Seltene Infektionserkrankung der Kopf-Hals-Region

Kutane atypische Mykobakteriose

220289-flexible-1900
Heftarchiv Zahnmedizin

Ein neunjähriges Kind wurde wegen einer über drei Monate langsam progredienten Hauteffloreszenz im Bereich der linken Wange vorgestellt. Konkret lag ein schmerzloses, kutanes Infiltrat teilweise mit aufgelagerten Hautschuppen vor, das zur Tiefe hin strangartig auslief (Abbildung 1). Palpatorisch ließ sich neben dem recht derben intrakutanen oberflächlichen Anteil auch eine Fluktuation im subkutanen Anteil der Läsion erkennen. Im Rahmen der intraoralen Untersuchung ergab sich kein Hinweis auf eine dentogene Infektion, insbesondere zeigte sich keine Ursache einer chronisch granulierenden Parodontitis nach Partsch. Die Zähne waren in gutem Pflegezustand, nicht perkussionsempfindlich und reagierten auf Kälteprovokation sensibel. In der Panoramaschichtaufnahme wurde kein radiologisches Korrelat einer Infektion erkennbar.

Sonographisch zeigten sich eine echoarme Raumforderung im Unterhautfettgewebe, die eine dorsale Schallverstärkung aufwies (Abbildung 2), als Korrelat des klinisch liquiden Anteils und eine echoreiche Läsion in der Tiefe der Wange. Daneben fielen ausgedehnte Lymphknotenkonglomerate insbesondere submandibulär auf (Abbildung 3).

Insgesamt war die Befundkonstellation zwar charakteristisch für eine atypische Mykobakteriose, allerdings handelte es sich hier um eine Verdachtsdiagnose, die üblicherweise eine histologische und mikrobiologische Sicherung erfordert hätte. Insofern wurden den Eltern auch die Exstirpation eines Lymphknotens und die Punktion des Wangenbefunds vorgeschlagen. Die Eltern lehnten allerdings eine operative Intervention ab, so dass probatorisch eine antibiotische Therapie mit Clarithromycin eingeleitet wurde.

Unter dieser Therapie bildete sich die kutane Läsion deutlich zurück, so dass die Diagnose der Mykobakteriose ex juvantibus als gesichert gelten kann. Allerdings persistierte der größte der submandibulären Lymphknoten. In der Folge wurde dieser Lymphknoten selektiv exstirpiert. Die intraoperative Morphologie (Abbildung 4) war dabei erneut charakteristisch für eine atypische Mykobakteriose, und es ergab sich histologisch eine epitheloidzellig-granulomatöse und floride nekrotisierende Lymphadenitis.

Zwar konnte zu diesem Zeitpunkt keine Mykobakterien-DNA mehr nachgewiesen werden, allerdings entsprach die Histomorphologie dem Residualzustand einer therapierten Mykobakteriose. Abschließend wurde ein zweiter Therapiezyklus mit Clarithromycin eingeleitet, um auch eventuelle residuale Keime in anderen zervikalen Lymphknoten zu beseitigen.

Diskussion

Die Inzidenz der atypischen Mykobakteriose im Kindesalter steigt zwar weltweit an [Chang et al., 2006], ist aber in den westlichen Ländern als kutane Manifestation immer noch ein seltenes Krankheitsbild. Bei Kindern ist die atypische Mykobakteriose im Gegensatz zu Erwachsenen nicht typischerweise mit einem Immundefizit assoziiert. Das klinische Bild der kutanen atypischen Mykobakteriose im Kindesalter ist von einer lokalen schmerzlosen Schwellung mit Rötung und teilweise livider Verfärbung sowie der Ablösung oberflächlicher Hautschichten geprägt. Eine Beteiligung sämtlicher zervikaler Lymphknoten ist möglich, jedoch werden vor allem Lymphknotenbefunde submandibulär und submental beobachtet [Chang et al., 2006]. Diese bevorzugte Lokalisation wird durch den Eintritt der ubiquitär vorkommenden Mykobakterien über die Mundhöhle bei Kindern erklärt [Mandell et al., 2003]. Daneben gehören auch Hautläsionen zu den möglichen Eintrittspforten [Moergel et al., 2004].

Während früher die chirurgische Intervention bei der kutanen atypischen Mykobakteriose noch größere Bedeutung hatte, ist mit der hohen Erfolgsrate des Clarithromycins die primäre antibiotische Therapie vor allem bei umschriebenen Läsionen heute Therapie der ersten Wahl [Lindeboom et al., 2007].

Gerade bei einer Hautläsion im Bereich konvexer Hautareale, wie hier der Wange, wären sichtbare Narbenbildungen als Folge der chirurgischen Therapie unvermeidbar. Insofern bleibt die operative Intervention in diesen Lokalisationen auf therapierefraktäre Befunde beschränkt.

Bei der Wahl der individuellen Therapie sollte neben dem klinischen Befund auch die Compliance des Patienten berücksichtigt werden, da eine antibiotische Therapie mehrere Monate andauert und engmaschige Kontrollen erfordert. Vor allem gastrointestinale Symptome (Magenschmerzen, Übelkeit, Diarrhoe, Erbrechen) aber auch eine orale Mukositis werden unter der Langzeittherapie beobachtet. Da gelegentlich auch Blutbildveränderungen mit einer Leukopenie oder Thrombopenie und daneben eine Vielzahl seltener Nebenwirkungen auftreten können, sollte diese Therapie immer in kompetenter pädiatrischer Hand bleiben.

Wichtig ist an dieser Stelle noch, dass bei der alleinigen antibiotischen Therapie eine definitive Diagnose nur aus dem Verlauf heraus erkennbar wird. Engmaschige Kontrollen sind daher zwingend erforderlich, um bei einem Progress unmittelbar weitere diagnostische Maßnahmen einzuleiten.

Daria PakoschDr. Dr. Marcus Stephan KriwalskyProf. Dr. Dr. Martin KunkelKlinik für Mund-, Kiefer- und plastische GesichtschirurgieRuhr-Universität BochumKnappschaftskrankenhausBochum-LangendreerIn der Schornau 23-2544892 Bochumdaria.pakosch@rub.demarcus.kriwalsky@ruhr-uni-bochum.demartin.kunkel@ruhr-uni-bochum.de

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