Gesundheitsprämie

Folgenreiche Entscheidung

Philipp Rösler hat sich viel vorgenommen: Der neue FDP-Gesundheitsminister möchte das Gesundheitssystem prinzipiell umgestalten. Quasi als Weichenstellung für den künftigen Kurs der Regierung in der Gesundheitspolitik soll die aktuelle Finanzierung des Systems über eine Umlage von einem prämien-finanzierten System abgelöst werden. Zahlreiche Reaktionen zeigen indes, dass mit erheblichem Widerstand zu rechnen ist. Eine breite Opposition formiert sich, alte Konflikte zwischen den Parteien brechen wieder auf.

Seit dem 01.01.2009 bekommen die gesetzlichen Krankenkassen ihre finanziellen Mittel aus dem Gesundheitsfonds, einer zentralen Geldsammel- und -verteilstelle, erdacht und eingerichtet noch von der Großen Koalition. Mit einem einheitlichen Beitragssatz für die Versicherten von 14, 9 Prozent ausgestattet, reicht der Betrag jedoch bei Weitem nicht aus, um die laufenden Gesundheitskosten der Kassen zu decken. Der Schätzerkreis ging im Herbst 2009 noch von einer Unterfinanzierung des Fonds von 3,9 Milliarden Euro aus, die aus Staatsmitteln beigesteuert werden müssten. Diese Summe wurde auch bereits in den Haushalt für 2010 eingestellt. Zu Beginn des Jahres gab das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) zwar Entwarnung:

Weil das Loch in den Sozialkassen voraussichtlich kleiner ausfiele als 2009 angenommen, kämen die Krankenkassen mit Staatshilfen von 1,4 Milliarden Euro aus. Der Spitzenverband der Krankenkassen widersprach jedoch umgehend und massiv: Auf den vollen Betrag der Staatshilfe könne angesichts eines Gesamtdefizits der GKV von 7,8 Milliarden Euro nicht verzichtet werden.

Doch damit nicht genug: Neben dieser Finanzspritze ist es den Kassen möglich, zur Deckung ihrer Kosten Zusatzbeiträge von ihren Mitgliedern zu erheben, was für Kritiker bereits einer ’kleinen Kopfpauschale’ nahekommt. Im Schnitt wären das laut Schätzerkreis zwölf Euro im Monat pro Versicherten.

Die einkommensunabhängige Prämie

Mit der chronischen Unterfinanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung möchte der FDP-Gesundheitsminister nun Schluss machen: Eine einheitliche einkommensunabhängige Prämie der Versicherten soll künftig dafür sorgen, dass der Fonds nicht länger unterfinanziert bleibt. Die Barmer Ersatzkasse rechnete aus, dass der Beitrag monatlich etwa 145 Euro ausmacht. Weil dies jedoch für viele Versicherte mehr ist als das, was sie aktuell bezahlen, will Rösler einen Sozialausgleich aus Staatsmitteln einführen. Über dessen Höhe wird trefflich gestritten, je nach politischem Standpunkt. Während Prämien-Gegner mit Kosten von bis zu 40 Milliarden Euro rechnen, die der Staat zuschießen müsste, kommen die Befürworter auf etwa die Hälfte der Summe.

Bislang gibt es wenig Konkretes, nur so viel steht fest: Rösler will den Zusatzbeitrag schrittweise und nicht ad hoc einführen. Daher bräuchte es zu Beginn der Umstellung nur wenige staatliche Hilfen. Die FDP wisse, dass man niemanden überfordern dürfe, sagte er der Frankfurter Rundschau. Anderen Medien versicherte er, dass es Steuererhöhungen zur Finanzierung des notwendig werdenden staatlichen Sozialausgleichs nicht geben wird. Details würde, wie im Koalitionsvertrag festgelegt, eine Regierungskommission bis Mitte 2010 erarbeiten, bis dahin sei alles weitere Spekulation.

