Die 22. Jahrestagung der DGZ in Würzburg

Drei Tage ganz im Zeichen des Schmerzes

Heftarchiv Zahnmedizin
Prof. Dr. Dr. Hans Jörg Staehle, scheidender Präsident der Deutschen Gesellschaft für Zahnerhaltung (DGZ), sah im Thema „Schmerz und Schmerzmanagement“ zwar „prinzipiell nichts Neues“, doch bescheinigte er dem Problemfeld zugleich „absolute Aktualität im Praxisalltag“. Die Würzburger Jahrestagung beleuchtete somit das populärste Motiv zum Zahnarztbesuch, von Routineuntersuchungen oder ästhetischen Impulsen abgesehen.

Prof. Claudia Sommer, Neurologin an der Uni-Klinik Würzburg, erinnerte in ihrem Impulsreferat daran, dass schmerzhafte Empfindungen zunächst als Warnsystem des Organismus auf äußerliche oder körpereigene Reize zu deuten sind. Indessen bereiteten jene Schmerzzustände Schwierigkeiten, die ihren „ursprünglichen Sinn verloren“ hätten, wobei eben auch chronischen Mundund Gesichtsschmerzen besondere Bedeutung zukäme. Bilanzierend sah sie in genetischen Prädispositionen sowie in Reaktionen des Immunsystems auf Traumata wesentliche Forschungsfelder. Zudem gelte psychischen Faktoren explizites Augenmerk. Es nimmt Wunder, dass gerade die Zahnmedizin bislang über keine zufriedenstellende Klassifikation von Schmerzzuständen verfügte, wo doch bereits im 18. Jahrhundert Autoren wie Philip Pfaff „Zahnwehe“ als übles Leiden beschrieben. Prof. Jens Christoph Türp, Basel, kritisierte eine von der Internationalen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes 1994 veröffentlichte Typologie als „zu ungenau für die klinische Arbeit“. Gemeinsam mit Dr. H. Joachim Schindler und Hans Jörg Staehle, beide Heidelberg, erweiterte er die Differenzierung nach „Dentin-Schmerz“, „Pulpa-Schmerz“, „Schmerzen im Zusammenhang mit Parodontitis oder Abszessen“ und „atypischen, also nicht mit Läsionen korrespondierenden Schmerzen“ um den alveolär-ossären Schmerz, um „auf Zähne übertragene Schmerzen“ sowie auf „psychogene (idiopathische)“ Leiden. Die Diskussion zeigte, dass auch eine verfeinerte Typologie nur Modellcharakter besitzt, weil in der Realität Mischformen auftreten. Wesentlicher noch: Wenn Schmerzen psychosomatisch oder gar neurotisch begründet seien, bedürfe es nach Ansicht des Auditoriums der Zusammenarbeit mit Fachleuten. Auch Übertragungen seien nur schwer zu diagnostizieren, kenne der Zahnarzt nicht die komplexe Krankengeschichte. Dennoch bestehe am differenzierenden Konzept kein Zweifel. Türp plädierte dafür, Odontalgie mittels klinischer Befunde zu definieren. Jede Klassifikation müsse sich in der Praxis beweisen.

Prof. Dr. Wolfgang H.-M. Raab, Direktor der Uni-Klinik Düsseldorf, bestätigte bezüglich des Managements akuter Schmerzen, dass von der tradierten These, „die erkrankte Pulpa sei ein verlorenes Organ“, Abschied zu nehmen sei. In vielen Fällen könne die Pulpa vital „gerettet“ werden. Zur Diagnose reversibler Erkrankungen betonte er insbesondere Ausschlussverfahren der diagnostischen Anästhesie.

Es fehlen oft interdisziplinäre Ansätze

Ob nun Dr. Werner Betz, Frankfurt, anhand „unklarer Schmerzzustände“ vor falschen Strategien oder gar Behandlungsfehlern warnte oder Prof. Günter Sprotte, Würzburg, seitens der „Anästhesiologie“ auf Patienten verwies, deren Schmerz lokalpathologisch nicht zu erhellen wäre; viele Referenten nutzten Vokabeln wie „unangenehme Aufgabe“, „schwierige Anamnese“, um letztlich interdisziplinäre, zumindest komplexe Ansätze einzuklagen. Kommunikationsfähigkeit muss heute diagnostische und behandlungstechnische Perfektion ergänzen.

