Mikrokredite

Weltweit im Trend

sg
Kleinstkredite gelten derzeit als das Allheilmittel, um die Armut in den Ländern der Dritten Welt zu bekämpfen. Aber auch in Deutschland können kreative Kleinunternehmer mit Minidarlehen ohne große Sicherheiten neue Existenzen gründen. Anlegern bieten sich hier Möglichkeiten, Kapital für einen guten Zweck zu investieren und dafür Renditen zu erhalten.

Zwei Prozent Zinsen und noch Gutes tun, also eine doppelte Rendite für den Mindesteinsatz von 200 Euro kassieren, diese Möglichkeit bietet der Kauf von Genossenschaftsanteilen von Oikocredit. Sicherheitsbewusste Anleger wissen, dass sie mit diesem Angebot eine vergleichsweise gute Rendite erzielen. Denn viel mehr geben die begehrten Bundespapiere zurzeit auch nicht her. Aber während der Staat das Geld der Anleger unter anderem für die Stützung der maroden Hypo Real Estate einsetzt, vergeben die Mikrofinanzinstitute Minikredite an Menschen, denen normalerweise keine Bank Geld leihen würde. Sie aber können mit dem Kredit ein Geschäft aufbauen, Geld verdienen, die Familie ernähren und ihre Kinder zur Schule schicken.

So läuft es im Idealfall, und der war die Triebfeder für den Nobelpreis gekrönten Bankier Muhammad Yunus. Er gründete in den siebziger Jahren in Bangladesh, dem damals ärmsten Land der Erde, die Grameen Bank. Sie dient dem alleinigen Zweck, Frauen, denen der Zugang zu Krediten verwehrt war, Geld zu leihen, damit sie sich eine Existenz aufbauen können. Die ersten drei Frauen, denen Yunus zu einem Darlehen verhalf, gründeten mit nur 30 Euro einen Blumenhandel, einen Lebensmittelladen und eine Nudelküche. Damit konnten sie ihren Lebensunterhalt und ihren Kindern eine Ausbildung finanzieren.

Kreditlast gerecht verteilen

Die Grameen Bank wie auch die anderen seriös arbeitenden Institute achten darauf, dass die Last der Kredite auf tragfähige Schultern verteilt ist. Bringt einer allein nicht die Voraussetzungen für die schnelle Rückzahlung eines durchaus teuren Kredits nicht auf, kann eine ganze Dorfgemeinschaft, eine Familie oder eine Interessengruppe gemeinsam als Bürge auftreten. Die Zinsen erscheinen für hiesige Verhältnisse ziemlich hoch. Sie können durchaus zwanzig Prozent und mehr erreichen. Dagegen steht der größere Aufwand bei der Kundenbetreuung. Denn in Afrika, Südostasien oder in Osteuropa gibt es nicht wie hier an jeder Ecke Bankfilialen. Die Kundenberater sind meist tagelang unterwegs, um einen Kreditvertrag abzuschließen. Zudem sind oft so gut wie keine Sicherheiten vorhanden.

Das Modell ist erfolgreich. Von Bangladesh aus hat sich die Mikrofinanz-Bewegung fast über die ganze Welt ausgebreitet: in Asien, Lateinamerika, Afrika, zunehmend in Osteuropa und auch in Deutschland. Über 12 000 Mikrofinanzinstitute gewähren mehr als 60 Millionen Menschen Darlehen zwischen umgerechnet 20 Euro und 10 000 Euro. Yunus Idee unterstützt den Gedanken von der Hilfe zur Selbsthilfe. Für ihn ist es der bessere Weg aus Armut und Arbeitslosigkeit als die Sozialhilfe.

