Interaktive Fortbildung

Rehabilitation eines Patienten mit Dentinogenesis imperfecta

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Moderne Fertigungstechnologien und die Einführung innovativer Restaurationsmaterialien erlauben die Umsetzung von Behandlungsstrategien, die eine zeitlich ausgedehnte provisorische Phase zur Erarbeitung der funktionellen und ästhetischen Gesichtspunkte beinhalten. Anhand eines Fallberichts wird die komplexe Rehabilitation einer generalisierten Zahnhartsubstanzfehlbildung eines jungen Patienten mit zahnfarbenen Restaurationsmaterialien dargestellt.

Durch den Einsatz CAD/CAM-gefertiger Langzeitprovisorien aus Hochleistungspolymer konnte während der Wachstumsphase des Patienten eine langfristige Überprüfung des Restaurationsentwurfs verwirklicht und somit eine hohe Vorhersagbarkeit für die definitiven Restaurationen aus Lithium- Disilikat-Keramik geschaffen werden.

Ausgangssituation

Ein 16-jähriger Patient stellte sich in Begleitung seiner Eltern mit dem Wunsch vor, seine stark verfärbten und fehlgebildeten Zähne restaurieren zu lassen. Er gab an, keine Schmerzen zu haben, klagte jedoch über die extremen sozialen Belastungen, die durch das Erscheinungsbild seiner Zähne hervorgerufen würden (Abbildungen 1, 2a und 2b). Bei der zahnmedizinischen Anamnese berichtete der Vater des Patienten, dass bereits die erste Dentition des Patienten eine vergleichbare Schädigung aufwies. Nach Auswertung des Befunds und der Anamnese wurde eine Dentinogenesis imperfecta Typ II (heriditäres opaleszentes Dentin) diagnostiziert. Dabei handelt es sich um eine isoliert genetisch bedingte, autosomal dominant vererbte Erkrankung, die die Milchzähne wie auch die bleibenden Zähne betrifft [Delgado et al., 2008; Shields et al., 1973] und die sich in einer gelb-braunen oder blau-grauen Zahnverfärbung ausdrückt. Die Dentinfehlbildung wird durch Gendefekte des DSPP (Dentin Sialophosphoprotein) verursacht, einem Gen, das für die Bildung nicht-kollagener Proteine des Dentins zuständig ist [MacDougall, 1998; Kim & Simmer, 2007]. Häufig weisen die betroffenen Patienten vermehrt Zahnschmelzabplatzungen auf, die nach Dentinexposition zu einer beschleunigten Attrition der Zähne führen [Croll & Sasa, 1995]. Im Röntgenbild fallen knollenförmige klinische Kronen sowie kurze Wurzeln mit einer progressiven Obliteration der Pulpenkammer ins Auge [Gage et al., 1991; Kim & Simmer, 2007] (Abbildung 3). In der Fachliteratur wird auf die Bedeutung einer frühzeitigen Therapie hingewiesen, die einer voranschreitenden Zahndestruktion und einer insuffizienten Okklusion vorbeugen soll [Delgado et al., 2008]. Als mögliche Restaurationskonzepte werden unter anderem der Einsatz vollkeramischer Kronen beschrieben [Groten, 2009] sowie eine adhäsive Befestigung empfohlen [Bartlett, 2005].

Die besonderen Herausforderungen des vorliegenden Patientenfalles bestanden in dem jungen Alter des Patienten (Wachstumsphase), seinem Wunsch nach einer zeitnahen Verbesserung der augenblicklichen klinischen Situation, der Schaffung einer adäquaten Zahnmorphologie und damit einer kompletten Neueinstellung der Vertikaldimension der Okklusion (VDO) sowie der dauerhaften Verankerung der Restaurationen an der vorgeschädigten Zahnhartsubstanz.

Therapieplanung

Vor der definitiven Therapieplanung wurden Füllungstherapien an den Zähnen 16, 26, 36 und 46 mit einem adhäsiven Kompositsystem vorgenommen (Abbildungen 4a und 4b). Durch die Fehlbildung des Dentins war von einer insuffizienten Unterstützung des Zahnschmelzes in vielen Bereichen auszugehen. Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die extremen Dentinverfärbungen schieden minimalinvasive, rein adhäsiv befestigte Restaurationen mit einer wenig retentiven Präparation aus. Zur ästhetischen und funktionellen Rehabilitation des jungen Patienten wurden als Behandlungsziele die Schaffung einer adäquaten Zahnmorphologie mit Front-Eckzahn-geschützter dynamischer Okklusion und damit eine erhebliche Erhöhung der Vertikaldimension der Okklusion (VDO) definiert. Der Destruktionsprozess der extrem vorgeschädigten Zähne sollte durch diese Restaurationsmaßnahmen aufgehalten und dem Patienten der Einstieg in eine angemessene soziale und berufliche Zukunft gesichert werden.