In den letzten Wochen formierte sich allerdings eine überparteiliche Opposition zu den Plänen Röslers – Gewerkschaften, SPD, Krankenkassen und Sozialverbände haben Widerstand angekündigt. Besonders pikant:

Auch CDU-Vordere wie Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer lehnen die Prämie ab: „Ich kann nicht sehen, dass dieses Modell in absehbarer Zeit umgesetzt werden kann.“

Und die CSU kündigt seit Wochen an, die Prämie verhindern zu wollen. Für Parteichef Seehofer ist sie „im Koalitionsvertrag nicht vereinbart“, für Bayerns Gesundheitsminister Markus Söder erschüttere die Prämie „die Grundfeste des Solidarprinzips“. Allerdings ist die CSU in dieser Frage nicht geschlossen: Wolfgang Zöller, Patientenbeauftragter der Bundesregierung, sprach sich für ein derartiges Modell aus.

Widerstand auch in den eigenen Reihen

Dennoch läuten Krankenkassen, Gewerkschafter und Oppositionspolitiker zum Sturm. Allen voran der Deutsche Gewerkschaftsbund. DGB-Chef Michael Sommer hat bereits angekündigt, mit breit angelegten Kampagnen in der Bevölkerung gegen die Reform anzugehen. DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach verglich die Prämie mit einem drohenden „Hartz-IV-System im Gesundheitswesen“, mit dem die Versicherten zu „abhängigen Bittstellern des Staates“ werden. Und Birgit Fischer, Chefin der mächtigsten Kasse Deutschlands, der Barmer GEK, sieht 60 Prozent der Versicherten auf Steuerzuschüsse angewiesen.

Ohnehin präsentiert sich SPD-Mitglied Fischer, eine der vier Stellvertreterinnen von NRW-Landeschefin Hannelore Kraft, als Gegenspielerin Röslers. Der wiederum hält ihre Kritik, die Prämie sei „ungerecht und unfinanzierbar“, für durchschaubare Parteipolitik.

Deutlich wird: Röslers Pläne polarisieren – und so bietet sich der Opposition die Möglichkeit der Wiederbelebung der öffentlichen Diskussion um eine Umgestaltung des Gesundheitssystems mittels Prämien, oder via Bürgerversicherung, was SPD, Linke und Grüne sowie Gewerkschaften und Sozialverbände befürworten. Während Rösler als Adlatus von Kanzlerin Merkel derzeit also Anlauf nimmt, um einen jahrealten CDUBeschluss auf Einführung der Gesundheitsprämie umzusetzen, bietet sich für die Opposition die Möglichkeit, eine Diskussion wiederzubeleben, die zu Ende jener Zeit am heftigsten war, als die SPD mitregierte und die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt noch die Verantwortung trug.

Personalie sorgt für Zündstoff

Der Diskurs dürfte durch eine bemerkenswerte Personalie zusätzlich angefacht werden: Der Vizedirektor der Privaten Krankenversicherung Christian Weber geht ins Gesundheitsministerium. Als Abteilungsleiter für Grundsatzfragen soll der in der FDP aktive Weber an der geplanten Umstellung der GKV als Prämienmodell mitarbeiten.

Rösler will als neuer Hausherr im Gesundheitsministerium, das macht die Personalie Weber deutlich, einen neuen Kurs einschlagen. Schließlich hat die FDP in der Vergangenheit und im letzten Wahlkampf keinen Hehl daraus gemacht, dass sie ein prämienfinanziertes Gesundheitssystem favorisiert. Die Financial Times Deutschland bilanziert:

„Branchenbeobachter erwarten, dass der langjährige PKV-Lobbyist die Einführung einer Kopfpauschale vorantreiben wird.“ Man braucht daher kein Prophet zu sein, um anzunehmen, dass sich die Opposition angesichts Röslers Besetzungs-Coup zu weiterem Widerstand berufen fühlen wird.

Keine Krise – nur Beratung

Auch ist nicht davon auszugehen, dass der koalitionsinterne Streit zwischen FDP und CSU bei dem Abendessen der Regierung am 17.01.2010 im Kanzleramt auf Dauer beigelegt worden ist. Zu offensichtlich wurde allzu übereinstimmend kommentiert, dass es kein Krisengipfel, sondern nur ein allgemeiner Kommunikationsaustausch gewesen sei. Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel, der Außenminister und FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle sowie CSU-Chef Horst Seehofer hätten lediglich über die Streitthemen der schwarz-gelben Koalition beraten.

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