Gastkommentar

Mittel gegen Arzt-Hopping

Die Praxisgebühr hat keine Steuerungswirkung. Eine Neuregelung ist überfällig, meint Dr. Dorothea Siems, Politikkorrespondentin der Welt, Berlin.

Die Praxisgebühr ist wieder ins Gerede gekommen. Zwar haben sich die Deutschen längst an den Zehn-Euro-Obulus gewöhnt. Doch die bei der Einführung von der Politik versprochene Steuerungswirkung ist ausgeblieben. Auch CDU, CSU und FDP sehen das so. Um so erstaunlicher ist es, dass sich die Koalition nicht zu einer Änderung der Zuzahlungsregelung durchringen kann. Dabei könnte die Gebühr viel mehr sein, als nur eine weitere Geldquelle für die Krankenkassen.

Der Aufschrei war laut, als die damalige rotgrüne Regierung 2004 die neue Zuzahlung einführte. Was in anderen Ländern seit Jahrzehnten schon Usus ist, bedeutete für Deutschland einen Kulturschock. Die einmal pro Quartal fällige Eintrittsgebühr beim Arzt galt Sozialverbänden und Gewerkschaften als Ausdruck sozialer Kälte. Mittlerweile aber ist die Praxisgebühr in der Bevölkerung weitgehend akzeptiert.

Wer allerdings gehofft hatte, die Praxisgebühr würde die Deutschen dazu bewegen, seltener zum Arzt zu gehen, hat sich getäuscht. Zwar registrierten die Krankenkassen nach der Einführung einen Rückgang der Arztbesuche um zehn Prozent. Doch dieser Effekt war nur von kurzer Dauer. Inzwischen suchen die Versicherten sogar häufiger eine Praxis auf als vor der Einführung der Gebühr. Mit durchschnittlich 18 Arztbesuchen im Jahr liegen die Deutschen europaweit an der Spitze. Dabei ist nicht bekannt, dass die Menschen hierzulande kränker sind als in anderen Ländern oder infolge der häufigen Arztkontakte besser versorgt. Die Deutschen neigen vielmehr dazu, mit jedem Zipperlein zum Hausarzt oder gleich zum Spezialisten zu gehen. Die Zahlung scheint bei einigen Versicherten regelrecht einen Drang auszulösen, möglichst viele ärztliche Leistungen nachzufragen, damit es sich auch lohnt. Eine Kontrolle, ob der gewünschte Facharztbesuch überhaupt sinnvoll ist, findet nicht statt. Zumal es durchaus vorkommt, dass etwa ein Augenarzt die Praxisgebühr erhält und dann zum Orthopäden, Gynäkologen oder Hautarzt überweist.

Es gibt noch einen weiteren Grund, warum die Zehn-Euro-Abgabe keine Einsparung bringt: Über die Jahre hat sich der Kreis der Versicherten, die diese Gebühr berappen, stetig verkleinert. Mittlerweile zahlt nur noch jeder vierte Versicherte die Praxisgebühr. Das Gros der Kassenpatienten ist aus verschiedenen Gründen – sei es das niedrige Einkommen oder die Teilnahme an einem Hausarzt- oder Chronikerprogramm – befreit. Und so spült die Praxisgebühr denn auch lediglich 1,5 Milliarden Euro in die Kassen von AOK und Co.

Es gibt viele Vorschläge, wie sich das Instrument der Praxisgebühr verbessern ließe. Fünf Euro bei jedem Arztbesuch, fordern die einen. Andere plädieren für eine prozentuale Beteiligung an den Arztkosten. In der Tat wäre es sinnvoll, die Eigenbeteiligung auszuweiten, um eine Steuerungswirkung zu erzielen. Damit Versicherte nicht länger zulasten der Solidargemeinschaft bei jeder Bagatellerkrankung einen Mediziner konsultieren, sollte das mit zehn Euro viel zu günstige „All-inclusive-Angebot“ durch eine genauere Gebührenregelung ersetzt werden. Sämtliche Vorsorgeuntersuchungen und sinnvolle Impftermine sollten weiterhin gebührenfrei sein. Auch in der Zahnmedizin sind Änderungen nicht notwendig, da es kein Zahnarzt-Hopping und auch keine übermäßig häufigen Zahnarztbesuche gibt. Ansonsten aber wäre eine prozentuale Eigenbeteiligung mit Höchstgrenze wie bei Arzneimitteln zielführender als die heutige Regelung. Dies dürfte so manchen Patienten motivieren, öfter mal dem Hausarzt oder altbewährten Hausmitteln zu vertrauen, statt von einem Spezialisten zum nächsten zu rennen. Chronisch Kranke würden mit dieser Regelung übrigens nicht schlechter fahren: Sie kommen im Schnitt nur zweimal pro Quartal in eine Praxis. Weniger Arztkontakte hätten den Vorteil, dass dann für den Patienten mehr Zeit bliebe und weniger Arzneimittel verschrieben würden.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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