Gesundheit interkulturell

Patient Migrant

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Rund 15 Millionen Migranten und ihre Kinder leben in Deutschland. Von Gesundheitsaufklärung und medizinischer Versorgung profitieren viele aber zu wenig, sagen Experten. Initiativen wollen das ändern.

Ohne die Muttersprache geht es nicht“, sagt Zahnärztin Dr. Yüce Günay. Sie ist Mitglied des Ethnomedizinischen Zentrums in Hannover und arbeitet dort ehrenamtlich als Mediatorin. „Wir sind Brücken zwischen den Kulturen“, beschreibt Günay die Aufgabe der bundesweit fast 700 Mediatoren aus den verschiedensten Kulturen. Sie beraten in ihrer jeweiligen Sprache in Gesundheitsfragen.

Günay selbst besucht türkische Frauengruppen in Vereinen, Moscheen und zu Hause und informiert sie von der Prophylaxe mit fluoridiertem Speisesalz bis zur Selbstabtastung zur Brustkrebsfrüherkennung. Dabei spornt sie auch dazu an, die deutsche Sprache zu erlernen. Nach Studium und Promotion hat Günay zehn Jahre im Gesundheitsdienst gearbeitet. Diese Erfahrung hilft ihr, aber sie besuchte auch spezielle Kurse des Ethnomedizinischen Zentrums in Hannover.

Barrieren für Gesundheit

„Migranten haben dieselben Bedürfnisse wie alle anderen auch“, betont Dr. Herbert Reichelt vom AOK-Bundesverband im G+GSpezial „Migranten und gesundheitliche Selbsthilfe“. Doch um ihre Gesundheit ist es vergleichsweise schlecht bestellt. Untersuchungen der vergangenen Jahre bestätigen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zufolge, dass Teilgruppen der Menschen mit Migrationshintergrund zu wenig Gesundheitsinformationen und -angebote nutzen.

Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung sind Zugewanderte und ihre Nachkommen laut Statistischem Bundesamt durchschnittlich jünger: Fast jeder Fünfte in Deutschland hat einen Migrationshintergrund, bei den unter Fünfjährigen ist es jeder Dritte.

Doch gerade bei Kindern und Jugendlichen mit ausländischen Wurzeln ist die gesundheitliche Situation nicht generell prekär – obwohl viele von ihnen in sozial benachteiligter Lage aufwachsen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Analyse auf Basis des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys des Robert-Koch Instituts (KIGGS). Ein Schwerpunktbericht „Migration und Gesundheit“ liegt jetzt ebenfalls vor (www.rki.de).

Als gesundheitsförderliche kulturelle Muster nennen die Wissenschaftler etwa ein günstigeres Stillverhalten sowie einen niedrigeren Tabak- und Alkoholkonsum bei Jugendlichen. Diese Gesundheitsressourcen gelte es in Deutschland unter den veränderten Bedingungen zu bewahren. Nachteile zeigten sich der Analyse zufolge jedoch bei Übergewicht, in der subjektiven Gesundheit und im Ernährungsverhalten. Zudem nutze der Nachwuchs der Zuwanderer seltener Vorsorgeangebote als deutschstämmige Jungen und Mädchen.

Wie die KIGGS-Analyse des Mundgesundheitsverhaltens zeigt, sind die Risiken nicht nur in Abhängigkeit vom Sozialstatus, sondern auch vom Migrationshintergrund ungleich verteilt. Vor allem Kinder und Jugendliche aus der Türkei, der ehemaligen Sowjetunion und aus arabisch-islamischen Ländern tragen der Studie zufolge ein erhöhtes Risiko für Karies: Zum einen putzen sie ihre Zähne nicht häufig genug, gehen zu selten zum Zahnarzt und nutzen wenig Fluoride. Zum anderen greifen sie häufiger zu Süßigkeiten und zuckrigen Getränken als andere Heranwachsende.

Hinweise auf eine migrationsbedingte und ethnisch geprägte Schieflage der Kariesverteilung lieferten bereits regionale Studien der Zahnärzte mit Kindern im Ennepe- Ruhr-Kreis, Osnabrück und Berlin (zm 24/98, S. 26ff).

Fremde Wurzeln sind Alltag

In Deutschland ist es medizinischer Alltag, dass (Zahn-)Ärzte und Patienten mit unterschiedlichem religiös-kulturellen und sprachlichen Hintergrund aufeinandertreffen. Arbeitsmigranten, Aussiedler, Umsiedler, Flüchtlinge, Asylbewerber und Illegale – Zuwanderer und ihre Nachkommen, zusammengefasst unter dem Begriff „Menschen mit Migrationshintergrund“, sind eine heterogene Gruppe.

