Gemeinschaftstagung DGI, ÖGI und SGI

Ästhetik in kaiserlichem Ambiente

Die Prunksäle der Wiener Hofburg boten den idealen Rahmen für das Thema „Ästhetik in der Implantologie“. Über 1 500 Teilnehmer besuchten am ersten Adventswochenende die vierte internationale Gemeinschaftstagung der ÖGI, SGI und DGI. Das Erreichen und Erhalten ästhetisch optimaler Resultate ist für Wissenschaftler und Praktiker in der Implantologie mittlerweile „Thema Nummer eins“. „Die Osseointegration von Titanimplantaten können wir als wissenschaftliches Faktum betrachten“, so DGI Präsident Prof. Dr. Günter Dhom. Prof. Dr. Manfred Wichmann wurde noch konkreter: „Die alleinige Tatsache eines im Knochen eingeheilten Implantates macht noch niemanden glücklich. Das perfekte ästhetische Ergebnis ist dagegen für die meisten Patienten primäres Erfolgskriterium einer Implantatbehandlung.“

Kulturgeschichtlich war die Zahnästhetik eher von nachrangiger Bedeutung. Von der Antike bis in das Mittelalter galt es sogar als unschicklich, Zähne zu zeigen. Dagegen dominiert die Darstellung eines „Full Smile“ zuletzt die Darstellung des Gesichts in Werbung und bildender Kunst derart, dass neueste Trends, die Prof. Dr. Martin Karrer als „Krise des Lächelns“ bezeichnet, zu einer Abbildung des geschlossenen Mundes als ästhetischem Ideal zurückkehren. „Die Symmetrie als Konstante ästhetischer Ideale ist dagegen damals wie heute aktuell.

Eine natürliche Ästhetik von Nanostrukturen als Resultat evolutionärer Optimierungsprozesse bei der Verwirklichung spezieller Funktionen veranschaulichte Prof. Dr. Alfred Vendl mit Ausschnitten aus seiner preisgekrönten Dokumentation „Bionik – Das Genie der Natur“. So erzeugt das Lotusblatt durch Mikro-Strukturierung und eingelagerte Wachse eine für Wasser unbenetzbare Oberfläche. Tropische Regengüsse perlen ab und reinigen dabei die Blattoberfläche durch Mitnahme von Schmutzpartikeln.

„Die Nachbildung natürlicher Ästhetik, muss unser wichtigstes Ziel in der Implantologie sein“, begründete Tagungspräsident Prof. Dr. Robert Haas das Umschlagbild des Tagungsheftes. Der gespiegelte Frauenkörper ist nach Haas als Analogie des Strebens nach einer Kopie der Natur durch die Verfahren der Implantologie zu verstehen.

Rote Ästhetik

Die Wechselwirkungen zwischen Weichgewebe, Knochen und prothetischer Rekonstruktion sind entscheidend für den ästhetischen Langzeiterfolg von implantatgetragenen Konstruktionen. Dr. Egon Euwe belegt eine Abhängigkeit zwischen Material und periimplantärer Weichgewebsdimension. Erst ab einer Weichteildicke von mehr als drei Millimetern ist eine metallkeramische Krone ohne ästhetische Beeinträchtigung einsetzbar. Im ästhetisch anspruchsvollen Frontzahnbereich bei einer periimplantären Weichteildecke von weniger als zwei Millimetern ist dagegen die Verwendung vollkeramischer Systeme obligat. Bei knöchernen Defektsituationen im ästhetischen Bereich favorisiert Euwe die „Guided Bone Regeneration“ in Verbindung mit mikrochirurgischen Techniken zur Weichgewebsaugmentation als Therapiemittel der Wahl. Seine Aussage „Boost the biotype!“ wurde von Prof. Dr. Markus Hürzeler uneingeschränkt unterstützt, der anhand eigener Behandlungsfälle Misserfolge der Vergangenheit aufgrund fehlenden Weichgewebemanagements diskutierte. Die Weichgewebsaugmentation ist heute im ästhetischen Bereich eine conditio sine qua non. Zeiträume von zwei bis drei Jahren ermöglichen dabei keine Aussage über den ästhetischen Langzeiterfolg einer Behandlung. Die interaktive Abstimmung des Auditoriums zeigte mit 74,2 Prozent eine breite Zustimmung zur Notwendigkeit der Weichgewebsaugmentation. Darüber hinaus belegte die Befragung den unmittelbaren Transfer wissenschaftlicher Inhalte in die tägliche Praxis. So gaben 53,6 Prozent der Zuhörer an, durch die Vorträge zu einer Haltungsänderung bezüglich ihres operativen Weichgewebemanagements gelangt zu sein.

