HIV-Infektion

Vaginal-Gel soll Frauen in Afrika schützen

Seit der genetischen Dechiffrierung des tödlichen Erregers HIV vor 25 Jahren hat die weltweite Aids-Epidemie schlimmere Ausmaße angenommen, als man sich damals vorstellen konnte. Jetzt wurde auf der Welt-Aidskonferenz ein Vaginal-Gel vorgestellt, das insbesondere afrikanischen Frauen die Möglichkeit geben soll, sich zu schützen. Ist das der Durchbruch im Kampf gegen das HI-Virus?

Jeden Tag infizieren sich weltweit 11 000 Menschen mit dem HI-Virus, rund 33 Millionen leben derzeit mit einer HIV-Infektion, davon rund 67 000 in Deutschland. Ein Ende der Epidemie ist nicht abzusehen.

Doch es gibt auch positive Nachrichten: Die in den letzten zweieinhalb Dekaden entwickelten Medikamente konnten die Lebenserwartung der vom HI-Virus befallenen Frauen und Männer um 13 Jahre verlängern. Die Immunschwäche hat sich damit zu einer langfristig behandelbaren chronischen Erkrankung gewandelt. Schützen kann man sich vor einer HIV-Infektion aber nach wie vor nur durch „Safer Sex“, respektive Kondomen, oder Enthaltsamkeit.

Erster Erfolg für Frauen

Geradezu euphorisch wurde deshalb vor Kurzem auf der Welt-Aidskonferenz in Wien eine Pilotstudie mit einem Vaginal-Gel aufgenommen, das bei fast 900 Frauen in Afrika erfolgreich getestet wurde. Die Ergebnisse schienen geradezu sensationell: Zum ersten Mal hätten mit dem Gel Frauen ein Mittel in der Hand, mit dem sie sich selbst vor dem fatalen Virus schützen können. Sie wären damit nicht länger von der Bereitschaft der Männer abhängig, zum Schutz vor Ansteckung ein Kondom zu benutzen.

Zurzeit ereignen sich über 70 Prozent aller Infektionen in afrikanischen Ländern südlich der Sahara, 60 Prozent der Infizierten sind Frauen und Mädchen. Im Süden Afrikas haben Frauen kaum eine Chance, ihre Partner von der Benutzung eines Kondoms zu überzeugen. Das unbemerkt angewen dete Gel könnte sie dagegen vor Ansteckung schützen. Zwölf Stunden vor dem Geschlechtsverkehr wird es in die Scheide eingebracht und innerhalb von zwölf Stunden danach erneut. Es enthält ein Prozent des Wirkstoffs Tenofovir, einer antiretroviral wirkenden Substanz. Dieses Nukleotid-Analogon hemmt die viruseigene reverse Transkriptase (siehe Kasten S. 55)und wird in Tablettenform bereits seit Jahren in Kombination mit anderen HIV-Präparaten eingesetzt (in Deutschland unter dem Markennamen „Viread“).

Das „chemische Kondom“ wurde am „Centre for the AIDS Programme of Research in South Africa“ (CAPRISA) an der Universität von KwaZulu-Natal in Durban getestet. An der Studie beteiligten sich 889 Frauen im Alter zwischen 18 und 40 Jahren aus der Großstadt Durban und aus einer 150 Kilometer entfernten kleineren Gemeinde. 445 der sexuell aktiven Frauen erhielten das Gel, 444 Probandinnen ein Placebo-Gel ohne Wirkstoff. Die Teilnehmerinnen wurden über einen Zeitraum von 30 Monaten über den Schutz vor Aids sowie über andere Geschlechtskrankheiten informiert. Sie bekamen außerdem Kondome und wurden in regelmäßigen Abständen untersucht und behandelt.

Das Ergebnis: Das Tenovofir-Gel senkte die Infektionshäufigkeit allgemein um 39 Prozent und sogar um 57 Prozent bei den Frauen, die das Gel besonders gewissenhaft benutzten. In der Gel-Gruppe infizierten sich 38 Frauen mit HIV, in der Placebo- Gruppe 60 Frauen – eine statistisch durchaus signifikante Schutzwirkung also.

