Leitartikel

Aufgeweckt und wachgeküsst

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

geahnt haben wir es schon immer: Politik hat doch etwas mit Märchen gemein. Aber was wäre, wenn mal eines wahr würde?

Was ist passiert? Während die Unionsparteien mit Blick auf den Wahltermin im Herbst die (Gesundheits-)Politik eher abwickeln, gesundheitspolitische Konzepte entweder (nach eigener Analyse) nicht haben oder lieber noch in der Giftküche lagern, positioniert sich – auch mit Blick auf den Wahltermin – selbstbewusst die FDP. „Für ein einfaches, transparentes und leistungsgerechtes Gesundheitswesen“ tritt sie ein und erwischt damit auch die anderen Parteien kalt und kaltschnäuzig: Ulla Schmidt sieht einen Angriff auf die gesetzliche Krankenversicherung an sich, CDU und CSU verheddern sich in Detailkritik und Grüne und Linke sind – wie so oft – sprachlos. Die Liberalen haben Grundgedanken aus dem Dornröschenschlaf geholt, die uns Zahnärzten wohl bekannt sind.

Nun weiß auch die FDP, dass sie, solange sie in Berlin nicht mit absoluter Mehrheit regiert, die GKV in deren Grundideen nicht wird abschaffen können, aber derzeit ruft sie im düsteren Wald wachsender Sozialprobleme laut zur Umkehr auf. Aktuelle Irrwege wie den Gesundheitsfonds und die Budgetierung will man hinter sich lassen. Die Privatisierung der GKVen, so weist es die Presse aus, ist Ziel der auf Bundesebene noch als oppositioneller Mahner agierenden Partei mit ihrer derzeit großen Hoffnung auf eine neue Rolle nach der Bundestagswahl.

Muss das – wie Sozialdemokraten blitzschnell urteilten – tatsächlich Angst machen? Und ist das alles wirklich so neu, wie uns Presse und Politik glauben machen wollen? Ist es wirklich die Abkehr von jeglicher Sozialdenke in ein Chaos zu Lasten der Hilflosen und Bedürftigen?

Unsinn! Wir Zahnärzte wissen sehr genau, was die Liberalen wachküssen wollen. Wir selbst haben es über lange Jahre in einer ganz speziellen Modifikation als Ausweg aus der Misere gefordert und als machbare Alternative in die Politik getragen: Das Vertrags- und Wahlleistungskonzept als Rettung vor einer Gesundheitspolitik budgetierter und reglementierter Zwangsversicherung trägt das Copyright zahnärztlicher Provenienz. Anlass, froh zu locken, besteht wohl noch nicht. Trotzdem bleibt im Vorfeld des Wahlkampfes Raum für nüchterne Interpretation und Analyse:

Richtig ist, dass der von Schwarz-Rot versprochene Weg der Ärzteschaft aus der Budgetierung alles andere ist als der Ausweg aus der Klemme. Die akuten Verteilungsprobleme zwischen einzelnen Arztgruppen und Regionen versprechen alles andere als ein Happy-End ohne Wölfe und Hexerei. Richtig ist auch, dass die gesundheitspolitische Lage nie so prekär war wie heute: „Die GKV steuert unaufhaltsam einer tief greifenden Systemkrise entgegen. ... Vor allem aufgrund fehlender oder falscher Anreizstrukturen sind die Gesundheitsausgaben ständig gestiegen.“ Das ist keine aktuelle Feststellung, sondern Teil des Vertrags- und Wahlleistungskonzeptes der Zahnärzteschaft aus dem Jahr 1995. 14 Jahre später ist diese unangenehme Wahrheit richtiger denn je. Ist Deutschland also zwar älter, aber kein bisschen weiser? Während die Ärztemodelle nicht weit reichen – die aktuell neue Milliardenforderung wird, dank des Systems, wohl kaum die letzte sein –, hat sich im zahnärztlichen Bereich einiges getan. Was in vielen Bereichen der Medizin nach wie vor offene Forderung ist, nämlich die mit dem FDPVorschlag erforderliche Definition von Grundleistungen, ist in den meisten Bereichen der Zahnmedizin schon gelungen. Hier ist die Definition von Grundversorgungen auf der einen und den nach GOZ und Kostenerstattung zu praktizierenden Wahlleistungen auf der anderen Seite erfolgt.

Richtig erscheint auch, dass das Rummodeln im bestehenden GKV-System niemanden mehr zufriedenstellt. Neue, praktikable Wege, nenne man sie Vertrags- und Wahlleistungen, Festzuschusssysteme oder anders, weisen den Weg aus der Misere. Für uns Zahnärzte heißt das, dass das nach wie vor gültige Konzept der Vertrags- und Wahlleistungen, auch mit dem später erfolgten realpolitischen Zusatz, nicht mehr den Weg „raus aus der GKV“ gehen zu wollen, wegweisend war. Jetzt ist es an der Politik, das System, Leistungsträger und Patienten mit praktikabler Vernunft in die neuen alten Freiheiten zu entlassen. Die Voraussetzungen sind da. Sie sind nicht gestorben, leben auch noch morgen – sehr aufgeweckt, von Liberalen wachgeküsst!

Mit freundlichen, kollegialen Grüßen

Dr. Jürgen FedderwitzVorsitzender der KZBV

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