Kündigung von Lebensversicherungen

Am Scheideweg

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Schulden, Arbeitslosigkeit, eine lukrativere Geldanlage – es gibt viele Gründe, warum zirka jede zweite Lebensversicherung vor dem Ende der Laufzeit gekündigt wird. Die Vertragsinhaber nehmen freiwillig herbe Verluste in Kauf. In vielen Fällen hätte es sich bestimmt gelohnt, nach attraktiveren Alternativen zu suchen.

Die Vermittler von Lebensversicherungen beeindrucken ihre Kunden immer wieder mit schönen Worten und überzeugenden Zahlen. Anders lässt es sich nicht erklären, weshalb sie jährlich zirka sieben bis acht Millionen Unterschriften unter neue Verträge sammeln, von denen ein großer Teil widerrufen wird.

Ein Haken an der Messlatte

Der Haken dabei ist, dass viele Kunden erst später merken, dass dieses viel versprechende Produkt die hohen Erwartungen wohl nicht erfüllt. Andere schaffen es nicht, jahrelang die Beiträge zu zahlen. Die Folge ist, sie kündigen ihre Police vor dem Ende der Laufzeit. Laut einer Umfrage, die das Demoskopische Institut Allensbach im vergangenen Jahr im Auftrag des Zweiverwerters Cash Life gemacht hat, betrifft es jede zweite Police. Detaillierte Zahlen ermittelte die Deutsche Aktuarvereinigung Ende der neunziger Jahre. Danach werden von den Verträgen mit einer Laufzeit von zwölf Jahren 32 Prozent gekündigt, bei 20-jähriger Laufzeit 55 Prozent und bei 30-jähriger Laufzeit halten sogar 76 Prozent der Kunden nicht durch.

Warum so viele Verträge ihr Ziel nicht erreichen, haben ebenfalls die Demoskopen in Allensbach herausgefunden. Für 25 Prozent der Kündigungswilligen hat sich ein Schuldenberg aufgetürmt, der abgetragen werden muss. Elf Prozent der Versicherten benötigen das Geld für große Anschaffungen wie zum Beispiel der Kauf einer Immobilie. Leider gilt für eine ebenso große Anzahl von Kunden, dass sie sich aufgrund von Arbeitslosigkeit die Beiträge einfach nicht mehr leisten können. Als weitere Motive gelten Scheidungen oder aber die Erfüllung eines großen Wunsches. Immerhin 13 Prozent der Betroffenen haben sich Gedanken über eine bessere Geldanlage gemacht. Da die vom Gesamtverband der Versicherungswirtschaft veröffentlichte Stornoquote in den letzten Jahren ziemlich stabil geblieben ist, geht auch Ingo Wichelhaus von Bundesverband Vermögensanlagen im Zweitmarkt Lebensversicherungen davon aus, dass sich die Anzahl der Kündigungen kaum verändert haben dürften. Nicht berücksichtigt werden dabei die Verträge, die die Kunden beitragsfrei gestellt oder bei denen sie die Laufzeit verkürzt haben, um schneller von den Beiträgen los zu kommen.

Insgesamt lassen die hohen Kündigungsdaten darauf schließen, dass der Abschluss einer Lebensversicherung nicht unbedingt eine gute Entscheidung ist. Verbraucherschützer wie Edda Castello, Spezialistin für Lebensversicherungen bei der Verbraucherzentrale Hamburg, empfiehlt den Ratsuchenden deshalb auch immer, die Absicherung eines Risikos von der Geldanlage zu trennen. Ihr Hauptgrund: Die Kosten, die bei einer Lebensversicherung anfallen, sind einfach zu hoch. Besonders deutlich spüren dies Versicherte, wenn sie ihre Police kündigen. Die Höhe der Auszahlung fällt im Vergleich zu den Einzahlungen meist enttäuschend niedrig aus. Die Verbraucherzentrale Hamburg hat errechnet, dass bei einer Million gekündigter Verträge pro Jahr sich die Verluste auf insgesamt 3,4 Milliarden Euro belaufen. „Darüber regt sich niemand auf“, schüttelt Edda Castello den Kopf, „als die Göttinger Gruppe einen Schaden von 1,6 Milliarden Euro angerichtet hat, haben alle geschrieen.“