Zwiespältige Bewertung

Entsprechend positiv waren die ersten Reaktionen, auch in den Medien: „Gute Nachricht für Frauen“, schrieb die „taz“, „Ein Gel, das Millionen Leben retten könnte“, hieß es auf „FAZNet“, „Hoffnung aus der Tube“, verkündete das „Deutschlandradio“, „Vaginal-Gel halbiert HIV-Infektionen“, vermeldeten diverse Internet-Seiten.

„Zum ersten Mal haben Frauen die Möglichkeit, sich selbst um die HIV-Prävention zu kümmern", zitierte das „Deutsche Ärzteblatt“ Michel Sidibe, den Leiter von UNAIDS. „Das sind gute Nachrichten für Frauen, gute Nachrichten für die Fachwelt, und es ist ein guter Tag für die Wissenschaft“, erklärte Yasmin Halima, Direktorin der globalen Kampagne für Mikrobizide. Renate Bähr, Geschäftsführerin der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW), sprach von einem „Durchbruch“, der den Kampf gegen Aids endlich entscheidend voranbringe. Ein wichtiger Vorteil sei, dass Frauen die Präparate „unabhängig von der Zustimmung des Mannes anwenden können“. Allerdings wies sie auch darauf hin, dass die Effektivität zu gering sein dürfte, um sie Frauen in den Industrieländern zu empfehlen.

Auch die Redaktion von ZEIT-Online schrieb kritisch: „Die Zahlen verzerren das Bild und schüren falsche Hoffnung. Denn bei genauer Betrachtung fällt auf, dass nur 22 Frauen mehr als in der Placebogruppe vermutlich durch das Scheiden-Gel geschützt wurden. Zudem ist fraglich, ob das Gel die Ansteckung verhindert hat und nicht etwa die ausgeteilten Kondome. Bei solch geringen Fallzahlen ist die statistische Signifikanz der Ergebnisse rasch dahin. [...] Die von einigen bereits heraufbeschworene Wende in der Aids-Prävention bringen die neuen Ergebnisse also nicht.“ 

Seit der ersten wissenschaftlichen Publikation im Jahre 1981 über die „schwere erworbene Immunschwäche“ (Acquired Immune Deficiency Syndrome), abgekürzt Aids, haben sich viele Voraussagen als falsch erwiesen und Hoffnungen als verfrüht und übertrieben herausgestellt. Es wäre sehr zu bedauern, wenn dies auch auf das Scheiden-Gel zuträfe. Denn es bietet, abgesehen vom recht teuren Frauenkondom „Femidom“, zum ersten Mal Frauen die – wenngleich alles andere als sichere – Möglichkeit, trotz der Uneinsichtigkeit der Männer etwas zum Schutz vor einer HIV-Infektion zu tun. Bei den in ihren Ländern tradierten Sexualgewohnheiten könnte das für Frauen in Afrika ein erster, durchaus wichtiger Schritt sein.

Bei einem „Restrisiko“ von 60 Prozent sollte der Begriff „Durchbruch“ jedoch vorsichtiger verwendet werden, warnten auch Wissenschaftler bei einer Podiumsdiskussion in Wien. Die Mittel für die HIV-Prävention sind knapp und drohen noch weiter gekürzt zu werden. Ein millionenfacher konsequenter Einsatz des Gels ist schon deshalb nur wenig vorstellbar und selbst dann ließe sich die Zahl der Neuinfektionen lediglich um acht Prozent senken, so eine Schätzung.

Aids bleibt unheilbar

Experten sind sich einig: Die erfreulichen Behandlungserfolge und die zunehmend bessere Wirksamkeit und Verträglichkeit der HIV-Therapie dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Aids nach wie vor unheilbar ist. Die Hoffnungen auf eine Impfung haben sich immer wieder zerschlagen. Eine HIV- Infektion kann auch heute nicht völlig „auskuriert“ werden. Man kann lediglich die Krankheit behandeln, ihren Ausbruch verzögern und die Überlebenszeiten verlängern.

Lajos SchöneMedizinjournalistGerstäckerstr.9, 81827 München

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