Um dem Zahntechniker einen ersten Eindruck der Ausgangssituation zu übermitteln, wurden zunächst Portraits sowie intraorale Fotos angefertigt. Zur weiteren Planung wurden Alginatabformungen beider Kiefer für die labortechnische Herstellung diagnostischer Modelle genommen. Zudem wurden ein Zentrikregistrat sowie eine arbiträre Gesichtsbogenübertragung durchgeführt.

Nach labortechnischer und klinischer Analyse sowie Abwägung aller Vorzüge und Risiken alternativer Restaurationsmöglichkeiten legten sich Patient und Behandlungsteam auf folgenden Therapieplan fest:

Zur definitiven Restauration der stark geschädigten Zähne sollten adhäsiv befestigte glaskeramische Kronen auf der Basis von Lithium-Disilikat-Keramik eingesetzt werden. Da die ausgeprägten ästhetischen und funktionellen Veränderungen mit einer völlig neuen und niemals zuvor vorhandenen VDO kombiniert sein sollten, entschied sich das Behandlungsteam zu folgendem

Behandlungsablauf:

1. Erstellen eines analytischen Wax-ups zur Schaffung einer ästhetisch und funktionell adäquaten Zahnmorphologie sowie dessen Umsetzung in eine diagnostische Schablone.

2. Ästhetische Evaluierung des Wax-ups intraoral durch den Patienten mithilfe der diagnostischen Schablone

3. Übertragung der durch das Wax-up determinierten Erhöhung der VDO in eine modifizierte Michigan-Schiene zur funktionellen Evaluierung der Neueinstellung

4. Präparation der Zähne unter Führung durch die diagnostische Schablone und wechselseitige Kieferrelationsbestimmung mit geteilter Michigan-Schiene

5. Einscannen des Wax-ups und formidentische Herstellung CAD/CAM-gefertigter Langzeitprovisorien aus einem Hochleistungs-Polymer

6. Probetragen des Langzeitprovisoriums (mindestens zwölf Monate) mit optionalen Modifikationen

7. Abformung und zeitnahe labortechnische Herstellung der definitiven glaskeramischen Kronen nach erfolgreichem Abschluss der provisorischen Phase

8. Einprobe und definitive adhäsive Eingliederung der Kronen aus Lithium-Disilikat-Keramik

Klinisches Vorgehen

Vorbehandlung und Präparation

Zunächst wurde eine ästhetische Evaluation des analytischen Wax-ups mithilfe einer diagnostischen Schablone (Duran 0,5 mm, hart-transparent, Scheu-Dental, Iserlohn), die mit Komposit gefüllt auf die mit dünnflüssiger Vaseline isolierten Zähne aufgesetzt wurde, vorgenommen (Abbildung 5). Nach Zustimmung des Patienten zu diesem Restaurationsentwurf wurde die Vorbehandlung durch eine achtwöchige Therapie mit einer modifizierten Michigan-Schiene für den Unterkiefer eingeleitet, durch die die im Wax-up erarbeitete Veränderung der VDO präzise in den Mund des Patienten überführt werden konnte. Nach erfolgreicher funktioneller Testphase der neu festgelegten VDO wurde mit der Umsetzung des Waxups in ein Langzeitprovisorium begonnen: Sämtliche Präparationen und die Kieferrelationsbestimmung mit geteilter Schiene wurden auf einen Behandlungstag gelegt. Die diagnostische Schablone diente während der zahlreichen Präparationen als Orientierungshilfe und ermöglichte dadurch einen schonenden Abtrag der Zahnhartsubstanz entsprechend der im Wax-up vorgesehenen Außenkontur der Restaurationen.