Wie schlecht die Versicherten bei der Kündigung ihrer Lebensversicherung wegkommen, weiß die Verbraucherschützerin aus jahrelanger Erfahrung. Denn im vergangenen Jahr hat sie eine Liste der Verluste auf der Homepage der Verbraucherzentrale Hamburg veröffentlicht. Auf der kann man die Daten aus 420 gekündigten Verträgen nachlesen. Die Verluste rangieren zwischen 105 und 50 408 Euro pro Police. Im Durchschnitt sind es 3 362 Euro. Das liegt daran, dass es für Verträge, die während der ersten Jahre ihrer Laufzeit gekündigt werden, nur einen sehr niedrigen Rückkaufwert gibt. Der Grund dafür ist die so genannte Zillmerung. Das heißt, dass Kosten wie Provision des Vermittlers mit den ersten Beiträgen verrechnet wird.

Häufig genug wird noch eine Stornogebühr abgezogen. Von dem eingezahlten Kapital bleibt kaum etwas übrig. Ändern sollte an dieser Praxis ein Urteil des Bundesgerichtshofs im Oktober 2005 (IV ZR 162/03, 177/03 und 245/03). Die Richter erklärten die Vertragsklauseln für intransparent und die Stornoklauseln für unwirksam. Seitdem hat der Verbraucher Anspruch auf einen Betrag, der mindestens die Hälfte des nicht gezillmerten Deckungskapitals ausmachen muss. Außerdem dürfen die Gesellschaften keine Stornokosten vom Auszahlungsbetrag abziehen. Dieses Urteil gilt für alle Verträge, die bis Mitte 2001 abgeschlossen worden sind. Nachforderungen, was den Rückkaufwert angeht, dürfen die Betroffenen, – geht es nach dem Willen der Verbraucherschützer – noch bis Ende 2010 stellen. Denn ihrer Meinung nach begann die Frist von fünf Jahren erst mit der Bekanntgabe des Urteils. Nach Meinung der Assekuranz-Branche, endete sie bereits 2005. Jetzt beschäftigen sich wieder die Gerichte damit und das kann dauern. Damit aber die betroffenen Kunden ihre Ansprüche wahren können, sollten sie Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. Bianca Boss vom Bund der Versicherten in Hamburg empfiehlt:

„Wenn das Gericht die Sache bis Ende 2010 nicht geklärt hat, müssen die Verbraucher die Gesellschaft, bei der sie versichert waren, um Unterbrechung der Verjährung bitten.“ Der Pferdefuß bei der Sache: Die Gesellschaft muss dem erst einmal zustimmen. Verträge, die nach 2001 geschlossen worden sind, sollen nach dem Willen der Richter mit besser verständlichen Klauseln ausgestattet sein. „Das passiert häufig nicht“, weiß die Juristin Edda Castello aus ihrer langjährigen Erfahrung. Die Kunden werden auch jetzt nicht genügend über die anfallenden Kosten aufgeklärt. Es kann also sein, dass sich die Richter auch mit den später geschlossenen Verträgen beschäftigen werden müssen.

Für alle Kunden aber, die in diesem Jahr eine Lebensversicherung abschließen, gilt das neue Versicherungsvertragsgesetz (VVG). Seit Juli 2008 verlangt die neue Verordnung über Informationspflichten in Versicherungsverträgen, dass der Kunde erfährt, wie viel von seinen eingezahlten Beiträgen als Provision an den Vermittler wandern. Da wird sich so mancher Unterschriftswillige die Augen reiben, wenn er erfährt, dass Beträge von mehreren tausend Euro in die Taschen des Beraters fließen. Besser gestellt sind diejenigen, die ihren Vertrag erst in diesem Jahr abschließen.

Wer jetzt vorzeitig kündigen will, dem steht ab diesem Jahr zumindest der Geldbetrag zu, der vorhanden wäre, wenn die Kosten über die ersten fünf Jahre der Laufzeit verteilt worden wären. Für Verträge, die bis Ende letzten Jahres unterschrieben worden sind, kommen die neuen Rechte erst ab dem 1. Januar 2009 zum Tragen, allerdings mit einer entscheidenden Ausnahme: Die kundenfreundlichere Berechnung der Rückkaufwerte steht ihnen nicht zu. Aber auch, wer nach fünf Jahren kündigt – und das sind die meisten – haben die Abschlusskosten für einen Vertrag, der vielleicht über Jahrzehnte läuft, schon bezahlt. Das Geld ist weg.

