Gastkommentar

Systemwechsel programmiert

Erste Verträge zwischen Krankenkassen und Ärzteverbänden sind – an den kassenärztlichen Vereinigungen vorbei – auf dem Weg. Eine Ergebnisbewertung wäre verfrüht. Sicher ist nur: Der Systemwechsel im Gesundheitswesen ist ante portas.

Dr. Rudi Mews
Parlamentskorrespondent in Berlin

Mehr Service, „besser, aber nicht billiger“, verspricht sich der Verband der Angestelltenkrankenkassen von seinem ersten Pilotprojekt in der Region Kassel mit dem Paragrafen 73 b, den der Gesetzgeber in das Sozialgesetzbuch V eingefügt hat. Dabei geht es nicht nur der SPD, sondern auch Teilen der Union darum, etablierte Machtstrukturen im System zwischen Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) und Krankenkassen aufzubrechen. Der Gesetzeszusatz erlaubt den Krankenkassen nichts weniger als ärztliche Leistungen von Anbietern einzukaufen, ohne die KVen einzubeziehen. Seit der Notverordnung des Reichspräsidenten Hindenburg haben sie quasi das Monopol bei der Sicherstellung zur Behandlung von Kassenpatienten ausgeübt.

Mehr Aufmerksamkeit als Kassel hat dabei die AOK Baden-Württemberg (AOKBW) mit knapp vier Millionen Versicherten erregt. Nach der Ausschreibung ihres Modells hausarztzentrierter Versorgung, an der sich mehrere KVen beteiligt hatten, auch die KV im Ländle, ging der Zuschlag an den Hausärzteverband und die Ärztegenossenschaft Medi. Zielgruppe sind etwa 3500 Hausärzte sowie rund 6500 Fachärzte. Die Ärzteschaft beurteilt diesen massiven Systemwechsel unterschiedlich. Nicht wenige Doctores fühlen sich als Zwangsmitglieder einer KV unzulänglich vertreten. Als Körperschaft steht die KV zwischen Baum und Borke: Sie ist zugleich Interessenvertreter ihrer Kollegen und Verhandlungspartner der Politik. Namentlich der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) hat das den Vorwurf eingetragen, „verlängerter Arm der Regierung“ zu sein.

Medi und dem Hausärzteverband, die sich eine Verstetigung der Honorare versprechen, stehen jetzt jedoch zähe Verhandlungen mit der AOK bevor. Nicht ganz zufällig scheint, dass die AOK das Ländle als ersten bedeutenden Turnierplatz ausgewählt hat. Die dortige KV gilt nicht als besonders stabil; sie digeriert noch die Fusion von ehemals vier Körperschaften. Die AOK nährt die Hoffnung, mit den Vertragsärzten Geld zu sparen, verspricht den am System teilnehmenden Doctores aber andererseits die Berücksichtigung spezieller Forderungen. Abzusehen aber ist, dass die Kassen, getrieben vom Wettbewerb untereinander, versuchen werden, durch vermehrt selektive Vertragsgestaltung unmittelbar mit einzelnen Leistungserbringern deren kollektives Auftreten weiter zu schwächen. Das Bundesgesundheitsministerium bejubelt den „Handlungsspielraum“, den die AOK-BW ab Mitte 2008 nutzen will, als „innovativen Schritt“. Davon, so das Ministerium, würden die Versicherten profitieren. Ob das schon so sicher ist?

Verhandlungsgegenstand wird unter anderem die so genannte Bereinigung der Gesamtvergütung nach Maßgabe der Versicherteneinschreibung sein, die faktisch eine Minderung der KV-Einnahmen darstellt. Was aber heißt das in Euro und Cent? Zu klären ist auch, wer für die Notfallversorgung aufkommt, die ebenfalls von der Bereinigung der Gesamtvergütung ausgenommen werden soll. In der Praxis heißt dies, eine KV, die zwar nicht mehr die Gesamtversorgung sicherstellt, fungiert dennoch als Notnagel für die Restversorgung. Der alltägliche Ärger ist vorhersehbar.

Die Versicherten wiederum können künftig, nachdem sie sich – freiwillig – eingeschrieben und damit für mindestens ein Jahr festgelegt haben, nur die vertraglich einbezogenen Hausärzte frequentieren. Wer woanders zum Arzt geht, zahlt privat. Auch auf Reisen? Die hierzulande im Einklang mit der Versorgungssicherheit tradierte Versorgungsbequemlichkeit ist jedenfalls passé, ersetzt durch den politisch gewollten Kassenwettbewerb: Ob zum Nutzen oder Schaden der Versorgungssicherheit, wird jetzt ultimativ ausprobiert.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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