Eckpunkte zur Gesundheitsreform

Weniger Netto vom Brutto

Mit Beitragserhöhungen und Kostendämpfungen reagiert die Bundesregierung auf das Milliardendefizit der Krankenkassen. Ob Patienten, Ärzte, Industrie oder Unternehmer – alle zahlen drauf. Die Eckpunkte zur Gesundheitsreform sind deshalb Lichtjahre vom großen Wurf entfernt. Aber es gibt eine neue Sprachregelung: Der „Zusatzbeitrag“ heißt jetzt „kleine Kopfpauschale“.

„Für ein gerechtes, soziales, stabiles, wettbewerbliches und transparentes Gesundheitssystem“ – mit diesen Worten ist das vierseitige Eckpunktepapier zur Gesundheitsreform überschrieben. In Wirklichkeit rollt auf die gesetzlich Krankenversicherten und ihre Arbeitgeber eine Milliardenkostenlawine zu.

Um das für 2011 erwartete Elf-Milliarden-Loch in der GKV zu stopfen, wird als Erstes der Beitragssatz erhöht, und zwar von 14,9 auf 15,5 Prozent. Der Arbeitnehmeranteil soll von 7,9 Prozent auf 8,2 Prozent steigen, der der Arbeitgeber von sieben bei 7,3 Prozent einfrieren. Der bisherige Passus, wonach die Sätze nur dann angehoben werden dürfen, wenn der Gesundheitsfonds die Kassenausgaben zu weniger als 95 Prozent trägt, wird ersatzlos gestrichen. Zusatzbeiträge? Dürfen die Kassen künftig selber festsetzen – ungedeckelt.

Zwei Milliarden Euro werden dem System zudem durch eine einmalige Steuerspritze zugeführt. Drei bis vier Milliarden Euro sollen über Sparmaßnahmen zusammenkommen. Insbesondere bei Krankenhäusern, Ärzten und Arzneimitteln wird gekürzt. Die Pharmabranche trägt allein zwei Milliarden Euro. Bei den Zahnärzten sollen die Kostensteigerungen auf die Hälfte des Zuwachses der Grundlohnrate beschränkt werden. Die Ärzte bekommen zwar keine Nullrunde verordnet, ihr Honorar steigt aber weniger, das heißt nur um 1,2 Milliarden Euro.

Insbesondere die Hausarztverträge stehen auf der Kippe. „Das Vergütungsniveau der hausarztzentrierten Versorgung wird begrenzt“, heißt es in den Eckpunkten vage. Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) will das Honorar für die Hausarztverträge nach § 73 b „auf dem Niveau der Regelversorgung festschreiben“. Bestehende Verträge wie mit der AOK Bayern oder Baden-Württemberg sind davon zwar nicht berührt, doch kann der Hausärzteverband bei neuen Verträgen nicht mehr die Konditionen bestimmen. Bei den Kassen werden die Verwaltungskosten auf dem Niveau von 2009 für zwei Jahre festgeschrieben.

Fehlen die Kliniken: 30 Prozent Abschläge sollen sie für Leistungen hinnehmen, die über das vertraglich vereinbarte Budget hinaus erbracht worden sind – macht 350 Millionen Euro. Außerdem sollen die Kostensteigerungen nur halb so hoch ausfallen dürfen, wie die Grundlohnrate wächst. Das würde die Kliniken weitere 150 Millionen Euro kosten.

Risiko statt Ausgleich

„Es ist uns gelungen, das Defizit der Krankenkassen im Jahr 2011 auszugleichen und einen Einstieg in ein dauerhaft tragfähiges Finanzsystem zu schaffen“, urteilt Rösler. „Wir können alle zufrieden sein. Es ist genau das, was wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen hatten.“

Opposition und Gewerkschaften sind anderer Meinung. Sie warfen Union und FDP Wortbruch vor. Denn statt die Finanzierung des Systems zu sichern, habe die Koalition neue Risiken für den Haushalt geschaffen: Schon in den nächsten Jahren drohten Milliardenausfälle.

Stichwort Zusatzbeitrag: Er ist die neue „kleine Kopfpauschale“, der Einstieg in die Gesundheitsprämie und damit in ein System lohnunabhängiger Arbeitnehmerbeiträge. Wie hoch er ausfällt, darf jede Kasse selbst entscheiden, anders als bisher muss er in Euro und Cent ausgewiesen werden. Übersteigt er zwei Prozent des Monatsbruttos, greift der Sozialausgleich: Der Arbeitgeber zieht dann nicht die volle Summe ab, sondern einen ermäßigten, individuell berechneten Satz. Glaubt man Rösler, ist der durchschnittliche Zusatzbeitrag bis 2014 nicht höher als 16 Euro monatlich, für den Sozialausgleich ist weniger als eine Milliarde Euro pro Jahr angesetzt. Doch durch die Zusatzbeiträge allein fehlten ab 2014 rund 2,1 Milliarden Euro Steuergeld. Auch durch das Beitragsplus von 14,9 auf 15,5 Prozent im nächsten Jahr fielen die fiskalischen Einnahmen um 600 Millionen Euro, teilte der Sprecher des Bundesfinanzministeriums, Michael Offer, in Berlin mit. Er bestätigte damit einen Bericht des „Handelsblattes“, der die Folgen des Bürgerentlastungsgesetzes schildert: Weil die Versicherten seit Anfang des Jahres ihre Beiträge von der Steuer absetzen dürfen, führten steigende Zusatzbeiträge und ihre Absetzbarkeit künftig zu einem immer größeren Steuermanko. Dem Blatt zufolge rechnen Experten mit einem Anstieg der Kosten um eine Milliarde Euro pro Jahr.

„Die Zusatzbeträge sind die Kopfpauschale, und zwar ohne Sozialausgleich, denn der ist das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben steht“, so die SPD-Gesundheitsexpertin Marlies Volkmer. Die SPD lässt jetzt die Zustimmungspflicht der Gesundheitsreform im Bundestag gerichtlich prüfen. „Ob es nun Zusatzbeiträge heißt oder Kopfpauschale, ist völlig egal“, kritisierte auch die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Biggi Bender: „Dieser Ausstieg aus dem Solidarsystem ist der falsche Weg.“ Selbst Teile der CDU und der CSU sehen inzwischen Änderungsbedarf beim eingefrorenen Arbeitgeberbeitrag und den nichtgedeckelten Zusatzbeiträgen.

Eine Packung Röslerol

Derweil kündigte das BMG weitere Reformen an: Die Kostenerstattung soll ausgeweitet, die Selbstverwaltungsorgane sollen reformiert und die Honorare im ambulanten Bereich angepasst werden. GKV-Versicherte dürfen in Zukunft wieder sofort zur PKV wechseln, sobald ihr Einkommen eine bestimmte Jahresentgeltgrenze überschreitet. Und das Ministerium kündigte an, dass „über die Vergütung ärztlicher Leistungen, die ohne jegliche Mengenbegrenzung zum festen Preis vergütet werden (extrabudgetär), noch einmal verhandelt werden“ soll.

Der Deutsche Hausärzteverband startete indes eine bundesweite Plakataktion gegen die Sparpläne. Eine Mogelpackung mit dem Schriftzug Röslerol, darin drei bittere Pillen mit dem Slogan: „Der Bundesgesundheitsminister schadet Ihrer Gesundheit.“

 

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