Die meisten von ihnen stammen laut Statistischem Bundesamt aus der Türkei, gefolgt von der Russischen Föderation und Polen. Häufig kommen sie auch aus Italien, Serbien und Montenegro, Kasachstan, Rumänien, Kroatien, Griechenland sowie Bosnien und Herzegowina und der Ukraine. Zuletzt wertete das Statistische Bundesamt Angaben zu Zuzug, Staatsangehörigkeit und Einbürgerung im kürzlich veröffentlichten Mikrozensus 2006 aus. Zwei Drittel aller Betroffenen haben der Statistik zufolge seit 1950 ihr Heimatland verlassen, darunter viele mit europäischen Wurzeln oder muslimischer Herkunft.

Wenn die Verständigung nicht klappt

Allein rund 3,2 Millionen Moslems leben nach Angaben des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD) in der Bundesrepublik. Die Mehrzahl von ihnen stammt aus der Türkei, allein in Berlin leben über einhunderttausend Menschen mit türkischem Pass.

Wissenschaftler der Charité Universitätsmedizin Berlin untersuchten kürzlich Verständigungsschwierigkeiten bei Krankenhausaufenthalten. Sie befragten Ärzte der Inneren Medizin und der Gynäkologie an drei Berliner Kliniken mit hohem Migrationsanteil innerhalb der Patientenschaft. Mit dem Ergebnis: Fast ein Fünftel der Klinikärzte hält die Kommunikation mit Patienten türkischer Herkunft für unzureichend.

Ein großes Problem: Sprachschwierigkeiten. Die Mediziner bemerkten zudem, dass Patienten mit türkischen Wurzeln ihre Beschwerden eher zurückhaltend beschreiben. „Das führt häufig dazu, dass der Arzt nicht alle medizinisch relevanten Fakten kennt“, erklärt Dr. Birgit Babitsch vom Institut für Geschlechterforschung in der Medizin, die die Studie betreut hat. „Dolmetscher am Krankenbett könnten die interkulturelle Verständigung verbessern“, schlägt die Gesundheitswissenschaftlerin vor. Wie diese finanziert werden sollen, sagt sie nicht.

Allerdings berichteten die Mediziner mit einer Quote von bis zu zwölf Prozent auch über Kommunikationsprobleme bei deutschen Patienten. Geschlechterspezifische Schwankungen innerhalb der ethnischen Gruppen gab es laut Babitsch kaum.

Mehrsprachige Prävention

Bei den Sprachbarrieren setzt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) an: Für Migranten, die sie nicht mit deutschsprachigen Materialien, Fernsehund Kinospots sowie persönlicher Beratung erreichen kann, hat sie Informationsangebote in mehreren Sprachen entwickelt. Hinweise für Experten liefert der „Infodienst Migration und öffentliche Gesundheit“.

Über HIV-Übertragung und Aids-Gefahr klärt die BZgA mit einem Faltblatt in 29 Sprachen auf (Download unter www.gibaids- keine-chance.de). Um Vorsorge und Behandlung von HIV bei Menschen mit Migrationshintergrund noch wirksamer zu machen, setzt sich die Fachbehörde gemeinsam mit anderen Organisationen für mehr kultursensible Beratung und Selbsthilfe ein. Gerade beim Thema HIV gelte es, zusätzlich Tabus und Diskriminierung zu berücksichtigen.

„Verbesserte Angebote der Gesundheitsaufklärung und -vorsorge für Migranten fördern gesundheitliche Chancengleichheit und Integration und dienen damit der gesamten Gesellschaft“, unterstreicht BZgA-Direktorin Prof. Dr. Elisabeth Pott.

Gleiche Chancen für gesunde Zähne

Für gesundheitliche Chancengleichheit setzt sich auch die Zahnärzteschaft ein. „Unser Ziel ist es, alle Bevölkerungsgruppen mit Prophylaxemaßnahmen zu erreichen“, sagt Dr. Dietmar Oesterreich, BZÄK-Vizepräsident und alternierender Vorsitzender der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege (DAJ). Der Berufsstand sei sich seiner ethischen und sozialen Verantwortung bewusst. „Wir wollen auch die Gesundheitschancen der Risikogruppen verbessern, zu denen auch viele Migranten zählen“, bekräftigt er.

