Hausarztverträge

Der Lotse geht von Bord

Die damalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt wollte die Hausärzte in ihrer Funktion als Lotsen stärken. Doch der von ihr geänderte Paragraf 73 b erweist sich immer mehr als Belastungsprobe für die gesamte Medizinerschaft – und als möglicher Kostentreiber. Die kurze Ära der Hausarztverträge geht dem Ende zu.

Wie ein Lotse sollte er die Behandlung koordinieren und den Patienten gleichsam durch das Dickicht des Gesundheitssystems leiten. Und mittels dieser Steuerung dafür sorgen, dass die Zahl der teuren Facharztbesuche abnimmt, weniger Medikamente verordnet werden und die Kassen am Ende sparen. Dafür erhielt der Hausarzt ein erkleckliches Zusatzhonorar. Eine Regelung, die Schmidt mit der Modifikation des Paragrafen 73 b im SGB so eingestielt hatte: Hausarztmodelle gibt es zwar schon seit Jahren, aber seit Mitte 2009 waren sie damit für alle Kassen Pflicht.

Nur ein Jahr später stehen die Hausarztverträge, zuvor als innovatives Wettbewerbsinstrument gefeiert, vor dem Aus. Denn die teilnehmenden Mediziner erhielten zwar deutlich mehr Geld, zu einer besser verzahnten, geschweige denn günstigeren Versorgung führte das Modell augenscheinlich aber nicht. Im Gegenteil.

Mehrkosten statt Mehrwert

Dabei kritisierte DAK-Chef Herbert Rebscher bereits Ende 2008, die Verträge seien „teuer und bringen nichts“. Auch aus Sicht der KKH-Allianz kosteten die Verträge „nur Geld und bringen weder den Versicherten noch den Krankenkassen etwas“. Alles in allem warnen die Kassen aktuell vor Mehrkosten von 1,5 Milliarden Euro durch die Hausarztverträge.

Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) kalkulierte eine Milliarde Euro. Dagegen erklärte Ulrich Weigeldt, Vorsitzender des Deutschen Hausärzteverbands, das Honorar der Hausärzte sei von 2008 auf 2009 nur um 0,5 Prozent nach oben gegangen. Was er nicht sagte: Die Honorare für die Hausarztverträge sind bei diesen Zahlen bereits herausgerechnet. Tatsächlich wuchs die Vergütung nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung um rund zwölf Prozent.

Nichtsdestotrotz warf Weigeldt Rösler und einzelnen Kassen vor, mit „getürkten Zahlen“ negative Stimmung zu machen. Die Frage, in welcher Höhe die Verträge das System bitte schön entlasten, konnte er allerdings nicht beantworten. Auch die AOK Baden-Württemberg, die vor eineinhalb Jahren einen Hausarztvertrag abschloss, wollte sich dazu nicht konkret äußern. „Wir sparen“, sagte ihr Vorstandschef Rolf Hoberg lapidar.

Verzicht auf Extras

Nun sollen die Hausärzte auf ihre Extras verzichten: Rösler will ihre Honorare auf das Niveau der Regelversorgung absenken und dadurch allein 2011 bis zu 500 Millionen Euro sparen. Bereits abgeschlossene Hausarztverträge sollen Bestandsschutz haben, neue in dieser Form indes nicht mehr abgeschlossen werden.

Proteste und notfalls Praxisschließungen kündigten die Hausärzte daraufhin an. Man werde „als Ultima Ratio im kommenden September in einem ersten Schritt über mehrwöchige Praxisschließungen und in einem zweiten Schritt über einen Systemausstieg diskutieren“, schrieb der bayerische Vizechef des Hausärzteverbands, Wolfgang Hoppenthaller, an Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Allein SPD-Gesundheitssprecher Karl Lauterbach forderte seine Partei auf, die Mediziner bei ihren Protesten aktiv zu unterstützen – ansonsten stießen die Drohungen mehrheitlich auf Unverständnis. Insbesondere die Äußerung von Eberhard Mehl, Hauptgeschäftsführer des Hausärzteverbands, rief Unmut hervor. Sollte die Regierung die Honorare der Allgemeinmediziner wie vorgesehen beschränken, „würde ein Landkreis nach dem anderen zusammenbrechen“, weil sich keine jungen Ärzte mehr auf dem Land niederließen. Mehl weiter: „Und diese Entscheidung wird viele Menschenleben kosten in der Region!“

