Der besondere Fall

Der HIV-positive Patient in der Zahnarztpraxis

Obwohl HIV-positive Patienten im Gegensatz zu Hepatitis-B- und Hepatitis-C-Patienten eine vergleichsweise kleine Gruppe darstellen, hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt, dass die Behandlung HIV-positiver Personen beim Zahnarzt wiederholt auf Unsicherheiten stößt. Hier ein aktueller Überblick über HIV/AIDS und den Umgang mit Infizierten und Erkrankten bei der Zahnbehandlung.

Die Behandlung von HIV-positiven Patienten ist für den Zahnarzt nicht nur aus ethischen Gründen erforderlich. Auch medizinische Gründe sprechen dafür, dass die Betreuung intensiver als bei anderen Patienten sein sollte. Die Abwehrschwäche macht sich häufig zuerst im Mund-, Kiefer- und Rachenbereich bemerkbar, und eine gute Mundhygiene ist ein wichtiger Beitrag zur Vermeidung von HIV-Folgeerkrankungen wie den opportunistischen Infektionen. Außerdem gibt es mögliche Interaktionen von zahnärztlich verabreichten Medikamenten mit HIV-Therapeutika, was der Zahnarzt unbedingt beachten muss.

Allgemeine Anamnese und Hygienemaßnahmen

Der Zahnarzt muss bei jedem Patienten dieselben Maßnahmen zur Hygiene sowie zur Infektionskontrolle durchführen, egal ob der seine Infektion in der Anamnese angibt oder nicht. Es wäre denkbar, dass ein Patient beim ersten Besuch des Zahnarztes (noch) nichts über seine HIV-Infektion weiß. Daher ist es unsinnig, HIV-positive Patienten am Ende der Sprechstunde einzubestellen, so wie es in manchen Praxen Usus ist. Das kann dazu führen, dass auf der einen Seite bei Praxismitarbeitern der Eindruck entsteht, es gäbe unterschiedliche Hygieneanforderungen für HIV-negative und HIV-positive Patienten und sich auf der anderen Seite Patienten hierdurch stigmatisiert fühlen.

Allgemeinanamnestisch ist es für den Zahnarzt wichtig, nach den Surrogatmarkern der Erkrankung zu fragen. Hier spielt die THelferzellzahl (CD4-Zellen) sowie die Viruslast eine entscheidende Rolle. Das Therapieziel einer HIV-Behandlung (Hochaktive Antiretrovirale Therapie / HAART oder Antiretrovirale Therapie / ART) liegt in der dauerhaften Unterdrückung der Virusreplikation (Viruslast) unter die Nachweisgrenze von derzeit 20 Kopien/ml Plasma sowie einer Immunrekonstitution, gekennzeichnet durch den Anstieg der CD4-Lymphozytenzahl und einem verbesserten Verhältnis der CD8-zu CD4-Zellen [Clumeck et al 2008].

Bei einer CD4-Zellzahl über 200/μl kann in der Regel eine normale Zahnbehandlung durchgeführt werden. Die Patienten sind in den meisten Fällen bestens über Viruslast und CD4-Zellzahl informiert, da diese Werte regelmäßig von ihrem HIV-Therapeuten kontrolliert werden. Ist dies in Ausnahmefällen nicht der Fall, muss der behandelnde Arzt befragt werden.

Cave Kontraindikationen

Nimmt ein Patient HIV-Medikamente ein, muss der Zahnarzt darüber informiert werden, da es eine Reihe von Interaktionen zwischen diesen Präparaten und in der Zahnmedizin verwendeten Medikamenten gibt. So ist unter Didanosin (ddI, Videx®) die Resorption von Tetrazyklinen vermindert, die gelegentlich zur Behandlung von Erkrankungen des Zahnhalteapparats eingesetzt werden. Das Beruhigungsmittel Midazolam (Dormicum®) verträgt sich nicht mit der Einnahme von Efavirenz (Sustiva®) und Ritonavir (Norvir®), da hier die Gefahr einer Atemlähmung durch Blutspiegelerhöhung besteht (Kontraindikation). Die gleichzeitige Einnahme von Ganciclovir (Cymeven®) und Penicillin verstärkt die Neigung zu epileptischen Anfällen.

Bedeutung der oralen Veränderung bei HIV/AIDS

Orale Veränderungen können nicht nur auf eine Infektion mit dem HI-Virus hindeuten, sie sind außerdem frühe und wichtige Zeichen der HIV-Infektion. Weiterhin können sie das Fortschreiten der Infektion hin zu AIDS ankündigen.

