Internetagenda des Bundesinnenministers

14 Thesen für die Zukunft

„Das Phänomen Internet haben wir lange genug erst ignoriert, dann teils unterschätzt, teils überschätzt und vor allem bestaunt“, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière Ende Juni in einer Grundsatzrede zur Netzpolitik. Damit sei jetzt Schluss, kündigte er an und formulierte 14 Thesen zum Umgang mit dem Internet. Der angestrebte Kurs ist auch für Ärzte und Zahnärzte wichtig.

„Datensicherheit ist eine zentrale Herausforderung für die Zukunft“, heißt es in dem sechsseitigen Papier, das Nutzer sich aus dem Internet herunterladen können (siehe Kasten). Für die Heilberufe spielt dieses Bekenntnis eine große Rolle – Stichwort elektronische Gesundheitskarte und Heilberufsausweis.

Eine einfache Lösung für die sichere und freiheitliche Gestaltung des Internets zu finden, ist de Maizières Einschätzung nach unmöglich. Die netzpolitische Debatte werde „nicht selten von Spannungsverhältnissen und scheinbaren Widersprüchen dominiert“, stellte der Minister fest. „Einerseits wollen wir immer mehr Dienste und Möglichkeiten nutzen, andererseits haben wir Angst vor unkontrollierbarer Datenmacht. Einerseits ist der Nutzen globaler Vernetzung allgemein anerkannt, andererseits geht die Angst vor dem Ausverkauf deutscher Datenschutzstandards um. Einerseits soll sich der Staat heraushalten, andererseits einmischen.“

Zwischen Laissez-faire und Bevormundung

Die Lösung liegt für ihn in einer gesunden Mischung aus Regulierung und Freiheit. Er appellierte an den gegenseitigen Respekt von Anbietern und Nutzern und mahnte, Rücksicht auf die Bedürfnisse der anderen zu nehmen. Erst wenn das nicht funktioniere, müsse der Staat eingreifen. Begründung: „Übertriebener Schutz bedeutet zugleich immer auch Bevormundung.“ Bei der Formulierung dieses Ziels bleibt de Maizière realistisch. Der Staat könne für diese Werte werben, anordnen könne er sie allerdings nicht.

Statt einen Kanon neuer Gesetze zu schaffen, um das Internet zu gestalten, will der Bundesinnenminister erst einmal die bestehenden Möglichkeiten ausschöpfen. Bei der „darüber hinaus notwendigen Weiterentwicklung des Rechts“ solle darauf geachtet werden, „entwicklungsoffen für Innovation und Fortschritt“ zu bleiben, heißt es in These 2.

De Maizière lehnt die gesetzliche Regelung von Einzelproblemen ab. Als Beispiel nannte er den aktuell im Bundesrat diskutierten Gesetzentwurf, Google Street View die Arbeit in Deutschland zu verbieten. „Bei einer solchen Einzelfallgesetzgebung würden wir bald hoffnungslos hinterherhinken“, begründet er. Außerdem: Seit dem Web 2.0 liege die Datenmacht nicht mehr nur bei den Unternehmen, sondern auch bei den Nutzern. So könnten Blogger – wie sie es auch bereits angekündigt haben – die fehlenden Bilder einsetzen.

Wichtiger sei es zu diskutieren, ob für manche Internetdienste eine Genehmigung vorausgesetzt werden sollte. Als Beispiele nannte er den Handel mit Medikamenten in Onlineapotheken, Kreditvermittlungsplattformen und anonyme Finanzdienstleister.

Große Bedeutung misst der Minister außerdem dem Problem der Identifizierbarkeit im Netz zu. In These 5 steht: „Eine schrankenlose Anonymität kann es im Internet nicht geben.“ Geht es nach de Maizière, soll ein privates Darstellungsrecht etabliert werden – vergleichbar mit der Gegendarstellung in der Presse –, mit dem sich einzelne Bürger gegen anonyme Schmähungen wehren können. Zu diesem Zweck sollen Suchmaschinenbetreiber verpflichtet werden, die Eigendarstellung von einer gesuchten Person auf Platz eins der Trefferliste zu setzen. Außerdem sollen Provider rufschädigende Bemerkungen löschen müssen. Eine vollständige Anonymität im Internet bewertete der Minister als unrealistisch. Internetnutzer müssten bei Bedarf identifizierbar sein – auf eine Vorratsdatenspeicherung könne aus diesem Grund nicht verzichtet werden.

Ein weiteres Projekt de Maizières ist, dem Internet „das Vergessen oder zumindest das Nichtwiederfinden beizubringen“. Das könne als Ziel ein „digitaler Radiergummi oder ein Verfallsdatum sein, das ich an meinen Daten anbringen kann“. Ein kniffliges Vorhaben, denn das Netz nutzt viele Möglichkeiten, Informationen zu kopieren und zu verbreiten.

De Maizières Grundsatzrede war auf Diskussion und Differenzierung ausgerichtet. Anders als sein Vorgänger Wolfgang Schäuble betonte er vor allem die Möglichkeiten, die das Internet bietet. Wie die Zukunft abseits der gut gemeinten Worte gestaltet werden soll und – vor allem – wie man die Rolle des Staates genau definiert, beantwortete er jedoch nicht. Auch über konkrete Instrumente, mit denen er seine Ziele umsetzen will, war nichts zu hören.

Problematisch wird es unter anderem, deutsche und internationale Netzpolitik unter einen Hut zu bringen. Unsere Gesetze sind nicht bindend für andere Nationen – das Internet aber ist eine nationenübergreifende Institution. Da klingt es relativ unbestimmt, wenn de Maizière sagt, Deutschland und die Welt müssten in Sachen Netzpolitik „Hand in Hand“ gehen, und keine weiteren Details dazu nennt.

Digitaler Radiergummi mit Fragezeichen

Immerhin sei man nun in der politischen Diskussion über Ausrichtung und Grundüberzeugungen angekommen, sagte Frank Rieger vom Internetaktivisten-Verein Chaos Computer Club (CCC) in einem Interview mit dem Onlinesender detektor.fm. „Mit dem, was er da im Einzelnen gesagt hat, sind wir natürlich nicht so einverstanden, weil sich in einigen Dingen doch eine recht konservative und dirigistische Tendenz zeigte. Insbesondere bei den Themen Privatsphäre und Sicherheitsbehörden.“ Kritisch sieht der CCC vor allen Dingen die Punkte Vorratsdatenspeicherung und Netzsperren. Der Plan eines digitalen Radiergummis sei sehr interessant und auch im Sinne der Nutzer, was die technische Umsetzung dieses Vorhabens angehe, blieben allerdings noch viele Fragezeichen, sagte Rieger.

Susanne TheisenFreie Journalistin in KölnSusanneTheisen@gmx.net

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