Von einer Änderung des VVG profitieren aber auch die alten Verträge bei einer Kündigung. Die Lebensversicherer müssen alle Kunden an den stillen Reserven beteiligen. Darin stecken die Vermögensgewinne, die die Gesellschaft nicht realisiert hat. Endet die Versicherung, steht dem Kunden die Hälfte der stillen Reserven zu.

Grundsätzlich aber gilt, wer zum Beispiel einen teuren Kredit zu tilgen hat, tut gut daran eine Lebensversicherung, die ihm vielleicht vier Prozent Rendite bringt, vorzeitig zu kündigen. Auch wenn es schmerzt, Tausende von Euro verloren zu haben, das Geld ist sowieso weg.

Kostenlos funktioniert eine Kündigung zu Beginn der Laufzeit. Während der ersten 30 Tage hat jeder Antragsteller ein Widerrufsrecht. Der Bund der Versicherten hält noch weitere Tipps bereit: „Im Übrigen kann man von der Lebensversicherung zurücktreten oder diese aufheben, indem man den Erstbetrag nicht zahlt (auch wenn in den Bedingungen steht, der erste Jahresbeitrag müsse in jedem Fall bezahlt werden).“ Ein weiterer Hinweis lautet, erst einmal die Beitragszahlungen einzustellen. Der Versicherungsschutz besteht bis die Gesellschaft mahnt und per Einschreiben seinen Wegfall ankündigt.

Statt der kompletten Kündigung kann auch eine Vertragsänderung zum gewünschten Ergebnis führen. Je nachdem wie alt der Versicherte ist, lässt die Gesellschaft sich vielleicht auf eine reine Risikolebensversicherung ein, vorausgesetzt der Kunde erfreut sich bester Gesundheit.

Verkürzte Laufzeit

Wird das Kapital von der Versicherung nicht sofort benötigt, bietet sich vielleicht eine Verkürzung der Laufzeit an. Kunden, die noch Anspruch auf steuerliche Vorteile haben, entscheiden sich für eine Laufzeit von zwölf Jahren. Hält der Versicherte die Bestätigung für die Verkürzung in den Händen, kann er die letzten Jahre noch beitragsfrei stellen lassen.

Die Police behalten ohne weiter regelmäßig Beiträge zu zahlen, macht vor allem denn Sinn, wenn der Vertrag kurz vor dem Ende der Laufzeit steht. Kein Problem stellt es für 60-jährige dar, den Vertrag für die letzten fünf Jahre beitragsfrei stellen zu lassen. Mit der Verkürzung der Laufzeit kann ein regulärer Ablauf der Lebensversicherung erreicht werden. So werden vielleicht bei der Auszahlung, auch wenn sie vorgezogen ist, Schlussgewinne fällig. Eine vorzeitige Kündigung hingegen bedeutet vielleicht Abzug von Stornokosten.

Aber auch, wenn ein Vertrag weitergeführt werden soll, lässt sich vielleicht der Beitrag reduzieren. Denn auf überflüssige Zusätze wie eine eingebaute Dynamik können Versicherte leicht verzichten. Bei einer Dynamik erhöhen sich die Versicherungssumme und die Beiträge regelmäßig. Entsprechend den Beitragsbemessungsgrundlagen der Sozialversicherung oder nach einem vertraglich festgelegten Prozentsatz. Den meisten Kunden dürfte nicht bewusst sein, dass auch von den Erhöhungen wieder Provisionen und Abschlusskosten abgezogen werden und so die Rendite schmälert.

Den Staffellauf …

Müssen Schulden zeitnah getilgt werden, bleibt den Betroffenen häufig keine Zeit, auch eine verkürzte Restlaufzeit abzuwarten. Sie brauchen ganz einfach das Geld. Oder aber sie besitzen einen Vertrag, auf dessen Erträge ab 2009 die Abgeltungssteuer anfällt. Davon betroffen sind Verträge, die nach dem 31.Dezember 2004 geschlossen worden sind. Dabei entfallen 25 Prozent Abgaben auf die Differenz zwischen eingezahlten Beiträgen und Verkaufserlös. Die Erträge aus Policen älteren Datums, die eine Laufzeit von mindestens zwölf Jahren hinter sich haben, bleiben auch weiterhin steuerfrei. Führt der Versicherte seine Police aber weniger als zwölf Jahre und will er sie verkaufen, sollte er es noch in diesem Jahr tun, dann verzichtet der Fiskus.