Geldverleih auch ohne Sicherheiten

Anfang diesen Jahres hat auch die Bundesregierung die Idee der Kleinstkredite in ihr Programm aufgenommen. Zusammen mit dem Europäischen Sozialfonds hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales 100 Millionen Euro für Mikrokredite bereitgestellt. Gedacht ist das Geld für Menschen, die sich mit ihrer Idee selbstständig machen wollen und den Banken nicht als kreditwürdig gelten, weil sie noch keine Sicherheiten zur Verfügung haben. Anders als die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die nach strengen Kriterien ihre Darlehen vergibt, entscheidet über die Vergabe der Mikrokredite eher das Bauchgefühl des Finanzberaters. Hält der Mitarbeiter eines Mikrofinanzinstituts (MFI) die Idee von einem Verkaufsstand für Oliven auf dem Wochenmarkt für zukunftsträchtig oder überzeugt ihn der Plan vom besonderen Café, gibt er sein Einverständnis. Anschließend muss er das Entscheidungsgremium bei der GLS Bank mit konkreten Angaben überzeugen. Das Institut entscheidet dann über die Genehmigung. Das MFI bekommt pro Kredit ein Honorar von 800 Euro plus einer prozentualen Beteiligung, die sich nach der Rückzahlungsmoral des Kunden richtet. Zahlt er nicht, steht das MFI für den Ausfall gerade.

Großer Bedarf

Das MFI kann eine Genossenschaft sein oder eine Interessengruppe. Es betreut die Kredite vom Erstgespräch bis zur Rückzahlung. Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund sowie Unternehmen, die eine besonders hohe Bereitschaft zur Ausbildung vorweisen, werden bevorzugt. Der Zinssatz beträgt 7,5 Prozent, die Laufzeit maximal drei Jahre; Sondertilgungen sind jederzeit möglich.

Frank Zientz, Leiter der Mikrokreditabteilung bei der GLS freut sich über den Erfolg: „Die 100 Millionen Euro wollten wir bis 2015 vergeben. Aber es zeigt sich schon jetzt, dass wir deutlich früher fertig werden.“ Er denkt auch über einen Fonds für Mikrokredite nach, an dem sich private Anleger beteiligen können: „Doch das steht nicht vor 2013 oder 2014 zur Debatte.“ Die Chancen dafür sieht er schon, denn „der Bedarf bei den Endkreditnehmern ist groß. Er liegt in Deutschland bei 100 000 Krediten. Unser Problem ist, dass es zu wenige MFI gibt.“ Es liegen ihm zwar viele Bewerbungen vor. Doch nur wenige erfüllen die Bedingungen. Im Prinzip kann jeder MFI werden, wenn er wirtschaftlich dazu in der Lage ist.

Äußerst geringe Ausfallquoten

Wer sich für die Mikrokredite engagieren aber nicht selbst in diesem Geschäft tätig sein möchte, kann zum Beispiel einen Anteil der als Genossenschaft organisierten Oikocredit kaufen. Die ökumenische Entwicklungsgenossenschaft wurde 1975 vom Weltkirchenrat in den Niederlanden gegründet. Zweck der Einrichtung ist es, Kirchen und ihren Organisationen die Möglichkeit zu geben, zu investieren statt zu spenden. Inzwischen beteiligen sich allein in Deutschland rund 17 500 Anleger an Oikocredit, weltweit sind es 35 000. Ende 2009 betrug das Kreditportfolio 394 Millionen Euro, investiert bei 790 Partnern in 71 Ländern. Wie die GLS verteilt die Genossenschaft das Geld über Mikrofinanzinstitute, kleine und mittelständische Unternehmen sowie Fairhandelsprojekte an die Kreditnehmer. Bei der Vergabe der Darlehen werden auch hier Frauen bevorzugt. Studien haben ergeben, dass Frauen geliehenes Geld früher zurückzahlen als Männer und auch eher in ihre Familie investieren als es für sich selbst zu behalten. Ulrike Haug von Oikocredit Deutschland berichtet stolz: „In den letzten Jahren lag die Abschreibungsquote unter einem Prozent, im allgemeinen Krisenjahr 2009 sogar bei nur 0,1 Prozent.“ Die Ausfallquote bei kommerziellen Banken liegt dagegen zwischen zehn und 25 Prozent. Anleger, die sich für die Idee des Mikrokredits begeistern und die vielleicht einen Teil ihres Kapitals für die gute Sache bereithalten, können sich über die Förderkreise in die Genossenschaft einkaufen. Ein Anteil kostet 200 Euro. Zwei Prozent Rendite scheinen sicher. „Die jährliche Dividende beträgt in der Regel zwei Prozent. Eine Ausnahme bildeten die Jahre 1998 und 1999, als infolge der Finanzkrise in Asien nur ein Prozent ausgeschüttet werden konnte,“ erklärt Ulrike Haug.

