungen bekannt.

Bei der klinischen Untersuchung imponierte eine Schwellung des harten Gaumens regio 021 sowie vestibulär. Die kugelförmige Auftreibung war hart und nicht druckschmerzhaft. Zahn 11 sowie die beiden 6-Jahr-Molaren im Oberkiefer waren durchgebrochen, während die Milchzähne 2-5 in beiden Quadranten noch persistierten. Die Zähne 62, 63, 64, 65 waren nach distal verdrängt. Alle Oberkieferzähne reagierten auf Kälte und waren nicht perkussionsempfindlich.

Röntgenologisch zeigte sich in der Panoramaschichtaufnahme (Abbildung 1) Zahn 21 vollständig retiniert und verlagert in einer runden, 2 x 3 cm großen Aufhellung. Keim 22 war horizontal verlagert und nach distal bis in regio 64 verdrängt. Die Zahnkeime 23, 24, 25 projizierten sich auf einer Achse über 65. Es fanden sich keine Wurzelresorptionen. Im Oberkieferaufbiss (Abbildung 2) zeigte sich eine unilokuläre runde Struktur mit sklerotischem Randsaum und der Krone 21 im Zentrum.

Zur weiteren Diagnostik und Therapie führten wir die operative Entfernung durch. Hierbei zeigte sich von vestibulär eine dünne Knochenlamelle hinter der die Veränderung in toto enukleirt werden konnte. Das Resektat (Abbildungen 3 und 4) mit nachgiebiger Konsistenz zeigte einen zystenartigen Aufbau mit bröckeligem, gräulichem Inhalt. Zahn 21 war fest mit dem entfernten Gewebe verbunden. Die Zahnkrone zeigte keine Adhärenz an der Geschwulst. Zahn 62 wurde wegen starker Lockerung ebenfalls mit entfernt.

Postoperativ empfahlen wir engmaschige klinische und röntgenologische Kontrollen, sowie eine kieferorthopädische Behandlung. Nach knöcherner Regeneration sind hierbei folgende Möglichkeiten gegeben:

Variante 1:Mesialisierung des Zahnes 22 bis in die Position von 21 mit späterem konservierenden / prothetischen Umbau des Zahnes 22 zu 21, Einordnung aller weiteren Zähne um eine Prämolarenbreite nach mesial, das hieße 3er an der Position des 2ers ; Vorteil: durch die Mesialisierung des 2ers Knochenaufbau im Bereich der ehemaligen Zyste; Nachteil: extrem aufwendig (zu mesialisierende Strecke für alle Zähne riesig, Zahn 22 in der Ausgangssituation ungünstig nach mesial gekippt (das heißt Wurzelbewegung schwierig)).

Variante 2a:Erhalt der Lücke Regio 021 (Implantation) mit Einordnung des Zahnes 22 an seine natürliche Position; Extraktion / Osteotomie des Zahnes 24 oder 25 zur Platzbeschaffung in der Stützzone; Vorteil: kürzeste Behandlungszeit aller Methoden; Nachteil: Extraktion im II. Quadranten notwendig, fehlender Knochenaufbau im Bereich der ehemaligen Zyste 21.

Variante 2b:Erhalt der Lücke Regio 021 (Implantation) mit Einordnung des Zahnes 22 an seine natürliche Position; Distalisierung des Zahnes 26 und nachfolgend der Zähne 25, 24, 23; Vorteil: Erhalt aller Zähne im II. Quadranten; Nachteil: fehlender Knochenaufbau im Bereich der ehemaligen Zyste 21, verlängerte Behandlungszeit, maximale Compliance von der Patientin bei der Distalisierung der Seitenzähne notwendig.

Diskussion

Differentialdignostisch können bei dieser klinischen Situation Zysten oder odontogene Tumoren in Betracht gezogen werden (3):

Voraussetzung für eine radikuläre Zyste ist ein nervtoter Zahn, der hier nicht vorhanden war. Möglich nach den anamnestischen Angaben wäre eine Residualzyste. Wie alle echten Zysten haben auch diese verdrängendes Wachstum. Sie entstehen nach Zahnentfernung aus geschlossenen Residuen radikulärer oder follikulärer Zysten. Eine follikuläre Zyste ausgehend von der Zahnkrone 21 eines nicht durchgebrochenen Zahnes erschien ebenfalls möglich. Da alle Zähne angelegt waren, konnte eine odontogene Keratozyste ausgeschlossen werden, bei der eine primäre Entwicklungsstörung der Zahnleiste anstelle eines Zahnes vorliegt.

Aufgrund der nicht streng medianen röntgenologischen Projektion konnte sowohl die nicht odontogene mediane Zyste als auch eine nasopalatinale Zyste (durchgängig gezeichnete PA-Spalten) [3] praktisch ausgeschlossen werden. Globulomaxilläre Zysten entstehen an der Nahtstelle Processus maxillaris und globularis und müssten zwischen Schneide- und Eckzahn lokalisiert sein, während Pseudozysten ohne epitheliale Auskleidung in der Regel keine so schnelle Progredienz aufweisen. Die selten auftretenden aneurysmatischen Zysten der Kiefer sind blutgefüllte Räume des Stromas mit reichlich vielkernigen Riesenzellen, die sich röntgenologisch als uni- oder multilokulär septierte Aufhellungen zeigen.

Die Differentialdiagnose verschiedener Tumoren beinhaltet das Ameloblastom, das sowohl solide als auch zystisch wachsen kann. Weiterhin kommt differentialdiagnostisch ein kalzifizierender epithelialer odontogener Tumor in Betracht, bei welchem eine vermehrte Kern- und Zellpleomorphie zu sehen ist. Der plattenepitheliale odontogene Tumor kann ebenfalls nestförmig wachsen, weist aber eine deutlich plattenepitheliale Differenzierung auf. Maligne Veränderungen konnten pathohistologisch ausgeschlossen werden.

Adenomatoide odontogene Tumoren sind benige, langsam wachsende Veränderungen, die in verschiedenen intraossären und extrafollikulären und einer peripheren Variante auftreten, während alle das gleiche histologische Bild zeigen. Das Verhältnis Maxilla zu Mandibula beträgt 2,1 : 1 [1]. Über die Hälfte der Fälle werden bei Teenagern diagnostiziert. Das Verhältnis der Geschlechter beträgt 1,9 : 1 (weiblich : männlich). Adenomatoide Tumoren scheinen aus einem komplexen System von dentalen Schichten oder deren Residuen zu entstehen.

Dieser Fall stellt eine extrem seltene Manifestation dar [2], die auch nach chirurgischer Therapie langjährig kieferorthopädisch behandelt werden muss.

Dr. Dr. Stephan Thomas BeckerDr. Ursula RittmeierUniversitätsklinikum SHKlinik für Mund-, Kiefer-, GesichtschirurgieArnold-Heller-Straße 16, 24105 Kielmail@st-becker.de

Dr. Anja SteinriedePraxis f. ZHK an der EiderGroßer Eiderkamp 12, 24113 Molfsee

Dr. Ivo LeuschnerUniversitätsklinikum SHInstitut für PathologieMichaelisstr. 11, 24105 Kiel

Dr. Thorsten SommerUniversitätsklinikum SHKlinik für KieferorthopädieArnold-Heller-Str. 16, 24105 Kiel

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.