BZÄK-Klausurtagung

PAR gehört in jede Praxis

226183-flexible-1900
Parodontitis stellt eine gesundheitspolitische Herausforderung dar. Grund für den BZÄK-Vorstand, auf seiner Klausurtagung am 30. und 31. Mai in Aerzen (Hameln) das Thema in den Mittelpunkt der Beratungen zu rücken, einen Problemaufriss zu skizzieren und zukunftsweisende Strategie-Ansätze zu erarbeiten. Ein weiterer Schwerpunkt war die Bedeutung von Selektivverträgen.

Parodontalerkrankungen sind in Deutschland aufgrund der demografischen Veränderungen weit verbreitet. Die Behandlung von PAR hat wegen der vielfältigen Wechselwirkungen mit dem Gesamtorganismus eine weit über die Zahnmedizin hinausgehende Bedeutung und greift tief in versorgungspolitische Fragestellungen ein. Anlass genug für den Vorstand der Bundeszahnärztekammer, das Thema auf die Agenda der jüngsten Klausurtagung zu setzen, eine professionspolitische Sensibilisierung und Standortbestimmung einzuleiten und präventionsorientierte Konzepte für diesen komplexen Bereich zu diskutieren. Basis der ausgiebigen Beratungen im Vorstand war das Selbstverständnis des Zahnarztes als Mediziner und die Brücke der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde zur Medizin.

Dr. Dr. Jürgen Weitkamp, Präsident der BZÄK, brachte das Problem auf den Punkt: „Der Zeitpunkt ist richtig gewählt: Es geht darum, das Krankheitsbild korrekt zu bewerten, Strategien zu finden, wie man die Erkrankung präventionspolitisch vermeiden kann und das Thema aus allen Facetten heraus zu beleuchten.“ Er unterstrich weiter: „Wenn wir das Geschehen künftig medizinisch beherrschen wollen, dann gehört PAR in jede Praxis.“ Er ergänzte, dass in diesem Bereich auch ein fortgebildeter Fachzahnarzt dazu gehöre und dass in der zu verabschiedenden neuen Approbationsordnung die PAR entsprechende Berücksichtigung finden müsse.

Bei den standespolitischen Aktivitäten der BZÄK spiele das Thema eine große Rolle, unterstrich Vizepräsident Dr. Dietmar Oesterreich in seiner Einführung. Er verwies auf die epidemiologische Datenlage: Die Prävalenz von Parodontalerkrankungen sei in Deutschland hoch, sie stagniere bei den Erwachsenen und steige moderat bei den Senioren. Insgesamt ergebe sich ein hoher Behandlungsbedarf, wobei den Wechselwirkungen zwischen Allgemeinerkrankungen und zahnmedizinischen Erkrankungen eine große Bedeutung zukomme. Dem stehe entgegen, dass das parodontitsrelevante Wissen in der Bevölkerung unzureichend sei. „Es herrscht ein umfassender Aufklärungs- und Informationsbedarf, bei der das Bildungswesen, die Medien, die zahnärztlichen Organisationen und das gesamte Zahnarztteam gemeinsam gefordert sind“, betonte Oesterreich.

Seine Schlussfolgerung: Aufklärungsinhalte sollten strukturiert, die Maßnahmen risikound zielgruppengerecht optimiert und die wissenschaftliche Datenbasis zu Risikofaktoren solle aufgearbeitet werden. „Die Problemlage ist vielschichtig: Es geht darum, das Wissen um die Ätiologie und Falldefinitionen zu vertiefen, die Fortbildung des Berufsstandes auf aktuelle Bedarfe hin zu überprüfen und präventions- und versorgungspolitische Lösungsansätze zu finden.“

Ein multifaktorielles Geschehen

In seinem Impulsvortrag ging der Präsident der DGZMK, Prof. Dr. Thomas Hoffmann, Dresden, ausführlich auf wissenschaftliche Aspekte ein. Er gab einen Überblick über Ätiologie, Risikofaktoren, Prävalenz und Schweregrad der Parodontitis. Hoffmann unterstrich, dass Parodontitis ein multifaktorielles Geschehen sei. Zu klären sei, inwieweit krankheitsbedingte Faktoren dabei eine Rolle spielten. Im Hinblick auf die Wechselwirkungen zwischen Risikofaktoren und Gesamtorganismus müsse noch vieles untersucht werden. Völlig unklar sei in der wissenschaftlichen Definition, ab wann überhaupt von einer Parodontitis die Rede sein könne, Parameter wie Sondierungstiefe und Attachmentverlust gäben nur bedingt Anhaltspunkte. „Die Frage stellt sich: Sind die Patienten so krank, oder wir so schlecht, oder ist die Ausgangsfrage einfach falsch gestellt“, analysierte Hoffmann. Er verwies auf Unsicherheiten bei der Definition: „Es gibt nur wenig Evidenz für das, was wir tun“.