Sechs grundlegende und unmittelbar mit der HIV-Infektion assoziierte Veränderungen in der Mundhöhle wurden international erfasst:

1. Die orale Candidose (meist hervorgerufen durch Hefepilze der Gattung Candida)

2. Die Haarleukoplakie

3. Die nekrotisierende Gingivitis

4. Die nekrotisierende Parodontitis

5. Das Kaposi-Sarkom

6. Das Non-Hodgkin-Lymphom

Alle oben genannten Veränderungen können bei 50 Prozent der HIV-positiven Individuen und bei bis zu 80 Prozent der AIDSPatienten gefunden werden. Diese Erkrankungen sind meist eindeutig in der Mundhöhle sichtbar und können oft schon durch ihr klinisches Aussehen diagnostiziert werden. Das Auftreten der Läsionen verläuft parallel zu einem Abfall der CD4-Zell-Zahl und einem Anstieg der Viruslast. Orale Veränderungen sind unabhängige Zeichen des Fortschreitens der HIV-Infektion hin zur Erkrankung. Bei Personen, deren Sero-Status unbekannt ist, liefern diese spezifischen Erkrankungen in der Mundhöhle einen deutlichen Hinweis auf das Vorliegen einer HIV-Infektion. Dies alles sind Gründe, warum das Vorhandensein und die Entwicklung von oralen Manifestationen erstens als Einschlusskriterien und Endpunkte für die Wirksamkeit von Prophylaxe- und Therapiestudien und zweitens in Stagings- und Klassifizierungssystemen verwendet werden.

Eine gründliche Untersuchung der Mundhöhle aller HIV-positiven Patienten sowie Patienten, die ein erhöhtes Risiko haben, ist daher nachdrücklich zu fordern.

Wirkung von HAART auf orale Veränderungen

Mit der Einführung einer hochaktiven Antiretroviralen Therapie (HAART) ist die Prävalenz der oralen Candida-Infektion (Candidose), der Haarleukoplakie sowie der Parodontalerkrankungen bei Erwachsenen zurückgegangen. Durch HAART, insbesondere Proteaseinhibitoren, wurde jedoch ein Anstieg gutartiger Tumoren, die durch das Humane Papillomavirus (HPV) verursacht werden, verzeichnet. Hierzu zählen Papillome (orale Warzen, Condylome und die fokale epitheliale Hyperplasie) [Patton et al., 2000; Schmidt-Westhausen et al., 2000; Tsang et al., 2010].

Hatte der Zahnarzt in der Prä-HAART-Ära noch primärdiagnostische Aufgaben, wandelt sich seine Tätigkeit jetzt hin zur Routinebehandlung. Sollte sich aus der Langzeitüberwachung dieser Patienten ergeben, dass der Patient auch unter HAART HIV-assoziierte Veränderungen entwickelt, kann dies Zeichen eines suboptimalen Therapieregimes oder gar eines Therapieversagens sein.

HAART und unerwünschte Arzneimittelwirkungen

Zwar konnten durch HAART Erkrankungen reduziert werden, dennoch können diese auch zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) führen, einige unter ihnen auch im Kopf-Hals-Bereich. Zu den möglichen UAW im Kopf-Hals-Bereich, hervorgerufen durch Nukleosidische Reverse Transskriptasehemmer (NRTI), zählen Ulzera der Mundschleimhaut, die besonders häufig nach Gabe von Zalcitabin (DDC) auftreten (drei bis 30 Prozent der Patienten). Die Veränderungen heilen jedoch spätestens in der dritten Woche nach Therapiebeginn ab. Eine Heilung tritt auch ein, wenn Zalcitabin abgesetzt oder eine geringere Dosierung eingesetzt wird. Die Mundtrockenheit wird hauptsächlich bei Patienten unter Didanosin (ddI) diagnostiziert. Circa ein Drittel der Patienten ist davon betroffen. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen nach Gabe von Nicht-Nukleosidischen Reverse Transkriptasehemmern (NNRTI) werden nur sporadisch gemeldet. Nevirapine zum Beispiel kann klinische Erscheinungen im Gesichtsbereich wie das Erythema exsudativum multiforme hervorrufen.