Die Zweitverwerter locken die Verkaufswilligen damit, dass sie ihnen höhere Beträge anbieten als die Versicherung bei einer Kündigung bereit ist zu zahlen. Allerdings geben sich die Aufkäufer sehr wählerisch. Zum einen interessieren sie sich nur für die klassische Kapitallebensversicherung, die risikoreichere fondsgebundene Variante wollen sie nicht.

Der Klassiker bietet einfach mehr Sicherheit: Die Gesellschaften garantieren eine Mindestverzinsung von derzeit 2,25 Prozent, ältere Verträge bekommen sogar vier Prozent. Darüber hinaus steht den Versicherten ein Anteil an den erwirtschafteten Überschüssen zu. Im vergangenen Jahr waren das im Schnitt 4,25 Prozent. Die Zinsen wirken sich aber nur auf den Sparanteil der eingezahlten Beiträge aus und das sind zirka 70 bis 80 Prozent des gesamten eingezahlten Kapitals. Den Rest verwendet die Gesellschaft für Provisionen der Vermittler, Verwaltungsaufwand und den Risikoschutz. Der Zweitverwerter bekommt also die reine Anlage, die Nebenkosten sind erledigt. Dank des Garantiezinses weiß er auch, wie viel am Ende mindestens übrig bleibt. Die Attraktion für den Verkäufer liegt in dem Preis, den die Gegenseite bereit ist zu zahlen. Er liegt meist drei bis vier Prozent über dem Angebot der Versicherung. Stornogebühren fallen dann auch nicht an.

… mit Hindernissen

Doch ganz so einfach ist das Prozedere nicht. Gesellschaften wie Cash Life, CFI Fairplay oder die Policen Direkt stellen keine generellen Bedingungen. Sie schauen sich jede einzelne Police an. Allgemein lässt sich sagen, dass der Rückkaufwert eine bestimmte Größe nicht unterschreiten darf. Bei Cash Life sind es 5 000 Euro und bei Policen Direkt sogar 10 000 Euro, die Restlaufzeit darf im Allgemeinen nicht mehr als 15 Jahre betragen. „Verträge mit nur einem Jahr Restlaufzeit lohnen sich meistens nicht für den Ankauf,“ grenzt Ingo Wichelhaus ab, „dann sind der Police meist schon Schlussüberschüsse zugeteilt und man kann dem Kunden nicht mehr als den Rückkaufwert bieten. Das macht für den Verkäufer keinen Sinn.“ Er rät dann dazu, einfach die Police zu beleihen. Eine Rolle spielt natürlich auch die Versicherungsgesellschaft und wie gut sie wirtschaftet. Insgesamt kaufte die Branche im vergangenen Jahr Verträge im Wert von 1,4 Milliarden Euro auf.

Guter Coach gesucht

Wer sich mit dem Gedanken trägt, seine Lebensversicherung zu verkaufen, sollte sich vorher informieren, damit er auch sicher an einen seriösen Verwerter gerät. Ein Bonitätsmerkmal ist die Mitgliedschaft im Bundesverband Vermögensanlagen im Zweitmarkt Lebensversicherungen (www.bvzl.de). Ein Einblick in die Geschäftsberichte gibt Auskunft über die wirtschaftlichen Verhältnisse vor allem über die Höhe des Eigenkapitals des Unternehmens. Es muss sicher gestellt sein, dass die Firma den Kaufpreis für die Police sofort auszahlen kann. Auf eine Teilauszahlung sollte der Verkäufer sich nicht einlassen. Wie steht es mit dem Todesfallschutz? Die Erben bekommen in der Regel den Betrag ausgezahlt, der nach Abzug aller bis dahin angefallenenKosten wie laufende Beiträge, und den Kaufpreis für die Police übrig bleibt.

Welcher der Wege, sich einer Lebensversicherung zu entledigen, der günstigste ist, hängt ganz von der persönlichen Situation des Versicherten, der Stärke seiner Versicherung und bei einem Verkauf von der Seriosität des Aufkäufers ab. Es bleibt also dabei, jeder Fall muss einzeln geprüft werden, eine generelle Empfehlung kann es nicht geben. Und die Abgeltungssteuer macht sich auch nur bei sehr hohen Verkaufs- und Rückkaufswerten bemerkbar. Bei kleineren Beträgen fällt sie kaum ins Gewicht. Nur die Verbraucherschützer haben einen Tipp, der für alle gilt: Am besten schließt man erst gar keine Lebensversicherung ab, dann bleibt einem dieser Kummer erspart.

Marlene Endruweitm.endruweit@netcologne.de

 

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