Der DGZMK-Präsident sprach sich dafür aus, dass Hochschule und Berufspolitik gemeinsam agieren sollten, um wissenschaftliche und praxisorientierte Schwerpunkte herauszuarbeiten. Notwendig sei es, weitere vertiefende Analysen vorzunehmen, Behandlungsnotwendigkeiten zu definieren, Gesundheitsziele umzuformulieren und das Potenzial verschiedener Versorgungssysteme auszuschöpfen. Sinnvoll sei eine informationelle Strategie zur Sensibilisierung von Berufsstand und Öffentlichkeit. Generell sei es sinnvoll, den PAR-Bereich in seiner Bedeutung aufzuwerten. „Ich sehe keine Praxis, die es sich leisten kann, ohne PAR auszukommen“, prognostizierte der DGZMK-Präsident.

Auswirkung auf die Versorgung

Die versorgungspolitischen Auswirkungen innerhalb der GKV analysierte der KZBV-Vorsitzende Dr. Jürgen Fedderwitz. Er sprach sich dafür aus, die anstehenden Aufgaben abgestimmt zwischen Berufspolitik und Wissenschaft zu stemmen. In seiner Analyse ging er auf den Status quo in der GKV ein. Es herrsche eine Unterversorgungund mit dem heutigen GKV-PAR-Vertrag sei keine Therapie „state of the art“ möglich. Fedderwitz skizzierte Beispiele für Versorgungskonzepte der Zukunft und referierte über Vorschläge aus der Wissenschaft über eine zeitgemäße Versorgungsstrecke. Anschließend legte er verschiedene, mit Zahlen untermauerte Optionen und Szenarien für die Zukunft aus Sicht der KZBV dar und ging auf deren Vor- und Nachteile ein. Eine Versorgung für GKV-Patienten als Sachleistung führe zu einer massiven Überforderung der GKV und sei für den Zahnarzt unattraktiv. Alternativen sieht Fedderwitz in einem Festzuschuss-System, dass sowohl in einem Selektivvertragsmodell, als auch kollektivvertraglich realisiert werden könne. Eine Umsetzung in einem Selektivvertrag sei kurzfristig möglich, beziehe aber nicht jeden Versicherten ein – im Gegensatz zum kollektiven Modell, das aber eine gesetzliche Regelung voraussetze. Fedderwitz verwies auf offene, zum Teil sehr kritische Aspekte in Bezug auf die Kommunikation des Themenkomplexes nach innen und außen. „Die Öffentlichkeitsarbeit wird unbequeme Fragen beantworten müssen. Zum Beispiel: Ist Parodontitis überhaupt eine echte Krankheit, wo doch 90 Prozent der Bevölkerung davon betroffen sind? Ist die Unterversorgung nicht ein Versäumnis der Zahnärzte? Wäre mehr Patientenmobilisierung im jetzigen System nicht schädlich, weil sie die Zahnärzte in die Budgetfalle treibt?“ Es sei dringend erforderlich, hier Klärung zu schaffen, mahnte Fedderwitz.

Bedeutung von Selektivverträgen

Ein zweiter Schwerpunkt der Vorstandsberatungen in Aerzen war die Bedeutung von Einkaufsmodellen und Selektivverträgen in der privatzahnärztlichen Versorgung. Der Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesens und Mitglied im Consilium der BZÄK, Prof. Dr. Eberhard Wille, Mannheim, zeigte in seinem Referat Beispiele von selektivvertraglichen Vereinbarungen und integrierter Versorgung im vertragsärztlichen Bereich. Er analysierte das derzeitige Marktgeschehen und ging ausführlich auf die verschiedenen Optionen selektiven Kontrahierens ein. Dazu gehören Modellvorhaben, hausarztzentrierte Versorgung, integrierte Versorgung und weitere Formen der besonderen ambulanten ärztlichen Versorgung. Er analysierte Managed Care Modelle und Wahltarife in der GKV.

Besonders vor dem Hintergrund der GOZ-Novellierung, bei der eine sogenannte Öffnungsklausel (private Versicherungsunternehmen können mit Gruppen von Zahnärzten pauschale Sondervereinbarungen außerhalb der GOZ vereinbaren) vorgesehen ist, hat das Thema in den berufspolitischen Diskussionen der Zahnärzteschaft eine besondere Brisanz. Grundsätzlich begrüßte Wille die Öffnungsklausel in Hinblick darauf, dass sie den Wettbewerb der PKV untereinander fördert, die Qualität hebt und den Wettbewerb zwischen GKV und PKV stärkt. Die individuelle Vertragsfreiheit zwischen Arzt und Patient sei aus seiner Sicht nicht eingeschränkt. Deutlich sei aber, dass die PKV ihren Einfluss im Vertragsgeschäft erhöhen und Preise selbst aushandeln möchte, was er aber als ordnungspolitisch nicht zielführend betrachtete. Insgesamt schätzte Wille die Marktdurchdringung von Selektivverträgen im privatzahnärztlichen Bereich als wahrscheinlich gering ein. Das Instrument sei eher bei der GKV als bei der PKV denkbar.

Mit Sorge sei die wachsende Angleichung zwischen GKV- und PKV-Elementen zu betrachten, so das Fazit des BZÄK-Vorstandes. BZÄK-Präsident Dr. Dr. Weitkamp warnte eindringlich: „Die wachsende Versozialrechtlichung überzieht schleichend den gesamten Gesundheitsmarkt.“

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.