Zu vielen Fachthemen existieren mehrsprachige Patienteninformationen: „Bebini zubi trebaju da blistaju – ispravno piti pomaz×e tome“ heißt die kroatische Version eines sechsseitigen DAJ-Faltblattes für Mütter. „Babys Zähne sollen strahlen – richtiges Trinken hilft dabei“, so der deutsche Titel, informiert über die Bedeutung der Milchzähne und gibt Tipps fürs Stillen, zu Schnullergebrauch und Zahnpflege. Die Broschüre ist auch in arabisch, englisch, französisch, polnisch, russisch, serbisch und türkisch erschienen.

Die Resonanz sei gut, betont DAJGeschäftsführerin Dr. Christiane Goepel. Neben deutschen Zahnarztpraxen, Gesundheitsämtern, Landesarbeitsgemeinschaften und Arbeitsgemeinschaften für Jugendzahnpflege bestellten viele Kinderarztpraxen und auch Einrichtungen aus dem EU-Ausland.

Für die Zielgruppe Jugendliche startete die DAJ 2006 die Kampagne „Be küssed!“. „Für Migrantenkinder haben wir spezielle Materialien erstellt“, erläutert Goepel. Eine Evaluation der Hilfsmittel und deren Einsatz im Prophylaxeunterricht soll demnächst erscheinen.

Geplant ist laut DAJ auch eine Erhebung zur Mundgesundheit bei Migrantensprösslingen: Im Rahmen einer Pilotstudie soll Prof. Dr. Klaus Pieper vom Universitätsklinikum Gießen und Marburg – in Ergänzung zu den Epidemiologischen Begleituntersuchungen 2009 – in einer kleinen Stichprobe Daten zu Mundgesundheitszustand und ethnischer Zugehörigkeit erfassen. Langfristiges Ziel sei eine bundesweite Datenlage, die Anhaltspunkte für die Integration liefert.

Wissenslücken bei Patient und Arzt

Neben der Sprache sind es vor allem kulturell- religiöse Barrieren, die bei Migranten und ihren Kindern Gesundheitsaufklärung und medizinische Behandlung erschweren. Selbst am Zahnarztstuhl kann es zu interkulturellen Schwierigkeiten zwischen Behandler und Patient kommen. Deshalb ist laut Zahnärztin Yüce Günay Feingefühl am Stuhl gefragt: Muslimischen Patientinnen könne es beispielsweise unangenehm sein, wenn sich der Zahnarzt zu stark über sie beuge, weiß sie aus Gesprächen mit türkischen Frauen. Einige hätten deswegen bereits den Behandler gewechselt. Sie appelliert an Zahnärzte, sich über die Gewohnheiten und religiösen Bräuche ihres jeweiligen Klientels zu informieren.

„Wir haben festgestellt, dass eine enorme Wissenslücke über die kulturellen und religiösen Hintergründe von muslimischen Patienten besteht“, erklärt Dr. Dr. Ilhan Ilkilic vom Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin an der Universität Mainz. „Aber die Ärzte können schließlich nicht alles wissen.“

Abhilfe schaffen soll ein Wissensportal zum Thema „Kultur und Gesundheit“. Die Website www.kultur-gesundheit.de, die bei einem Forschungsprojekt über die Versorgung muslimischer Patienten im deutschen Gesundheitswesen entstand, soll Experten und Laien auf Stolpersteine bei der Behandlung und Pflege von Menschen aus anderen Kulturen aufmerksam machen.

Ilkilic und seine Mitarbeiter befragten dafür 15 Monate lang Mediziner, Pfleger und Seelsorger und werteten ihre Antworten aus. Müssen kranke Muslime am Ramadan fasten? Warum bekommen sie so viel Besuch im Krankenhaus?

Das Wissensportal gibt Antworten und zeigt mögliche Konfliktfelder in der Praxis auf. Unter anderem heißt es dort, dass, abhängig vom Schweregrad ihrer Erkrankung und der Intensität ihrer Frömmigkeit, muslimische Patienten Medikamente ablehnen, die nach den islamischen Normen als verboten (harâm) geltende Substanzen beinhalten. Dazu zählen Arzneien mit Alkoholanteil oder Bestandteilen aus Schwein, wie bestimmte Hustensäfte oder Gelatinekapseln.

Die Nachfrage nach dem Portal sei sehr hoch, sagt Ilkilic. Denn: „Im Medizinstudium in Deutschland wird kaum etwas über Ethik und den Umgang mit muslimischen Patienten vermittelt“, unterstreicht der Medizinhistoriker.

