Leitartikel

Vorkassen-Geschwätz

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

dieser Tage droht ein zartes Pflänzchen zertreten zu werden, das kaum Wurzeln getrieben hat und noch keine Blüten zeigen konnte: die Kostenerstattung. Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler brachte – den Koalitionsvertrag im Kopf – selbst die Debatte in Gang.

Offenbar hatten einige nur auf das Stichwort gewartet. Eine abwegige Geisterdebatte diskreditierte rationales Denken; triefende Vorurteile, trotzige Klientelvorwürfe.

Zu hoffen ist, dass die hier aufkeimende „Sturm- und Drang-“Attitüde aus dem Bundesgesundheitsministerium nicht provoziert, was schon Deutschlands Dichterfürst Goethe wußte: „Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los.“ Eine Versachlichung der Diskussion um das Thema Kostenerstattung muss her.

Zugegeben: Der Minister hat angesichts seiner mehr als hoch gelegten Messlatte des Paradigmenwechsels zur einkommensunabhängigen Finanzierung der GKV auch um noch so kleine Erfolge hart zu kämpfen. Das Spiel, was man ihm aufdrängt, ist alles andere als leicht.

Die „Geister“, die Rösler mit seiner Ankündigung, künftig die Kostenerstattung zu erleichtern, zu einem Zeitpunkt auf den Plan gerufen hat, an dem ein großer Reformschritt noch nicht einmal beschlossen ist, die dürfte er vorerst tatsächlich nicht mehr los werden. Leider sind es eben nicht die Befürworter, sondern diejenigen, die schon immer rot sahen, wenn das Thema ernsthaft diskutiert werden sollte. Sowohl die gesetzlichen Krankenkassen als auch die SPD sprechen von „Vorkasse“ und beschwören das alte Schreckgespenst der Mehrklassenmedizin.

Dabei ist das hanebüchener Unsinn. Selbst ein Sozialdemokrat wie der oppositionelle Karl Lauterbach weiß um das System der ordentlichen Rechnungslegung und um die Vorteile der Patienten, auch für die medizinischen Leistungen einen Zuschuss zu erhalten, die die knappen Krankenkassen nicht im Leistungsspektrum haben.

Kostenerstattung ist ein Instrument für Therapiefreiheit und Teilhabe am medizinischen Fortschritt, den ein reines Sachleistungssystem nicht leisten kann. Soviel Sachverstand sollte man nach den bisherigen Erfahrungen mit berücksichtigen.

In der Zahnmedizin – und nicht nur dort – sind solche nach diesem Prinzip ausgerichteten Maßnahmen in einzelnen Bereichen bereits umgesetzt. Zahnärzte und ihre Patienten kennen das Gespräch um Kosten und Nutzen von Therapien, die Patienten bewegen sich in einem kombinierten System aus Kassen- und Eigenleistung. Dieses Vorgehen hat sich, so sagt es selbst die SPD, bewährt.

Nichts anderes liegt hinter der Forderung nach einer Erleichterung des Zugangs zur Kostenerstattung. Hier geht es um die Entscheidungsfreiheit des Bürgers, Therapielösungen nutzen zu können, die das Solidarsystem nicht leisten kann. Mag sein, dass die gesetzlichen Krankenkassen in ihrer ständigen Hoffnung auf mehr Kontrolle und Eingriffsmöglichkeiten beim offenen Vertrauenssystem Zahnarzt und Patient hier keine Ruhe geben können. Immerhin steht – prinzipiell betrachtet – die Rückwärtsrolle vom Player zum Payer ins Haus.

Dass bei einem solchen Ansinnen, das noch dazu auf Freiwilligkeit basiert, der Opposition der Kamm schwillt, hat Tradition, aber keinen Sachverstand. Philipp Rösler ist hier sicherlich auf dem richtigen Weg. Ob allerdings im Rahmen der Diskussion der Zeitpunkt richtig gewählt ist, ob der Minister den jetzt schon absehbaren Vorwurf erneuter Klientelpolitik parieren kann, wird sich zeigen. Kräftesparend ist dieser auf den ersten Blick zauberhaft anmutende Spruch nach Patientensouveränität zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur bedingt.

Schade wäre es, wenn an dieser Stelle die Kanzlerin nach eskalierendem Streit den meisterlich erlösenden Bannspruch in dieser Geisterdebatte leisten müsste. Wir und unsere Patienten brauchen dieses Instrument. Also in die Ecke, Besen! Hier geht es nicht um Zauberei, hier geht es um nicht mehr und nicht weniger als pure Vernunft.

Mit freundlichen kollegialen Grüßen

Dr. Jürgen FedderwitzVorsitzender der KZBV

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