Weiße Ästhetik

Prothetische Suprakonstruktionen werden heute in zahlreichen Konstruktionsvarianten eingesetzt. Die Minimalversorgung des zahnlosen Unterkiefers mit Kugelkopf-Verankerungen auf zwei interforaminalen Implantaten und die Maximalversorgung beider Kiefer mit festsitzenden Sofortprovisorien und vollkeramisch verblendeten, definitiven Suprastrukturen auf mehr als sechs Implantaten je Kiefer markieren Anfangs- und Endpunkte des prothetischen Behandlungsspektrums. Material- und Laborkosten nehmen dabei mit zunehmender Komplexität der Suprakonstruktion exponentiell zu. „Durch die Verdreifachung des Goldpreises seit 2001 müssen wir in der Zukunft über günstigere Herstellungsverfahren nachdenken, um Prothetik auch weiterhin für unsere Patienten erschwinglich zu machen, sagte Prof. Dr. Werner Zechner. Einen gangbaren Weg, anspruchsvolle Zahntechnik mit Wirtschaftlichkeit zu verbinden, sieht Prof. Dr. Manfred Wichmann in der Anwendung neuer Techniken und Materialien. CAD/CAM-gefertigte Titan- oder Keramikgerüste anstelle individuell gegossener oder gefräster Edelmetallkonstruktionen oder der Einsatz moderner Kunststoffe anstelle von Keramik kann bei vergleichbarer Ästhetik den Kostenaufwand drastisch reduzieren. Wichmann beschrieb das Ziel für künftige Entwicklungen in der Implantatprothetik anhand zweier Suprakonstruktionen so: „Es wird die Herausforderung der Zukunft sein, durch die Nutzung neuer Materialien und Technologien gleiche Ästhetik bei gleicher technischer Qualität für den Patienten zu deutlich günstigeren Konditionen anbieten zu können.“

Richtiger Zeitpunkt für die Implantation

In Form einer Streitdiskussion wurden Sofort-, verzögerte Sofort- und Spätimplantation auf den Prüfstand gestellt. Für Dr. Michael Stimmelmayr ist die Spätimplantation (Typ III) das Mittel der Wahl in Fällen massiver Hart- und Weichgewebsdefizite. Hierzu zählen Situationen nach traumatischem Verlust des Zahnes und der bukkalen Knochenlammelle, vertikale Knochendefekte, Zahnverlust bei akuter Entzündung und Nichtanlagen. In diesen Fällen empfiehlt Stimmelmayr die Implantation und Augmentation zwölf Wochen nach Zahnextraktion. Eine noch spätere Implantation (Typ IV, > 16 Wo nach Extraktion) beurteilt Stimmelmayr kritisch. Bei Wartezeiten von zwölf Monaten muss mit einem transversalen Knochenverlust von bis zu 50 Prozent gerechnet werden. Nach zwölf Wochen (Typ III) beträgt die transversale Resorption immerhin schon 1/3 des ursprünglich vorhandenen Kieferkamms. Einen Ansatz zur Reduktion des Behandlungszeitraums sieht Stimmelmayr im einzeitigen Vorgehen bei Hart- und Weichgewebsaugmentation mit der „Socket Preservation“-Technik und dem Einbringen eines Kombinationstransplantats mit epithelbedecktem Onlayanteil und gestieltem Bindegewebsanteil.

Für Prof. Dr. Christoph Hämmerle ist das ästhetische Ergebnis der verzögerten Sofortimplantation am besten voraussagbar. Die Vorteile einer solchen „Typ IIImplantation“ liegen seiner Meinung nach in der geschlossenen Weichteildecke, dem Ausheilen von apikalen Läsionen und einer leichteren Positionierung der Implantate. Von entscheidendem Vorteil ist für Hämmerle der Implantationszeitpunkt sechs bis acht Wochen nach Zahnentfernung. Hier sind die von der Spätimplantation bekannten Resorptionsvorgänge des Kieferknochens klinisch noch ohne Bedeutung. Gegenüber der Sofortimplantation sind die Ergebnisse der verzögerten Sofortimplantation wissenschaftlich deutlich besser belegt.

Prof. Dr. Rudolf Fürhauser sieht die Vorteile der Sofortimplantation (Typ I) in einer optimalen Ausnutzung des vorhandenen Knochens, der reduzierten Anzahl an chirurgischen Eingriffen und einem verkürzten Behandlungszeitraum. Allerdings bestätigt Fürhauser die Problematik der Weichgewebeverluste nach Sofortimplantation, die er bei zehn Prozent der untersuchten Patienten nach einem mittleren Beobachtungszeitraum von 19 Monaten beobachtet hat. Der hohen Techniksensitivität der Sofortimplantation mit hohem logistischem Aufwand im Routine-Praxisbetrieb steht die sehr gute Akzeptanz von Seiten der Patienten als wichtiger Pluspunkt gegenüber.

Die interaktive Abstimmung zeigte, dass 67,9 Prozent der Kongressteilnehmer in der eigenen Behandlung im teilbezahnten Kiefer die verzögerte Sofortimplantation bevorzugen. 17,9 Prozent der Teilnehmer favorisieren die Spätversorgung und nur 14,3 Prozent die Sofortimplantation. Bei der Versorgung ganzer Kiefer spielte die Sofortimplantation mit nur drei Prozent sogar nur eine Außenseiterrolle. Diese klinische Realität steht damit in deutlichem Gegensatz zu dem Umfang, den die Sofortimplantation/- versorgung in Werbung und Berichterstattung in letzter Zeit in Fach- und Publikumsmedien eingenommen hat.

Dr. Jörg Hamel,Prof. Dr. Manfred WichmannDr. Johannes SchmittZahnklinik 2Zahnärztliche ProthetikUniversitätsklinikum ErlangenGlückstr. 1191054 Erlangenjoerg.hamel@uk-erlangen.de

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