Für die Verständigung zwischen Arzt und Patient ist es nach Ansicht von Ilkilic für beide Seiten wichtig, sich gründlich zu informieren und um eine gute Kommunikation zu bemühen. Auf Mediziner kämen künftig vermehrt interkulturelle Herausforderungen zu: Die erste Generation der Gastarbeiter, die in den Sechzigerjahren nach Deutschland kam, habe mittlerweile ein hohes Alter erreicht und benötige nun verstärkt medizinische Hilfe.

Psychiater denken um

Folgenschwer können interkulturelle Missverständnisse zwischen Psychiatern und ihren Patienten sein, betont Dr. Yesim Erim, Leiterin der Psychosomatischen psychotherapeutischen Ambulanz an den Rheinischen Kliniken Essen: „Ein Kliniker, der mit den Besonderheiten des kulturellen Umfelds der Hilfe suchenden Personen nicht vertraut ist, kann normale Spielarten des Verhaltens, des Glaubens oder der Wahrnehmung als krankhaft beurteilen.“

Deshalb sollten psychiatrisch Tätige die kulturelle Identität ihrer Patienten stärker berücksichtigen. Werden Angebote kultursensibel und bilingual ausgerichtet, nehmen Migranten diese Erim zufolge auch besser an: Ihr Anteil in den Kliniken steigt auf ein Niveau, das ihrem Prozentsatz in der Allgemeinbevölkerung entspricht.

Die unzureichende Versorgung hat laut Arif Ünal, Leiter des Gesundheitszentrums für MigrantInnen Köln, auch strukturelle Ursachen. Das will der Landschaftsverband Rheinland ändern. Er plant, die Versorgung psychisch erkrankter Zuwanderer zu verbessern – mit dem Ausbau spezieller Zentren, interkultureller Weiterqualifizierung und zusätzlichen muttersprachlichen Mitarbeitern.

Interkulturelle Lotsen

Über Erfolge in der interkulturellen Gesundheitsförderung berichtet bereits das Ethnomedizinische Zentrum (EMZ) in Hannover: 2003 startete das Projekt „Mit Migranten für Migranten“ (MiMi) in Zusammenarbeit mit dem BKK-Bundesverband als Modellversuch an vier Standorten. Heute sind es 26 Städte in zehn Bundesländern, sagt EMZ-Geschäftsführer Ramazan Salman. Elf weitere seien in Planung. Die EU wolle den MiMi-Ansatz jetzt in 16 EU-Ländern etablieren und in der AIDS-Prävention einsetzen. „Die WHO hat die Begleitforschung übernommen“, berichtet Salman. Als Schirmherrin unterstützt das Projekt Dr. Maria Böhmer, Integrationsbeauftragte der Bundesregierung.

Bislang schulte das EMZ deutschlandweit insgesamt 682 interkulturelle Mediatoren aus 44 Herkunftsländern – wie Zahnärztin Yüce Günay. Was alle verbindet: Sie kommen aus einer Zuwanderer-Subkultur, haben gute bilinguale Sprachkenntnisse, sind offen für beide Kulturen und motiviert, ihren Landsleuten bei der Integration zu helfen.

Zudem entwickelte das EMZ in 15 Sprachen einen Wegweiser durch das deutsche Gesundheitssystem. Die Broschüre wird derzeit aktualisiert und greift verschiedene Bereiche wie Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sowie Informationen zu Arztbesuch, Krankenhausaufenthalt und Notfällen auf.

Die MiMi-Mediatoren fungieren als Lotsen durch das Gesundheitswesen, informieren und beraten ehrenamtlich. In einem mehrwöchigen Kurs lernen sie Inhalte zur medizinischen Versorgung sowie Prävention und Gesundheitsförderung. Themen sind etwa Krebsfrüherkennung, Schwangerschaftsvorsorge und Zahnprophylaxe.

MiMi und Mundgesundheit

Mundgesundheit gehört zu den meist gefragten Gesundheitsthemen“, bekräftigt Salman. „Migranten wünschen sich genau wie Nicht-Migranten gute Zähne, die möglichst ein Leben lang stark und gesund bleiben.“ Seine Mitarbeiter beobachteten jedoch oft, dass viele Neuankömmlinge bereits in ihren Heimat unterversorgt waren. „Zudem stellen wir immer wieder fest, dass die Migration tiefgreifend die Lebensbedingungen und Ernährungsgewohnheiten der Einzelnen und Familien verändert und mundgesundheitliche Probleme verstärkt“, ergänzt der Medizinsoziologe. Die Betroffenen nutzen präventive Angebote nicht genug, grundlegende Informationen fehlten häufig auch in der zweiten und dritten Generation.

