Implantate: Heraeus stellt IQ:NECT ein

Zu geringe Umsatzzahlen

Wirtschaftliche Negativ-Schlagzeilen sind in Zeiten der Wirtschaftskrise nichts Außergewöhnliches. Diese Nachricht überraschte aber dann doch: Der renommierte Hanauer Dentalhersteller Heraeus gab unlängst bekannt, dass er sein Implantatsystem IQ:NECT zum 01. Juli des Jahres eingestellt hat. Während eine Gruppe von Heraeus-Mitarbeitern weiterhin am Vertrieb des Produkts interessiert ist, scheint die Einstellung von IQ:NECT durch das Unternehmen beispielhaft dafür zu sein, wie hart umkämpft und krisenanfällig der Markt für Implantate ist.

Seit Wochen ist die Dentalproduktebranche in Aufruhr, denn die Aufgabe des Systems wurde durch einen traditionsreichen global player verkündet: Heraeus ist nicht irgendein Betrieb, sondern ein traditionsreiches, weltweit tätiges Edelmetall- und Technologieunternehmen, mit Sitz in Hanau bei Frankfurt und festen Wurzeln am Standort Deutschland. Das Unternehmen befindet sich seit mehr als 155 Jahren in Familienbesitz. Die Geschäftsfelder von Heraeus erstrecken sich über die Bereiche Edelmetalle, Sensoren, Dentalprodukte und Biomaterialien sowie Quarzglas und Speziallichtquellen. Heute verfügt der Betrieb nach eigenen Angaben über mehr als 5 000 Patente, im Jahr 2008 wurden mit knapp 13 000 Mitarbeitern in mehr als 110 Gesellschaften weltweit ein Produktumsatz von rund drei Milliarden Euro und ein Edelmetallhandelsumsatz von 13 Milliarden Euro erwirtschaftet. Was bedeutet es also, so fragte man sich bei Zahnmedizinern, Zahntechnikern und Herstellen von Dentalprodukten, wenn ein derartiger Unternehmensgigant ein innovatives Produkt wegen zu geringer Umsatzzahlen wieder vom Markt nimmt.

Schraubenloses System

Zur Erinnerung: Nach mehr als fünf Jahren Entwicklungszeit wurde das Implantatsystem IQ:NECT 2007 als Neuheit in den Vertrieb gebracht. Wohl zu Recht stellte Heraeus damals das System als Innovation heraus. Indem IQ:NECT nämlich auf die Schraube zwischen Implantat und Aufbau verzichtete, schlug das System einen neuen Weg in der Implantologie ein. Statt der Schraube weist es einen neuartigen Clip-Mechanismus auf: Die Aufbaukomponenten werden nicht wie bislang im Implantat verschraubt, sondern mithilfe eines innovativen Clip-Mechanismus zusammengesteckt. Statt Rein- und Rausdrehen von Befestigungsschrauben genügt ein „Click“, und die temporären Systemteile sind mit dem Implantat verbunden. Dabei erreiche man durch Verwendung eines Befestigungskunststoffes eine feste Verbindung zwischen Implantat und Aufbau, hieß es. Insgesamt wird das Implantat somit ’geclickt’ und zementiert statt verschraubt.

Geringes Kundeninteresse

Doch so mancher Vorschusslorbeeren – das System erhielt 2005 den wissenschaftlichen Innovationspreis der Stadt Braunschweig – zum Trotz: IQ:NECT erwies sich, so Heraeus, als nicht marktfähig. In ersten Reaktionen gab das Hanauer Unternehmen denn auch unumwunden zu, dass sich angesichts der wirtschaftlich angespannten Situation die erhofften Umsatz- und Wachstumsziele, die man mit dem System verband, nicht erfüllt hätten. Es gestaltete sich doch recht mühsam, Neukunden zum „Umdenken“ zu bewegen – „also weg von der bewährten Schraube hin zu der neuartigen Clickverbindung“, so die offizielle Stellungnahme des Betriebs. Deshalb sah man sich gezwungen, das Produkt einzustellen. Marktbeobachter fragen sich, warum Heraeus sein System nicht an einen Mitbewerber abgegeben hat. Dazu heißt es aus der Konzernzentrale, diesbezüglich angestellte Überlegungen hätten sich als unrealistisch erwiesen. Indessen schickt sich laut dem Fachblatt „Spectator Dentistry“ ein Team um den Erfinder von IQ:NECT, Dr. Klaus Haselhuhn, und das ehemalige Management, das bei Heraeus für das vom Markt verbannte Implantatsystem verantwortlich war, an, erneut ein schraubenloses System auf den Markt zu bringen. Voraussichtlich im Herbst soll es so weit sein.

Hartumkämpfter Markt

„Mittel- und langfristig ist der Markt für Implantate durchaus profitabel“, sagt Dr. Martin Schuster, Leiter der Division Prosthetics bei Heraeus. Doch die aktuelle wirtschaftliche Situation, die eben auch bei den Verbrauchern angekommen sei, hätte IQ:NECT nicht den erhofften Erfolg beschert. Da man die Verantwortung gegenüber den Kunden und den Patienten aber „sehr ernst“ nehme, sei die Lieferfähigkeit für alle Zubehörteile für die nächsten zehn Jahre gesichert. Des Weiteren könnten Heraeus-Kunden, die das Implantatsystem bezogen haben, auch weiterhin benötigte Prothetik- oder Implantatteile bestellen.

Inzwischen ist das Heraus-System IQ:NECT nicht das einzige Implantat, das zementiert statt verschraubt wird. Die Firma HAI- Implantate aus dem westfälischen Nordkirchen bei Dortmund hat ein ähnliches Produkt auf dem Markt, das in Teilen zudem patentrechtlich geschützt ist. Von HAI heißt es hierzu: „Ob Heraeus Kulzer letztlich dieser Sachverhalt dazu veranlasst hat, ihr Produkt vom Markt zu nehmen, ist uns nicht bekannt. Wir hatten nur jüngst unseren Patentanwälten aufgetragen, mit der Firma das Problem einer Patentrechtsverletzung zu erörtern.“ Auch dort wird in Rechnung gestellt, dass die aktuelle wirtschaftliche Situation für einen beobachtbaren Rückgang von Implantatversorgungen verantwortlich zu machen ist. „Der Markt stagniert zwar derzeit, dennoch stellen Implantate längerfristig einen Wachstumsbereich im Dentalhandel dar“, ist sich Dr. Heinz-Dieter Unger, geschäftsführender Gesellschafter von HAI-Implantate, sicher.

Stark konjunkturanfällig

Wie es um den ’Markt’, dargestellt an tatsächlich erbrachten Implantatversorgungen, überhaupt steht, ist schwer auszumachen. Es scheint, als lasse man sich in der Branche nicht in die Karten schauen. An offizielle und verlässliche Zahlen ist so gut wie nicht heranzukommen, weder die Verbände noch die Hersteller können dazu Auskunft geben. Schätzungen in der Dentalbranche gehen von 500 000 bis 1,2 Millionen gesetzten Implantaten im Jahr 2008 aus – eine weite Spanne. Während Studien belegen, dass Patienten bereit sind, für die Erhaltung ihrer Zahnergesundheit auch in Implantate als Zahnersatz zu investieren, zeigt sich andererseits, dass in knappen Zeiten der Euro eher zweimal umgedreht wird. Damit zeigt das gegenwärtige Beispiel IQ:NECT auch, wie anfällig der Markt gegenüber konjunkturellen Schwankungen ist.

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