Gastkommentar

Kein Märtyrer

Heftarchiv Meinung
Wer die Pharmaindustrie kontrollieren soll, sich selbst aber über die Regeln stellt, hat sich für den Job diskreditiert, meint FAZ-Berlin-Korrespondent Andreas Mihm zur Diskussion um IQWiG-Chef Peter Sawicki.

Im Gesundheitswesen spielt das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit (IQWiG) eine besondere Rolle. Es soll für die Selbstverwaltung der Kassen, Ärzte und Krankenhäuser prüfen, ob Therapien und Arzneimittel den Nutzen bringen, den die Hersteller versprechen. Es soll auch feststellen, ob die Kosten, die die Ärzte auslösen und die Kassen erstatten, im Vergleich zum Nutzen des Präparats angemessen sind.

Streit ist da vorprogrammiert: mit der Pharmaindustrie, die ihre teuren Pillen verkaufen will, mit Fachgesellschaften der Ärzte, die die Bewertungen nicht teilen, mit Selbsthilfegruppen, die den Nutzen eines Arzneimittels höher einschätzen als die Prüfer. Deshalb braucht das Institut eine starke Führung. Einen Fachmann, der fair aber furchtlos in die Debatte einsteigt, der der Arzneimittelindustrie die Stirn zu zeigen weiß und sich nicht einschüchtern lässt.

So einer ist Peter Sawicki, Diabetologe, Internist, Chefarzt, Universitätsprofessor, Mitherausgeber des Arzneimitteltelegramms, Gründungsvater des Deutschen Instituts für evidenzbasierte Medizin, seit 2004 Chef des IQWiG – und bekennender Kritiker der Pharmaindustrie. „Manche Hersteller verdrehen Tatsachen, bestechen Wissenschaftler, kaufen Zeitungsartikel und verschweigen unliebsame Ergebnisse von Experimenten“, sagt er. Mindestens die Hälfte der Arzneien sei überflüssig. Es gebe zu viele Pillen für ähnliche Erkrankungen, nur weil sich die Hersteller Profit davon versprächen.

Kein Wunder, dass die Branche nicht gut auf den Fliegenfischer zu sprechen ist, bei dem das Selbstbewusstsein zuweilen in Sendungsbewusstsein umzuschlagen scheint. „Peter der Große“ titelte die Financial Times Deutschland. Doch auch der gerät an seine Grenzen: Der Aufbau des Instituts hat länger gedauert als geplant. Auch auf die Methoden zur Kosten-Nutzen-Bewertung musste die Öffentlichkeit lange warten.

Grenzen anderer Art hat ihm vor zwei Jahren der Institutsvorstand aufgezeigt. Damals hatte Sawicki Aufträge ohne Ausschreibung vergeben, auch an sein altes Institut, in dem seine Frau tätig war. Der Vorstand beließ es bei einer Ermahnung. Ende November 2009, die Verlängerung des 2010 auslaufenden Vertrags stand bevor, leitete Sawicki ein Prüfverfahren gegen sich ein. Wegen möglicher „Fehler unter anderem bei verschiedenen Abrechnungen, Lieferungen und Vertragsabschlüssen“. Fehler wurden tatsächlich gemacht, vom Instituts-Vorstand, aber vor allem von Sawicki. Das belegt das Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO. Sie hält arbeitsrechtliche Schritte gegen ihn für möglich, der Dienstwagen fuhr, die er nicht fahren durfte, der private Parkhaus- und andere Quittungen abrechnete, der bei seinen innerdeutschen Flügen stets Business-Class buchte, auch wenn die Reisekostenverordnung das nicht hergab.

Niemand wirft Sawicki vor, er habe sich persönlich bereichert. Aber das sind zu viele Kleinigkeiten, um generös über sie hinwegzusehen. Wie sollte der Vorstand vertrauensvoll mit dem Chef des Instituts weitere Jahre zusammenarbeiten, der sich an Regeln – auch nach einem „Warnschuss“ – nicht hält?

Natürlich ist die Angelegenheit politisch verzwickt. Gesundheitspolitikern aus Union und FDP war Sawicki schon länger ein Dorn im Auge. Schon behauptet die Opposition: Weil Schwarz-Gelb den Mann eh weghaben wolle und die Interessen der Pharmaindustrie vertrete, nutze man nun die erste Gelegenheit, ihn kalt abzuservieren.

Sawicki ein Märtyrer? Das stellt die Dinge auf den Kopf: Wer die Pharmaindustrie kontrollieren soll, sich selbst aber über die Regeln stellt, der hat sich für den Job diskreditiert. Wer für mehr Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen sorgen will, der hat sich disqualifiziert, wenn er selbst nicht peinlich genau auf einen wirtschaftlichen Umgang mit Beitragsgeldern achtete.

Sawickis Nachfolger wird beweisen müssen, dass das Institut unabhängig ist und bleibt. Die (Fach-)Öffentlichkeit wird noch genauer hinschauen. Zum unterstellten plumpen Vorteil für die Pharmaindustrie dürfte die notwendige Ablösung deshalb kaum geraten.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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