Bei den Protease Inhibitoren (PI) konzentrieren sich Berichte über UAW hauptsächlich auf die Schwellung der Ohrspeicheldrüsenregion, die auf eine Lipomatose der Ohrspeicheldrüsen als Teil des Lipodystrophie-Syndroms zurückzuführen ist. Auch Geschmacksstörungen sind bei Einnahme von PI häufig (10 bis 20 Prozent). Bei etwa einem Viertel aller Patienten, die Ritonavir erhalten, können Gefühlsstörungen außerhalb des Mundes und im Mund auftreten. Bis zu sieben Prozent der Patienten unter PI können an Geschwüren und/oder Mundtrockenheit leiden [Scully et al., 2001].

Maßnahmen zur Infektionskontrolle

Wie oben erwähnt, können nicht alle infektiösen Patienten durch Anamnese, Untersuchungen und Labortests identifiziert werden, daher müssen für Blut und Körperflüssigkeiten aller Patienten dieselben Vorsichtsmaßnahmen gelten.

Die geeigneten Maßnahmen zur Infektionskontrolle sind die gleichen wie in allen medizinischen Bereichen. Handschuhe, Mundund Nasenschutz, Schutzbrille, gegebenenfalls Schutzschild sowie Kittel müssen getragen werden, sowie es zu Kontakt oder dem Arbeiten mit Flüssigkeiten kommt. Diese persönlichen Hygienemaßnahmen des Zahnarztes wurden seinerzeit zur Prävention von Infektionen mit dem Hepatitis-BVirus (HBV) eingeführt. Da die Übertragungswege von HIV dieselben sind wie für HBV oder auch für das Hepatitis-C-Virus (HCV), gelten auch dieselben Schutzbestimmungen. Andererseits ist das Risiko einer beruflichen Infektion bei HIV deutlich geringer als bei HBV.

HBV ist eine anerkannte Berufserkrankung. Vor Einführung der Impfung waren in den USA zehn bis 30 Prozent der Zahnärzte HBV-positiv (gegenüber ein bis zwei Prozent der Gesamtbevölkerung). Tödliche Hepatitiserkrankungen waren zwar selten, aber durchaus möglich. Mit HIV hat sich dagegen in Deutschland bisher bei der Ausübung seines Berufs kein einziger Zahnarzt infiziert.

Risikoeinschätzung des RKI für Gesundheitsberufe

Das Robert Koch-Institut (RKI) schätzt die Gefahr einer beruflichen Infektion für alle im Gesundheitsdienst Beschäftigten als „relativ niedrig“ ein. In den USA sind den Centers for Disease Control and Prevention (CDC) insgesamt 57 (Zahlen von Januar 2006) berufliche Infektionen von im Gesundheitswesen Beschäftigten bekannt geworden, die meisten darunter durch Nadelstichverletzungen, zerborstene Kanülen und Skalpelle. In fünf Fällen erfolgte die Übertragung nach Kontakt von infiziertem Blut mit der Schleimhaut des Beschäftigten. Ein Zahnarzt befand sich nicht darunter. Auch der American Dental Association (ADA) ist bisher kein einziger Fall einer HIV-Infektion eines Zahnarztes oder seiner Assistentinnen durch den Patienten bekannt geworden [Cleveland et al., 2002].

Das im Vergleich zu HBV geringe Infektionsrisiko erklärt sich vor allem durch die sehr viel niedrigere Viruskonzentration im Blut der HIV-Infizierten im Vergleich zum HBVErkrankten. Auch bei HBV wird eine Übertragung erst bei sehr hohen Viruswerten wahrscheinlich: wenigstens 100 Millionen infektiöse Viruspartikel pro Milliliter Serum (und natürlich das Fehlen von Infektionsschutzmaßnahmen) sind erforderlich.

Noch niedriger als bei HBV-Trägern sind die Titer beim HIV-Infizierten. Die meisten Patienten haben Konzentrationen im Bereich von 1 bis 100 infektiösen Viruspartikeln pro Milliliter Serum. Diese geringe Konzentration macht eine Übertragung selbst bei perkutanem Kontakt (Nadelstichverletzung) mit HIV-infiziertem Blut unwahrscheinlich. Das Risiko wurde anhand eines Rechenmodells mit 0,3 Prozent angegeben [CDC 1989].

Zum Vergleich: das Risiko sich mit HCV zu infizieren (Nadelstichverletzung) liegt bei drei Prozent, mit HBV bei 30 Prozent. Diese Zahlen beziehen sich jedoch auf medizinisches Personal im Allgemeinen. Für Nadelstichverletzungen in Zahnarztpraxen ist das theoretische Risiko vermutlich noch geringer, schon allein deswegen, weil hier wesentlich dünnere Kanülen verwendet werden.

