Gastkommentar

Populäres hilft nicht

pr
Die SPD will die staatliche Förderung der Frühverrentung bis 2015 fortsetzen. Das widerspricht der schrittweisen Erhöhung der Altergrenze auf 67. Diese sollte Anlass sein, die Altersbegrenzung für die Kassenzulassung von Ärzten und Zahnärzten aufzuheben.

Walter Kannengießer
Sozialpolitik-Journalist

Dass die Alterung der Gesellschaft die Finanzierung der Sozialversicherung gefährden wird, ist seit Anfang der Siebzigerjahre bekannt. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit, vor allem in den Neunzigerjahren, hat die kurz- und langfristigen finanziellen Probleme aller Zweige der Sozialversicherung noch vergrößert. Die Politik hat viel zu spät und dann auch nur unzulänglich reagiert. Diese Politik setzt sich nun auch noch fort mit der nicht von der Rentenformel gedeckten Rentenerhöhung zur Jahresmitte, mit dem Beschluss der CDU-Gremien, eine Art Mindestniveau für die Renten vorzugeben und mit den Plänen der SPD, die Förderung der Frühverrentung um (zunächst?) fünf Jahre zu verlängern.

Es erscheint notwendig, Politik und Bürger daran zu erinnern, dass die Stabilisierung der Sozialversicherung, vor allem des Alterssicherungssystems, voraussetzt, das Leistungsniveau behutsam abzubauen und die Phase der Erwerbstätigkeit der Menschen zu verlängern. Daran führt kein Weg vorbei. Wer diesen blockiert, bürdet der Generation der Enkel nicht tragbare Lasten auf und provoziert Radikallösungen. Die Fakten sprechen für sich. Die Rentenversicherung hat im letzten Jahr die Renten durchschnittlich 17,4 Jahre zahlen müssen. 1995 waren es noch 15,8 Jahre und 1960 in der alten Bundesrepublik nur 9,9 Jahre. Heute entfällt auf drei Menschen im Alter zwischen 20 und 64 Jahren ein Rentenbezieher. Dieses Verhältnis wird sich bis 2030 auf 2 : 1 verschlechtern.

Wenn es nicht gelingt, die Zahl der Erwerbstätigen nachhaltig zu vergrößern, steuert das Sozialsystem dem finanziellen Kollaps entgegen. Die in der SPD nach wie vor umstrittene schrittweise Erhöhung der Altersgrenze ab 2012 auf 67 Jahre bis 2029 und die nach geltendem Recht 2009 auslaufende Förderung der Frühverrentung auf Kosten der Beitrags- und Steuerzahler sind unverzichtbare Beiträge zur Stabilisierung des Sozialsystems. Wer diese Maßnahmen in Frage stellt, handelt unverantwortlich und ebnet der einheitlichen und bedarfsorientierten Mindestrente den Weg. CDU und CSU halten bisher noch an den beschlossenen Regelungen zur Erhöhung der Altersgrenze und zum Auslaufen der staatlichen Förderung der Frühverrentung fest. Die SPD sieht die Möglichkeit, mit populären Angeboten bei den Wählern Punkte zu sammeln. Da wird es der Union schwer fallen, standhaft zu bleiben. Wer jetzt auf vermeintlich Populäres setzt, wird Rentnern, Beitrags- und Steuerzahlern die dann zwangsläufig höhere Rechnung später präsentieren.

Die Erhöhung der Altersgrenze, der sich auch die Versorgungswerke der freien Berufe nicht entziehen können, hat den von den politischen Akteuren wohl zunächst nicht erkannten Nebeneffekt, dass damit auch die Altersgrenze für die Kassenzulassung zur Disposition steht. Die Politik scheint bereit zu sein, die „68-Regelung“, wodurch die Kassenzulassung automatisch bei Erreichen des 68. Lebensjahres endet, abzuschaffen. Das ist zu begrüßen. Diese Altersgrenze für die Kassenpraxis ist mit der Tatsache, dass viele Ärzte auch im höheren Alter noch leistungsfähig sind, immer fragwürdiger geworden. Auch zwingt der Ärztemangel in ländlichen Regionen, die Regulierung des ärztlichen Angebots nicht mehr nach dem Alter der Mediziner zu begrenzen. Nicht damit zu rechnen ist freilich, dass die Zulassungssperren nach einem politisch vorgegebenen Bedarf abgebaut werden. Völlig unsinnig erscheint der Streit über den Stichtag für das Ende der 68-Regelung. Das Ministerium plant das mit dem 1. Januar 2009. Das würde bedeuten, dass alle, die noch im laufenden Jahr 68 Jahre alt werden, ihre Praxis aufgeben müssten, ob sie wollen oder nicht.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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