Gastkommentar

Die wirkende Kraft

sg
Philipp Rösler wird gemeinhin unterschätzt. Während politische Gegner und Medien den Gesundheitsminister scharf attackieren, geht Rösler ruhig seiner Arbeit nach, meint Klaus Heinemann, gesundheitspolitischer Fachjournalist.

Es ist schon ein unschätzbarer Vorteil, von seinen Gegnern nicht für voll genommen zu werden. Das gilt im Sport wie in der Politik. Manchmal auch in der Beziehung. Aus dieser Position deutlichen Understatements fällt es dem Akteur leicht, durch einen vergleichsweise harmlosen Vorstoß den größtmöglichen Effekt zu erzielen.

Da haben Politiker der Opposition, aber auch Angehörige der Regierungsmannschaft nachgerade Veitstänze aufgeführt ob der angeblichen politischen Untätigkeit des amtierenden Bundesgesundheitsministers Philipp Rösler. In engem Schulterschluss mit ihrer jeweiligen journalistischen Entourage wurden dem FDP-Politiker entweder Vetternwirtschaft im Ministerium, Klientelpolitik in der Amtsausübung oder – bei vergleichsweise entspannter Betrachtungsweise – zumindest Defizite in der politischen Wahrnehmung vorgeworfen.

Mögen politisches Verhalten und mediale Präsenz der Opposition aus SPD und Grünen noch nachvollziehbar sein, so ist es die Rolle des bayerischen Unionsablegers längst nicht mehr. Auch diesen Politikern muss doch – selbst wenn sie zur Nachwuchsmannschaft gehören – geläufig sein, was ihr jetziger Regierungschef in seiner Rolle als Gesundheitsminister (früher) und gesundheitspolitischer Verhandlungsführer (später) angerichtet hat. Die Ära des Gesundheitspolitikers Horst Seehofer ist , was die Inhalte und Ergebnisse anbelangt, noch längst nicht kritisch aufgearbeitet worden.

Und dann die enervierenden Statements eines theoretisierenden und arrogantnäselnden sogenannten SPD-Sozialexperten Lauterbach. Was hat dieser für TV-Kameras omnipräsente Mann nicht schon an Unsinn abgesondert, an den er sich garantiert am nächsten Tag nicht mehr erinnern kann. Ist ja auch nicht so wichtig in diesem schrecklichen Berliner Betrieb, der nur noch in der Lage ist, einen Hecheljournalismus zu betreiben. Wer nachdenkt, hat verloren.

Alles das und mehr kann einem politischen Talent wie Rösler nur zugutekommen. Das, was er – dem nachgerade eine zwanghafte Nähe zur Pharmaindustrie unterstellt wird – jetzt im geschmeidigen Frontalangriff gegen deren Lobby auf den Weg bringt, gebiert allgemeine Verblüffung. Oder verschlagenes Schweigen jener, die sich ertappt fühlen. Das, was Rösler im ersten Schritt vorhat, ist alles andere als sensationell. Es stellt jedoch zugleich erstmals seit Jahrzehnten den Versuch dar, einen – oder gar den – Kostentreiber im Gesundheitswesen an die Kette zu legen.

Das Gesundheitswesen ist zwar nicht mit der wettbewerbsorientierten freien Wirtschaft zu vergleichen. Dazu fehlt es an nahezu allen Kriterien: Zwangsbeiträge finanzieren das System, die Leistungen der GKV sind zu über 90 Prozent gesetzlich festgelegt, es gibt keine wirklich freien Vertragsverhandlungen zwischen gleichstarken Partnern mit dem Ziel einer Optimierung der Versorgung.

Alles das weiß der so deutlich unterschätzte Minister. Und natürlich weiß er auch um die Herausforderungen, die eine dramatisch alternde Gesellschaft für ein System bedeutet, das sich aus Zwangsabgaben einer schrumpfenden Zahl an sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten finanziert.

Ein stark wachsender Teil der Bevölkerung zahlt überhaupt keine Sozialbeiträge. Sollen folglich die Lasten in diesem System zunehmend von jenen getragen werden, die noch einen Job haben? Oder ist doch die Umsteuerung auf die Finanzierung durch ein Steuersystem, dem alle unterworfen sind, gerechter?

Das ist nur eine der Schlüsselfragen, die in der laufenden Parlamentsperiode zu lösen sind. Und dabei sollte sich der Bundesgesundheitsminister in gleicher Weise nicht irritieren lassen durch die aufgeregten elektronischen Medien wie bisher auch. Denn nur in der Ruhe liegt die Kraft, die letztlich wirkt.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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