Leitartikel

Das Maß der Dinge

Sehr geehrte Frau Kollegin,sehr geehrter Herr Kollege,

für viele von uns ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis unsere Gesellschaft sich der Grundsatzdebatte stellen muss, wie lange wir im Gesundheitswesen der Ökonomie noch bedingungslose Vorfahrt gewähren können, ohne unseren ethisch-medizinischen Prämissen erkennbar zu schaden.

In der Politik ist das – noch – anders. Direkt befragt dürfte zwar kein Politiker zugeben, dass das Prinzip der Kostendämpfung immer mehr zur Leitgröße für die Bereitstellung unserer medizinischen Versorgung wird. Aber jeder, der dieses Thema in den zurückliegenden Jahren von außen aufs politische Tapet brachte, wurde schnell durch massive Gegenangriffe zum Schweigen gebracht. Man will es nicht hören: Es kann nicht sein, was nicht sein darf!

In so einem Umfeld ist es alles andere als leicht, einem Staat, der sich das Thema drohender Armut immer öfter auf die breite Stirn schreibt, begreiflich zu machen, dass das Gesundheitswesen eben nicht die sprichwörtliche Zitrone ist, die man nach Belieben weiter auspressen kann.

Den Erfolg des Handelns bestimmen Faktoren wie Vertrauen, ein möglichst gutes Image, Verantwortlichkeit und Transparenz. Wer das nicht beherzigt, verliert und steht schneller im gesellschaftlichen Abseits, als man es sich vorstellen mag.

Für uns freiberuflich tätigen Ärzte und Zahnärzte, die wir von dieser Gesellschaft unsere nach wie vor hohe Vertrauensstellung ganz aktuell wie- der bestätigt bekommen haben, ist der Weg von daher eigentlich vorbestimmt: Wir müssen ihn mit dieser Gesellschaft gehen. Wer sich verweigert, schadet sich und dem Berufsstand, unserem medizinischen Selbstverständnis und damit letztlich auch den Grundlagen unserer beruflichen Existenz. Das zu erkennen, fordert der gesunde Menschenverstand uns ab.

Das bedingt aber auch zwangsläufig, dass wir das Vertrauen, das durch kontinuierliche Arbeit für die Patienten, für diese Gesellschaft verdient wurde, auch erhalten. Hier kann weder falsch verstandene Bescheidenheit noch bedingungsloser Opportunismus zum Zug kommen. Wir müssen vielmehr unseren gesellschaftlichen Auftrag ernst nehmen und danach handeln – ehrlich, offen, den Patienten und der Gesellschaft verpflichtet. Wer anders denkt, sägt den Ast ab, auf dem wir alle sitzen.

Die dazu erforderlichen Wahrheiten, die wir nach außen bringen müssen, sind sicherlich nicht bequem. Aber sie helfen zu verhindern, dass man uns Vorteilsnahme unterstellt und deshalb nicht ernst nimmt.

Das, was es in den nächsten Monaten und Jahren nicht nur zu vermitteln, sondern auch zu belegen gilt, ist dabei keineswegs neu, aber in seiner Bedeutung wohl noch nicht erfasst:

Wer das deutsche Gesundheitswesen im internationalen Vergleich betrachtet, weiß, dass wir auf einem hohen Qualitätsniveau leben. Wer hier weitere Steigerungen fordert, muss diese auch finanzieren. Das gilt für zusätzlich geforderte Qualitätssicherungsmaßnahmen genau so wie für die Ausweitung von Gebührenordnungen, wenn es darum gehen soll, den Zugang der Gesellschaft zum medizinischen Fortschritt zu bewahren.

Hier liegt in den nächsten Wochen und Monaten der Schwerpunkt unserer Aufgabe, wenn die Bundesregierung ihren Kostendämpfungskurs aufnimmt.

Chancen auf Erfolg werden wir nur haben, wenn wir mit Realismus, Augenmaß, Glaubhaftigkeit und mit nachvollziehbaren Ar- gumentationen in diese Diskussion gehen. Erinnerungen an die freigiebige Grundhaltung der Krankenkassen in den Sechziger- und Siebzigerjahren des vorigen Jahr- hunderts stehen hierbei ebenso wenig zur Debatte wie eine bedingungslose Akzeptanz des Gesetzgebers bis zur existenziellen Not. Es geht um das richtige, von der Gesellschaft nachvollziehbare Maß der Dinge, die für den Erhalt einer guten und menschenwürdigen Versorgung notwendig sind. Nicht mehr, aber auch nicht weniger!

Mit freundlichen kollegialen Grüßen

Dr. Peter EngelPräsident der Bundeszahnärztekammer

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