„Gute Erfahrungen haben wir mit MiMi- Veranstaltungen in Praxen gemacht“, blickt Salman zurück. Existiere ein MiMi-Standort in der Nähe, könnten Zahnärzte auf die Mediatoren zugehen und gemeinsame Termine planen. Entsprechende Kooperationen soll es laut EMZ in den kommenden zwei Jahren besonders in Bayern und Niedersachsen geben. Sinnvoll sei zudem, dass sich Zahnärzte bei lokalen Migrantenvereinen vorstellten. Die Kinder würden zwar via Jugendzahnpflege erreicht, die Eltern sollten jedoch noch stärker eingebunden werden.

In der zahnmedizinischen Forschung und Lehre ist Migration verstärkt ein Thema. „Wichtig erscheint uns, dass in die Curricula der Fort- und Weiterbildung, aber auch der universitären Ausbildung Module entwickelt werden, die den Bedarf des Fachpersonals und seiner internationalen Patientenschaft entgegen kommt“, sagt Salman. Das EMZ arbeite etwa mit der Zahnklinik der Medizinischen Hochschule Hannover zusammen. Flächendeckende Daten sowie weitere Grundlagenforschung seien wünschenswert. „Es passiert schon viel“, resümiert der EMZ-Geschäftsführer. „Doch wir sollten uns in Deutschland besser vernetzen.“

Aufklärung als Gemeinschaftsaufgabe

„Aufklärung ist das A und O“, betont Prof. Dr. Hüsamettin Günay, Klinik für Zahnerhaltung, Parodontologie und Präventive Zahnheilkunde der Medizinischen Hochschule Hannover. Auch er setzt auf Vernetzung. Mitwirken müssten neben den Zahnärzten Hebammen, Frauen- und Kinderärzte.

Der Grundstein müsse bei den Müttern in der Schwangerschaft gelegt werden, unterstreicht Günay. Er hat ein Präventionskonzept entwickelt und in Studien nachgewiesen, dass Gesundheitsfrühförderung auch bei Risikogruppen eine Verbesserung der Mund- und allgemeinen Gesundheit der Kinder bewirkt (zm 17/07, S. 44ff). Das Konzept sowie die besonderen Aspekte bei der Betreuung von Migranten seien bereits fester Bestandteil der studentischen Ausbildung in Hannover, so Günay.

Virtuelles Netzwerk

Ein Netzwerk mit Fachwissen über die Gesundheit von Migranten und ethnischen Minderheiten ist das Ziel eines EU-Projektes zum Thema „Migration und Gesundheit“. „Migration bedeutet auch, die Zukunft unseres Landes zu gestalten“, betont Projektleiter Prof. Oliver Razum von der Universität Bielefeld. Daher habe die Gesundheit von Migranten hohe Priorität. „Der Vernetzung von Beteiligten aus verschiedenen Bereichen kommt besondere Bedeutung zu“, ergänzt Razum. 17 Universitäten in ganz Europa entwickeln derzeit interaktive Kommunikationsplattformen. Razum leitet die Arbeitsgruppe Epidemiologie und International Public Health der Universität Bielefeld und koordiniert das deutsche Teilprojekt. Nach dem Muster der Internet-Enzyklopädie Wikipedia können Ärzte und andere Fachleute Wissen auf www.mighealth.net/de einstellen, ergänzen und diskutieren. Das Portal präsentiert zudem Initiativen und Beispiele qualitativ guter Versorgung von Migranten.

Seit Anfang Mai ist die deutsche Website online. „Unsere Seite wurde bereits 27 000- mal aufgerufen“, resümiert Projektmitarbeiterin Eva Berens. Derzeit suche Mighealthnet verstärkt Experten, die das „Wiki“ aktiv mitgestalten. „Wir haben bislang rund 30 angemeldete Nutzer“, sagt Berens. Informationen rund um die Mundgesundheit von Migranten fehlten noch. Wünschenswert sei, dass Zahnärzte Forschungsergebnisse und praktische Erfahrungen in das Internetportal einbringen.

In vielen deutschen Zahnarztpraxen arbeiten Behandler und Mitarbeiterinnen mit ausländischen Wurzeln. Inhaber sollten die kulturelle Vielfalt fördern und junge Leute aus verschiedenen ethnischen Gruppen ausbilden, sagt Mediatorin Yüce Günay. „Das schafft häufig sehr viel Vertrauen“, bekräftigt EMZ-Geschäftsführer Salman. Zahnärztin Günay arbeitet in einer Gemeinschaftspraxis in Hannover. Dort ist das Alltag.

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