Im Ton vergriffen

„Völlig inakzeptabel“ nannte Gesundheitsstaatssekretärin Annette Widmann-Mauz (CDU) diese – in ihren Augen – Instrumentalisierung der Patienten. Äußerungen, die das Ansehen des Berufsbildes des Arztes massiv beschädigen, meinte auch Prof. Kuno Winn, Vorsitzender des Hartmannbundes. „Wer sich so im Ton vergreift wie der Hausärzteverband heute, ist als Gesprächspartner kaum zu akzeptieren“, entgegnete der CDU-Experte Jens Spahn. Eine „so teure Kampagne wirkt wie höchst unglaubwürdiges Gejammer!“ Die FDP- Gesundheitsexpertin Ulrike Flach sagte: „Hier versucht ein Verband, seine Monopolstellung zulasten der Patienten und der restlichen Ärzteschaft zu retten.“ Weil „alle Krankenkassen gezwungen werden, mit de facto einem Verband einen Vertrag zu schließen“, sehe die FDP das Hausarztmodell sehr kritisch, pflichtete ihr auch Parteikollege Daniel Bahr, Staatssekretär im BMG, bei.

Das ist der Knackpunkt: Andere Verbände können die Verträge nämlich nicht abschließen. Der Hausärzteverband ist der einzige Anbieter dieser Verträge. Außen vor sind also auch die KVen – obgleich sie formal für alle Ärzte das Honorar aushandeln. „Zur flächendeckenden Sicherstellung des Angebots nach Absatz 1 haben Krankenkassen allein oder in Kooperation mit anderen Krankenkassen spätestens bis zum 30. Juni 2009 Verträge mit Gemeinschaften zu schließen, die mindestens die Hälfte der an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Allgemeinärzte des Bezirks der Kassenärztlichen Vereinigung vertreten“, heißt es in Paragraf 73 b des SGB. Mit anderen Worten: Der Hausärzteverband hat in dem Fall uneingeschränkt das Monopol – eine Entwicklung, die den von der Politik ausdrücklich gewünschten Ausbau des Wettbewerbs im Gesundheitswesen geradezu konterkariert.

Monopol in Bayern

Wenn ein Verband also nachweisen kann, dass er das Verhandlungsmandat von mindestens 50 Prozent der Hausärzte in einer Region hat, dann dürfen die Kassen mit keinem anderen Verband einen Vertrag abschließen. Und in Bayern organisiert der Hausärzteverband bekanntlich mehr als 70 Prozent der Allgemeinmediziner.

Stellvertretend für viele Ärzte sagte Christoph Mario Pilz, Regionaler Vorstandsbeauftragter der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) für Oberfranken, dass die als Selektivvertrag geregelte hausarztzentrierte Versorgung den Kollektivvertrag nicht ersetzen kann. „Selektivverträge wie etwa der Hausarztvertrag des Bayerischen

Hausärzteverbands können immer nur einen kleinen Teil des Versorgungsgeschehens abbilden“, erklärte der Vorstandsbeauftragte im „Deutschen Ärzteblatt“. Denn in diesem Modell müsse nicht nur der Arzt extra seine Teilnahme erklären, auch die Versicherten müssten einzeln in den jeweiligen Vertrag eingeschrieben werden. „Das bedeutet Selektion“, so Pilz.

Plädoyer für das Kollektiv

Er plädierte für einen starken Kollektivvertrag zur Grundversorgung aller Versicherten, der durch regionale Zusatzverträge zur Versorgung von chronisch Kranken oder geriatrischen Patienten ergänzt werden könne.

Hoppenthaller schrieb derweil an Merkel, er sei sich „persönlich sicher, dass die Spitze der CSU sich solchen Gesetzesänderungswünschen widersetzen wird“. Bleibt die Frage, wer hier lotst und wer die Störmanöver betreibt.

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