Provisorische Versorgung

Die Anfertigung der ersten Provisorien erfolgte chair-side mihilfe der mehrfach verwendbaren diagnostischen Schablone und einem Bis-GMA basierten provisorischen Restaurationsmaterial. Nach Ausheilung des Weichgewebes erfolgten Präzisionsabformungen beider Kiefer, die zusammen mit einem Gesichtsbogen und der Kieferrelationsbestimmung an das Labor geliefert wurden. Dort erfolgte die Herstellung CAD/CAM-gefertigter Langzeitprovisorien aus einem Hochleistungs-Polymer, die durch Einscannen formidentisch zum analytischen Waxup gestaltet wurden. Die Kronen des Langzeitprovisoriums (LZP) wurden in Segmenten von drei bis vier Einheiten verblockt und mit Glasionomerzement befestigt. Dies sollte vorzeitige Retentionsverluste infolge der relativ kurzen Pfeilerzähne vermeiden und eine ausreichende Dichtigkeit des LZPs über die Tragedauer von mindestens zwölf Monaten gewährleisten. Innerhalb der provisorischen Phase wurde der Patient zunächst monatlich und später vierteljährlich zur Überprüfung der ästhetischen und funktionellen Parameter einbestellt (Abbildungen 6a und 6b). In diesem Zeitraum wurden zudem kleinere Weichgewebskorrekturen wie eine minimalinvasive chirurgische Kronenverlängerung an Zahn 21 mit oszillierenden Instrumenten vorgenommen.

Nach einer problemlosen Evaluierungsphase von zwölf Monaten durch das LZP wurde die definitive Versorgung eingeleitet. Im ersten Schritt sollten die Provisorien des Oberkiefers in das definitive Restaurationsmaterial umgesetzt werden. Dazu wurden die provisorischen Restaurationen einer Kieferhälfte entfernt, die Zahnstümpfe nachfiniert und eine Kieferrelationsbestimmung mit einem Bis-GMA basierten provisorischen Restaurationsmaterial durchgeführt (Abbildung 7a). Diese diente nachfolgend wiederum als Referenz für die Kieferrelationsbestimmung im zweiten Quadranten (Abbildung 7b). Anschließend erfolgte eine Präzisionsabformung der Oberkieferzähne für die Herstellung der definitiven glaskeramischen Kronen. Für den Zeitraum bis zur Eingliederung der definitiven Kronen wurden direkt gefertigte Provisorien eingesetzt. Nach Eingliederung der glaskeramischen Kronenblöcke im Oberkiefer (Abbildung 8a und 8b) erfolgte im analogen Vorgehen die definitive Versorgung der Unterkieferzähne mit Einzelkronen.

Anprobe und Eingliederung der Glaskeramik-Kronen

Nach Entfernung der temporären Versorgungen wurden die Präparationsflächen mithilfe von Reinigungsbürsten und einer fluoridfreien Reinigungspaste (Zircate Prophy Paste, Dentsply, Konstanz) von Resten des temporären Befestigungsmaterials befreit. Zur Kontrolle der Form- und Farbgebung wurden die Restaurationen mit eingefärbtem Glyceringel (Try-in Paste, Variolink II) einprobiert. Die Kontrolle der Randschlussqualität und die Überprüfung der statischen und dynamischen Okklusionskontakte erfolgten mit einer niedrigviskösen A-Silikonmasse.

Zur definitiven Eingliederung wurden die Innenflächen der glaskeramischen Restaurationen 20 Sekunden mit einem Fluorwasserstoffsäure-Gel (5 Prozent Ceramic Etching-Gel) angeätzt und anschließend silanisiert. Zahnseitig wurde ein Mehrschritt-Dentinadhäsiv-System in der Total-etch-Technik eingesetzt. Die Befestigung erfolgte mit einem dual-härtenden, niedrig-viskösen Befestigungskomposit. In der Frontzahnregion wurden Kronen in der Schichttechnik und im Seitenzahnbereich vollanatomisch gepresste Kronen in der Maltechnik verwendet. Die Kronen des Oberkiefers wurden im Frontzahnbereich zu drei Einheiten (13-11, 21-23) miteinander verblockt und im Seitenzahnbereich zu zwei Einheiten (je zwei Prämolaren und zwei Molaren) zusammengefasst, um eine ausreichende Retention auf den kurzen Pfeilerzähnen des Oberkiefers zu erreichen. Im Unterkiefer konnte auf eine Verblockung der Kronen verzichtet werden (Abbildungen 9a, 9b und 10).

Durch die ausgedehnte provisorische Phase konnte die Neueinstellung der Vertikaldimension der Okklusion ausreichend überprüft und damit eine hohe Vorhersagbarkeit für die definitive Versorgung erreicht werden. Durch diese Vorbehandlungsphase konnten bei der Überführung in die glaskeramischen Restaurationen die ästhetischen und funktionellen Erwartungen des Patienten zur vollsten Zufriedenheit erfüllt werden (Abbildungen 10, 11a bis 11c).

Prof. Dr. med. dent. Daniel EdelhoffLeitender OberarztPoliklinik für Zahnärztliche ProthetikLudwig-Maximilians-UniversitätGoethestr. 7080336 Münchendaniel.edelhoff@med.uni-muenchen.de

Oliver Brix†Innovatives Dental Design65197 Wiesbaden

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