Gastkommentar

Der deutsche Traum …

Thomas Grünert, Chefredakteur Vincentz Network Berlin: Kostendämpfung, Regulierungswut und das Zentralisieren von Entscheidungen verleiden die Zufriedenheit mit unserem Gesundheitswesen. Doch könnte mehr Vertrauen in Leistungserbringer und Selbstverwaltung den Traum von einem deutschen Vorbild stärken. Denn unser System birgt Potenziale, von denen die USA bisher nur träumen können.

In Berlin träumt die gesundheitspolitische Landschaft still vor sich hin. Allenfalls der Alptraum der Gesundheitsministerin von Dienstwagen und spanischen Autodieben trübt ein wenig die sommerliche Stille. Derweil träumt Präsident Obama in den USA, nachdem ihn die Erfüllung des sogenannten „amerikanischen Traums“ (Yes, we can) zum mächtigsten Mann der Welt machte, jetzt einen deutschen Traum: eine Krankenversicherung für alle. Einen Traum, der sich für uns Deutsche lange erfüllt hat. „Yes, we have“, könnte das Motto sein. Nur – so hatte man hierzulande in den letzten Jahren oft das Gefühl – herrscht keineswegs Zufriedenheit mit dem Zustand. Aktuelle Umfragen, wie beispielsweise die in diesen Tagen von forsa erstelle MLP-Studie, machen deutlich: Die Deutschen haben Angst. Angst, dass das System der Krankenversorgung nicht mehr funktionieren könnte. Und politischer Zentralismus nährt sich aus Angst. Man könnte den Eindruck haben, es ist ein Teufelskreis entstanden, der ein Gesundheitssystem, auf das wir stolz sein müssten, in immer neuen Reformversuchen bis zur Unkenntlichkeit zerreibt. Natürlich muss man die demografische Entwicklung im Blick haben, den medizinisch-technischen Fortschritt berücksichtigen, die Frage der sozialen Gerechtigkeit im Auge behalten. Wenn man allerdings die Politik der letzten Jahre betrachtet, sehen wir eine Kette künstlich geschürter Ängste und einen Wust an Gesetzen, die das in der freiheitlichen Verantwortung und Selbstverwaltung getragene deutsche Gesundheitssystem in eine Zwangsjacke stecken.

Ist der deutsche Traum bald ausgeträumt? Keineswegs! Erinnern wir uns an die Jahre des Aufbaus, des Wirtschaftswunders. Tausende Probleme, aber keine Angst, dass Fortschritt und demografische Entwicklung (wenn auch mit anderen Vorzeichen als heute) nicht finanzierbar sein könnten. Natürlich haben sich die Maßstäbe verschoben. Der Mut, Leistungserbringern Verantwortung und Gestaltung des Fortschritts zum Wohle aller zu überlassen, war allerdings wesentlich ausgeprägter. Wer, außer einigen regulierungsversessenen politischen Bürokraten, spricht uns eigentlich Mut und Handlungskraft dieser Gründergeneration heute ab?

Das Gesundheitswesen hat das Potenzial, sich durch Ideen, Innovationen und die gesellschaftliche Verantwortung seiner Akteure selbst zu regulieren. Und das trotz der ständigen Diskussion über neue Versorgungsmanagement- und Kosteneffizienzmodelle, die das einzige Ziel des Gesundheitswesens oft vernebeln – nämlich Patienten gesund zu machen.

„Health care costs“, versucht Obama seinen Landsleuten klar zu machen. Und dabei geben diese mit 12,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts immerhin noch weit mehr aus als wir in Deutschland, wo der Anteil zuletzt von 10,6 auf 10,3 Prozent des BIPs sank. Es ist schon merkwürdig. Wir hatten in den letzten Jahrzehnten keinerlei Probleme, wenn es darum ging, den Anteil, den Wohnen, Reisen und Konsum vom verfügbaren Einkommen ausmachen, zu erhöhen. Und bei unserem kostbarsten Gut, der Gesundheit, soll nun ausgerechnet der Sparzwang den Stellenwert regulieren? Ausgerechnet hier wollen wir auch nicht auf die Kräfte des Marktes und Wettbewerbs vertrauen? Gesundheit kostet etwas – und wenn wir uns das leisten wollen, können wir das auch, sollte die Botschaft sein. Damit Kosten und Qualität trotzdem stimmig sind, bedarf es keiner politischen Regulierung. Diese ist sogar kontraproduktiv. Vielleicht setzt sich diese Erkenntnis ja in der kommenden Legislaturperiode durch. Mit neuen Köpfen in der Politik. Mehr Vertrauen in Leistungserbringer, in die Verantwortung der Selbstverwaltung, würde den deutschen Traum eines vorbildlichen Gesundheitswesens stärken. Dann könnten wir auch künftig zu Recht behaupten: „Yes, we have!“

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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