Großbanken übernahmen Modell

Das Geschäft mit den Mikrokrediten ist natürlich auch den großen Geschäftsbanken nicht entgangen. Schon 1998 gründete die belgische Dexia Banque Internationale in Luxemburg den Dexia Micro-Credit-Fund. Das Geld der Anleger investiert der Fonds in 35 Ländern, vorwiegend in Mexiko, Bolivien und Bosnien. Dort unterstützt er mehr als 100 Unternehmen. Die Rendite auf Eurobasis betrug in der Vergangenheit im Schnitt vier Prozent. Mehr dürfen Anleger auch nicht von anderen Fonds wie dem Responseability der Crédit Suisse erwarten. Dieser Fonds verkauft derzeit keine Anteile, weil „es im Moment zu wenig Abnehmer für das Kapital gibt“, erklärt Mirjam Haller, Sprecherin des Fonds. Das Problem ist, dass in einigen Zielländern wie zum Beispiel Südafrika der Bedarf gedeckt ist und in anderen Regionen erst einmal die nötigen Strukturen aufgebaut werden müssen. „Aber“, so Haller, „wir hoffen, dass wir ab Januar 2011 wieder Anteile verkaufen werden.“

Seit 2008 gibt es den Wallberg Global Microfinance Fund. Seine Schwerpunkte liegen in Osteuropa und Südamerika. Die Mindestanlage beginnt bei 1 000 Euro. Die Managementgebühren sind relativ hoch, weil der Aufwand der Geldverteilung enorm ist. Gerade in diesen Zeiten eignen sich Mikrofinanz-Fonds als Beimischung fürs Depot, denn sie sind über Länder und Branchen breit gestreut und folgen keinem globalen Trend. Außerdem bescheren sie dem Anleger das gute Gefühl, sein Geld sinnvoll zu investieren. Die Mikrokredit-Fonds sind alle in Luxemburg aufgelegt. Wer Anteile kaufen will, wendet sich am besten an seine Hausbank.

Ausbaufähiger Geschäftsbereich

Experten rechnen mit einer starken Ausweitung des Mikrokredit-Geschäfts. Eine Studie der Deutschen Bank von 2008 kam zu dem Ergebnis, dass sich das Anlagekapital in diesem Bereich bis 2015 auf 25 Milliarden Euro summieren wird. Die Anzahl der potenziellen Kreditnehmer sieht sie weltweit bei einer Milliarde Menschen. Für die Banken handelt es sich also um einen ausbaufähigen Geschäftsbereich. Das erkannte auch der größte indische Mikrofinanzierer SKS Microfinance. Um sein Geschäft ausweiten zu können, ging er an die Börse. Ulrike Haug von Oikocredit betrachtet diese Entwicklung sehr kritisch: „Wenn bei diesem Geschäft die Rendite im Vordergrund steht, bleiben die Interessen der Kreditnehmer auf der Strecke.“ Indische Medien berichten inzwischen häufiger von Fällen, bei denen Kreditnehmer Selbstmord begingen, weil sie das Darlehen nicht mehr zurückzahlen konnten. Andere Schuldner holen sich neue Kredite, um den alten Vertrag erfüllen zu können. Haug kennt solche Geschichten. Sie glaubt, dass die Kreditnehmer nicht genügend beraten und begleitet werden und nur das Geschäft im Vordergrund steht. Oikocredit untersucht , wie sich die Kreditvergabe auf die wirtschaftliche und soziale Situation der Kunden auswirkt. „So können wir neue Erkenntnisse sammeln und die Menschen besser unterstützen.“

Marlene Endruweitm.endruweit@netcologne.de

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