Wenn Dr. Stefanie Feierabend, Würzburg, zu (über-)empfindlichen Zahnhälsen referiert und dabei festhält, dass Probleme mit freiliegendem Dentin keineswegs nur bei älteren Patienten nach Parodontaltherapie vorkommen, sondern auch jüngere Menschen darunter leiden, so plädiert sie ganz „praxisbezogen“ ebenfalls für diagnostische Ausschlussverfahren. Karies, Frakturen oder post-restaurative Schmerzen sind vorab zu behandeln. Übertriebene Mundhygiene oder zu säurehaltige Ernährung können leicht abgestellt werden. Beratung hilft, bevor aktive Eingriffe wie Versiegelungen oder gar chirurgische Maßnahmen nötig werden.

Hypersensibilität nach Operationen rückte Prof. Bernd Haller, Ulm, ins Blickfeld: neben Temperaturempfindlichkeiten sprach er „typische Schmerzsymptomatiken nach adhäsiven Restaurationen an, die normalerweise gut zu lokalisieren seien. Im eigentlichen Sinne sei eine Therapie nicht möglich, sodass präventiven Maßnahmen – beispielsweise der Auswahl geeigneter Bondingsysteme – Aufmerksamkeit gebühre. Dr. Hans-Willi Herrmann, Bad Kreuznach, sprach im Praktikerforum den endodontischen Notfall als „unangenehmstes Ereignis im Praxisalltag“ an. Er glaubt aber, dass schmerzfreie Behandlung meist möglich sei und wertet diese Chance als „vertrauensbildende Maßnahme“. Ganz ähnlich äußerte sich Prof. Dr. Claus Löst, Tübingen: „So einfach wie möglich muss eine Therapie sein, zudem darf sie spätere, zahnerhaltende Maßnahmen nicht erschweren.“ Er sah indessen Nachholbedarf bei manchem praktizierenden Kollegen, „gerade im Routinebereich an neuen wissenschaftlich fundierten Konzepten“ zu partizipieren.

In dem Maße, wie die „klassischen Krankheiten“ Parodontitis und Karies bei prophylaktischer Vorgehensweise relativ kontrollierbar erscheinen, wächst die Anzahl der Patienten, deren Beschwerden, verbunden mit akutem oder chronischem Schmerz, dem atypischen Kreis zu geordnet werden müssen. – Der behandelnde Arzt ist demnach auch als genauer Beobachter der psycho- sozialen Prädispositionen gefragt. Damit angesprochen ist über das diagnostische Erstgespräch hinaus auch die zunehmende Korrespondenz mit Humanmedizinern oder Psychologen.

Termin 2009

Die 23. Jahrestagung der DGZ wird vom 15. bis 16. Mai 2009 in Hannover stattfinden. Der neu gewählte DGZ-Vorstand lädt Sie zu dem Hauptthema „Basisversorgung versus Luxusversorgung“ ein. Die Thematik greift eine Fragestellung auf, die für die heutige zahnärztliche Praxis von herausragendem Interesse ist. In wissenschaftlichen Impulsvorträgen werden Themen behandelt, bei denen in den letzten Jahren wesentliche Fortschritte erzielt wurden oder die sich möglicherweise von kontrovers diskutierten Maßnahmen zu Standards entwickelt haben. Hier ist eine Standortbestimmung dringend erforderlich. Neben den Impulsvorträgen zum Hauptthema erwarten Sie wieder wissenschaftliche Kurzvorträge, Posterdemonstrationen, das DGZPraktikerforum, Workshops, praktische Arbeitskurse und eine Industrieausstellung.

PD Dr. Susanne Gerhardt-SzépUniversitätszahnklinikTheodor-Stern-Kai 7, 60960 Frankfurts.szep@em.uni-frankfurt.de

Joachim SchiffFriedrich-Ebert-Str. 50, 55276 Oppenheim

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