Nach Schleimhautkontakt wird das Risiko des medizinischen Personals auf 0,09 Prozent geschätzt. Gemeint ist der Kontakt von infiziertem Blut mit der Schleimhaut des Zahnarztes und nicht der Kontakt des Zahnarztfingers mit der Mundschleimhaut eines HIV-Infizierten. Für den Hautkontakt mit infiziertem Blut lässt sich kein Risiko angeben, obwohl es Einzelfälle gegeben haben soll. Die Infektion erfolgt dann vermutlich über Hautverletzungen des (Zahn-)Arztes [Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), 2008].

Möglicherweise führt der Zahnarzt die Aerosolbildung bei der Behandlung von HIV-Patienten als Risiko für seine Praxis an. Hierzu ist nur kurz zu bemerken: Eine Übertragung durch Aerosole hat es bisher auch nicht in Einzelfällen gegeben.

Die Überlebensdauer des HIV auf kontaminierten Oberflächen ist für die Übertragung des Virus von Wichtigkeit. Veröffentlichungen zeigen, dass die Überlebenszeit abhängig ist von der Quantität des Virus. In einer Studie, bei der ein hoher Viruspartikeltiter benutzt wurde, konnten einige Viruspartikel auf künstlich kontaminierten Oberflächen gefunden werden, nachdem diese Oberfläche einige Tage der Luft ausgesetzt war. Dagegen konnte in weiteren Studien mit weniger konzentrierten Proben gezeigt werden, dass nach 30-minütiger Lufttrocknung keine Viren mehr nachweisbar waren, das heißt, eine Inaktivierung von HIV geschieht bereits auf dem einfachen Wege der Luftexposition beziehungsweise nach Anwendung chemischer Desinfektionsmitteln mit normaler Konzentration.

Trotz dieses ausgesprochen geringen Risikos müssen alle Instrumente, die mit Blut und Geweben in Kontakt gekommen sind, jeweils zwischen zwei Behandlungen ausreichend gesäubert, desinfiziert und sterilisiert werden. Obwohl die Praxis zeigt, dass eine Übertragung von Patient zu Patient unwahrscheinlich ist, muss die Sterilisation der Instrumente aus theoretischen Überlegungen letztlich als die einzige verlässliche Methode angesehen werden. Obwohl die Desinfektion die Inaktivierung von Krankheitserregern (ausgenommen Sporen) und somit auch die Inaktivierung von HIV umfasst, sei hier darauf hingewiesen, dass die Sterilisation die sicherste Maßnahme ist. Diese Maßnahmen gehören jedoch zu den selbstverständlichen Standardverfahren in einer zahnärztlichen Praxis. Für das zahnärztliche Behandlungsteam kann bei der Einhaltung der empfohlenen Hygienerichtlinien eine Infektionsübertragung ausgeschlossen werden. Daher entbehren Bemerkungen wie

„Um HIV-Patienten zu behandeln, habe ich keine geeigneten Desinfektions- oder Sterilisationsverfahren“, jeder Grundlage.

Verfahren bei bekannter HIV-Infektion

Für HIV-positive Patienten gilt, dass generell keine Modifikationen des zahnmedizinischen Behandlungsschemas notwendig ist , außer wenn

1. der Patient eine niedrige CD4-Zellzahl (unter 200 pro Mikroliter) aufweist, da hierdurch orale Veränderungen auftreten können, die einer speziellen Behandlung bedürfen.

2. die Thrombozytenzahl unter 60 000 pro Milliliter liegt, da die Bildung des Blutkoagulums nach einer Zahnextraktion nicht sichergestellt ist.

3. die Zahl der neutrophilen Granulozyten unter 500 Zellen pro Milliliter liegt, da diese Patienten einer antibiotischen Prophylaxe bedürfen.

Diesen Patienten ist anzuraten, sich bei den Zahnärztekammern beziehungsweise bei der AIDS-Hilfe nach sogenannten Schwerpunktpraxen oder Abteilungen in den Universitätskliniken zu erkundigen, die über besondere Erfahrung mit dieser Patientengruppe verfügen.

Univ.-Prof. Dr. Andrea Maria Schmidt-Westhausen,CharitéCentrum für ZMK-HeilkundeOralmedizin, zahnärztliche Röntgenologieund Chirurgie, Campus Benjamin FranklinAßmannshauser Str. 4-6, 14197 Berlinschmidt-westhausen@charite.de

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