Differentialdiagnose der schmerzlosen Gesichtsschwellung

Lidschwellung erweist sich als ein malignes Lymphom

pr

Ein 62-jähriger Patient wurde mit einer über mehrere Wochen zunehmenden, schmerzlosen Schwellung latero- und supraorbital rechtsseitig vorgestellt. Anamnestisch gab er an, dass er vor zwei Monaten im Rahmen seiner Berufsausübung eine Eisenstange gegen die rechte Augenbraue bekommen habe. Seitdem würde die Schwellung bestehen und an Größe zunehmen.

Klinisch fand sich eine derbe, zweihöckrige Schwellung von zirka 2 cm im größten Durchmesser (Abbildungen 1 a + b). Die bedeckende Haut war reizlos, nicht gerötet und gut über der Raumforderung verschieblich. Der Befund selbst imponierte basalwärts adhärent. Die Motorik der mimischen Muskulatur und die Sensiblität im Versorgungsbereich des N. trigeminus waren regelrecht, die Bulbi frei beweglich. Doppelbilder wurden von dem Patienten nicht beschrieben. Zeichen einer Konjunktivitis oder eines Exophthalmus bestanden nicht. Da der Patient über ein Trauma berichtete, wurde zunächst eine Computertomographie durchgeführt. Hier ergab sich kein Anhalt für eine knöcherne Läsion. Bei Änderung der Fensterung zeigte sich allerdings schemenhaft eine Gewebevermehrung (Abbildungen 2 a+b).

Sonographisch (Abbildungen 3 a + b) stellte sich am lateralen oberen Orbitarand eine echoarme, aus homogenen nodulären Strukturen aufgebaute Raumforderung mit dorsaler Schallverstärkung und ausgeprägter umgebender Vaskularisierung dar. Der Befund ließ auf eine Erkrankung ausgehend von der Tränendrüse schließen. Eine Probeentnahme erfolgte daraufhin in Lokalanästhesie über einen Augenbrauenrandschnitt.

Das Ergebnis der histopathologischen Untersuchung ergab schließlich ein diffus großzelliges B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphom. Die Abbildung 3 a zeigt die HE-Färbung des gewonnenen Gewebes vom rechtsseitigen Orbitarand. Es stellten sich neben einem dichten lymphozytären Infiltrat große atypische Zellen mit irregulären Kernformen dar. In der immunhistologischen Darstellung (Abbildung 3 b) exprimieren praktisch alle Zellen CD-20, einen Oberflächenmarker der B-Zell-Reihe. Die Proliferationsrate anhand der Ki-67 Färbung lag fokal bei bis zu 60 Prozent.Nach Diskussion in der interdisziplinären Tumorkonferenz wurde der Patient der Onkologischen Universitätsklinik im Hause zugeleitet. Im Rahmen der weiteren Staging-Untersuchungen ergab sich neben dem gesicherten aggressiven Lymphom eine chronisch lymphatische Leukämie vom B-Zelltyp (B-CLL), so dass das aggressive Lymphom als sekundär entstanden interpretiert wurde. Die B-CLL wurde in das Stadium C nach Binet eingestuft. Zur Therapie des diffus großzelligen B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphoms wurde eine Chemotherapie nach dem R-CHOP 14-Schema eingeleitet. Die Schwellung am Orbitarand war darunter nach kurzer Zeit regredient. Nach Abschluss der Chemotherapie des aggressiven Lymphoms ist die Chemotherapie der chronisch lymphatischen Leukämie geplant

Diskussion

Die typischen klinischen Kennzeichen nodaler maligner Lymphome wurden im Rahmen dieser Serie kürzlich am Beispiel einer kraniozervikalen Manifestation erläutert (Siehe ZM 6/2009). Im Gegensatz dazu handelt es sich im vorliegenden Fall um die seltenere Variante eines extranodalen malignen Lymphoms. Der Befall der Tränendrüse oder der Haut als den hier wahrscheinlichen Ausgangspunkten ist recht ungewöhnlich, denn zumeist betreffen die extranodalen Manifestationen Gewebe mit einer hohen Dichte von lymphatischem Gewebe. Typischerweise ist der Waldeyersche Raschenring, die Ohrspeicheldrüse aber auch die Drüsenzone der Mundschleimhaut betroffen. Die Lymphome sind hier oft vom MALT-Typ (Mucosa Associated Lymphatic Tissue). Die zusätzliche Diagnose einer chronisch lymphatischen Leukämie ist anhand klinischer Symptome der Gesichtsregion üblicherweise kaum fassbar. Für den Patienten ist allerdings die Prognose aufgrund des fortgeschrittenen Stadiums der chronisch lymphatischen Leukämie (Stadium C nach Binet) insgesamt nicht gut. Die mittlere Überlebenszeit beträgt in dieser Situation nur rund 24 Monate.

Regelrecht klassisch und aus didaktischen Gründen sicher lehrreich ist hingegen die Anamnese, bei der ein traumatisches Ereignis zunächst als Ursache der Schwellung angenommen wurde. Entsprechend war die Einstellung des CTs zunächst auch nicht auf die Weichgewebsdarstellung, sondern auf die knöchernen Strukturen hin optimiert, so dass die tatsächliche Struktur der Raumforderung fast nicht erkennbar war. Tatsächlich neigen sowohl Patienten als auch Behandler recht gerne dazu einen Kausalzusammenhang zwischen Raumforderungen und einem Unfallgeschehen anzunehmen, da diese Zusammenhänge aus der persönlichen Erfahrungswelt einigermaßen plausibel sind. An solchen Verdachtsdiagnosen wird leider auch dann oft noch festgehalten, wenn, wie hier, die Unfallfolgen längst abgeheilt sein müssten. Problematisch sind in dieser Situation Erkrankungen wie extranodale Lymphome, die selbst ein sehr uncharakteristisches klinisches Erscheinungsbild haben, da sich dann kaum Anhaltspunkte für eine konkrete andere Verdachtsdiagnose ergeben.

Für die zahnärztliche Praxis weist dieser Fall zum einen auf die Bedeutung der extraoralen klinischen Untersuchung hin, mit der im vorliegenden Fall die Erstmanifestation einer hämatologisch-onkologischen Systemerkrankung erkannt wurde. Zum anderen zeigt der Fall, dass auch ein zunächst plausibler pathogenetischer Kausalzusammenhang hinterfragt werden muss, wenn die Erkrankung einen ungewöhnlichen, beispielsweise protrahierten Verlauf nimmt.

Dr. Dr. Marcus Stephan KriwalskyProf. Dr. Dr. Martin KunkelKlinik für Mund-, Kiefer- und plastische GesichtschirurgieRuhr-Universität BochumKnappschaftskrankenhaus Bochum-LangendreerIn der Schornau 23-2544892 Bochummarcus.kriwalsky@ruhr-uni-bochum.demartin.kunkel@ruhr-uni-bochum.de

LiteraturHartmann, F., Hiddemann, W., Pfreundschuh, M., Rübe, C. et Trümper, L., Maligne Lymphome. Onkologe, 8 (Suppl 1), S.21-27 (2002).Rüdiger, T. et Müller-Hermlink, H.K., Die WHO-Klassifikation maligner Lymphome. Radiologe, 42, S.936-942 (2002).

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