Generikaaustausch

Therapiesicherheit contra Kosteneffizienz

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG), der GKV-Spitzenverband und die AOK streben eine Ausweitung der Austauschbarkeitsregelungen (aut idem) im Arzneimittelrecht an. Apotheker und Ärzte sind verunsichert: Sie befürchten eine Verlagerung des Haftungsrisikos zu ihren Ungunsten. Generikahersteller haben sich bereits öffentlich gegen die Bestrebungen gewandt. Der Vorwurf lautet: Die AOK stellt damit die Kosteneffizienz über die Therapiesicherheit.

Am 24. Juli 2009 gab die AOK ein Positionspapier zum Austausch von wirkstoffgleichen Arzneimitteln heraus. Kernaussage: Wenn alle gesetzlichen Auflagen für eine Substitution erfüllt sind, könne ein verordnetes Medikament in der Apotheke durch ein wirkstoffgleiches ersetzt werden. Voraussetzung: Beide Präparate weisen im gemeinsamen Indikationsbereich mindestens ein gemeinsames Anwendungsgebiet auf.

Dagegen erklärt Peter Schmidt, Geschäftsführer des Branchenverbandes Pro Generika: „Eine extensive Rechtsauslegung kann dazu führen, dass Patienten im großen Stil mit Arzneimitteln versorgt werden, die für die Behandlung ihrer Krankheit nicht zugelassen sind.“ In diesen Fällen bekämen Patienten eine Packungsbeilage, die weder ihre konkrete Erkrankung auflistet, noch für sie wichtige Anwendungshinweise wie etwa das Dosierungsschema oder etwaige Wechselwirkungen und Kontraindikationen aufführt. „Das kann sich negativ auf die Compliance der Patienten auswirken“, befürchtet Schmidt. „Es besteht die Gefahr, dass die Patienten ihre notwendigen Medikamente nicht mehr einnehmen und die Therapiesicherheit gefährdet wird.“

Das rechtliche Fundament für die Diskussion über die Austauschbarkeit von wirkstoffgleichen Medikamenten liefert die aut idem- Regelung, § 129 Abs. 1 SGB V (siehe Kasten). Schmidt fühlt sich in seiner Rechtsauffassung durch zwei aktuelle Urteile bestärkt, in denen das Oberlandesgericht Hamburg (Az.: 3 U 221/08) sowie das Landgericht Frankfurt (Az.: 3–11 O 96/09) die extensiven Auslegung der aut idem-Regelung abgewiesen haben. In beiden Fällen lag keine Indikationsgleichheit vor.

Dr. Christopher Herrmann, Chefunterhändler bei den AOK-Rabattverträgen, weist die Bedenken zurück: „Sehr häufig finden sich in den alten Zulassungsunterlagen der Originalanbieter unbedeutende Anwendungsgebiete, die kaum Therapierelevanz besitzen und die in keinem Beipackzettel eines Generikums zu finden sind. Firmen wie Hexal und Ratiopharm hätten in diesem Markt keine Perspektive mehr, denn das Geschäftsmodell der Generikaindustrie, das auf Austausch basiert, wäre am Ende.“

Klärung der Rechtslage erforderlich

Dennoch sind die Apotheker verunsichert. Ein Rundfax des Generikariesen Ratiopharm goss zusätzlich Öl ins Feuer. Darin warnte das Ulmer Unternehmen vor einer Verlagerung des Haftungsrisikos auf Apotheken, sollten diese rabattierte Arzneien abgeben, die einen nicht identischen Indikationsbereich im Beipackzettel aufweisen.

Herrmann entgegnete: Die Apotheker seien „... auf der absolut sicheren Seite, wenn sie statt des verordneten Arzneimittels ein rabattiertes Arzneimittel abgeben, auch wenn die Indikationen im Beipackzettel nicht eins zu eins übereinstimmen, aber mindestens eine Indikation identisch ist“. Herrmann beruft sich auf die Rechtsauslegung des BMG und der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft. Sie besagt, dass der pharmazeutische Unternehmer die Haftung tragen muss, wenn das Arzneimittel im Rahmen des bestimmungsgemäßen Gebrauchs eingesetzt wird.

Erhöhtes Haftungsrisiko für Ärzte und Apotheker

Einem im Auftrag der Pharmaindustrie erstellten Gutachten von Prof. Dr. Dr. Christian Dierks zufolge, verlagere die ausufernde Substitution nach den Plänen von BMG und Kassen das Haftungsrisiko aber auf Ärzte und Apotheker. Um dies zu verhindern, müssten die Ärzte und Apotheker den Austausch der Arzneimittel grundsätzlich untersagen oder ablehnen. In diesem Fall drohten ihnen finanzielle Sanktionen. Dierks: „Legt man das Kriterium „substitutionsfreundlich“ weit aus und fordert nur die teilweise Übereinstimmung mit den Indikationsbereichen des Ausgangsmedikaments, ist das Haftungsrisiko des Arztes in mehrerlei Hinsicht erhöht.“ So könne er schadensersatzpflichtig werden, wenn er das verordnete Arzneimittel durch eines ersetzt, das nicht für die konkrete Krankheit zugelassen ist, und dadurch der Patient zu Schaden kommt. Die Herstellerhaftung greife nur bei „bestimmungsgemäßem Gebrauch“ eines Medikaments. Dieser sei beim „Off- Label-Use“ von Arzneimitteln aber zumindest nicht generell gegeben. Nach der Definition des Bundessozialgerichts liege ein „Off-Label-Use“ vor, wenn ein Arzneimittel in einem Anwendungsgebiet eingesetzt wird, für das es arzneimittelrechtlich nicht zugelassen ist. Als Fazit erklärte Dierks, eine extensive Auslegung lege Arzt und Apotheker Pflichten auf, die ihnen zum einen nach der gegenwärtigen Rechtslage nicht zugeordnet seien und die zum anderen praktisch nicht erfüllbar wären.

Um Patienten vor Risiken zu schützen sowie Apotheker und Ärzte nicht in die Haftung laufen zu lassen, fordern die Pharmaverbände Kassen und BMG auf, zur bewährten Auslegung zurückzukehren. Kosteneffizienz in der Arzneimittelversorgung sei durchaus im Interesse der Verbände. Kostengesichtspunkte dürften aber auf keinen Fall Vorrang vor Therapiesicherheit und Patientenschutz haben. Schmidt kritisierte die Interessen der AOK: „Die AOK will durch ihre sattsam bekannte extensive Auslegung der gesetzlichen Austauschvorraussetzungen maximale Einsparungen aus ihren Rabattverträgen erzielen.“

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