Computerspiele- und Internetsucht

Web-Junkies

Der aktuelle Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung attestiert Deutschland Lücken bei der Diagnose und Therapie von Internetsüchtigen. Wie viele Menschen hierzulande onlineabhängig sind und wann genau man von pathologischem Internetgebrauch sprechen muss – ist noch nicht raus. Das soll sich ändern.

„Noch ist nicht abschließend geklärt, wann von einem Abhängigkeitsverhalten zu sprechen ist“, heißt es in dem 184-seitigen Papier, das die Drogenbeauftragte Mechthild Dyckmans im Mai in Berlin vorstellte. Wann wird der Zeitvertreib im Netz pathologisch? Die reine Nutzungszeit allein halten Forscher jedenfalls für kein belastbares Kriterium.

Exzessives Surfen

Wenn das Spielen allerdings „derart exzessiv betrieben wird, dass andere Anforderungen des täglichen, sozialen und beruflichen Lebens völlig vernachlässigt werden“, bestehe Abhängigkeitsgefahr. „Es muss sich eine Unfähigkeit des Betroffenen zeigen, trotz Kenntnis des schädlichen Gebrauchs seine Internetnutzung zu kontrollieren.“ Experten sprechen Chats, Porno-Websites und Onlinespielen ein besonders hohes Suchtpotenzial zu. Zahlen für Deutschland legt der Drogenbericht indes nicht vor, entsprechende Langzeitstudien laufen noch. Aus internationalen Untersuchungen geht jedoch hervor, dass zwischen 1,6 und 8,2 Prozent der jugendlichen Internetuser als abhängig eingestuft werden können.

Pathologisches Potenzial

Das Jahr 1995 markiert den Beginn der wissenschaftlichen Erforschung zum pathologischen Internetgebrauch. Über die Experten-Mailingliste „Psychology of the Internet“ veröffentlichte der New Yorker Psychiater Ivan Goldberg – eher zum Scherz – eine Aufzählung von Symptomen, die Onlinesucht indizierten. Zu seinem Erstaunen erhielt er viele Antworten von Menschen, die sich selbst als abhängig einstuften. In einer ersten empirischen Studie untersuchte die Psychologin Kimberley Young 1996 das pathologische Potenzial des Surfens im World Wide Web. Sie entwarf einen Fragebogen, mit dem User die Bedeutung des Internets für sich abklären können. Dazu gehört unter anderem die Frage: „Haben Sie mehrfach erfolglos versucht, ihre Zeit im Internet zu kontrollieren oder zu reduzieren oder den Internetgebrauch zu beenden?“ Heute wird vor allem die Chen Internet Addiction Scale (CIAS) angewendet (siehe Kasten), um Abhängigkeiten zu diagnostizieren.

Krankheit oder Folgeleid

Seit Ende der 90er besteht ein Problembewusstsein für das Thema Onlinesucht – diskutiert wird die Krankheit aber sehr kontrovers. Uneinigkeit herrscht vor allen Dingen in der Frage, ob pathologischer Internetkonsum als eigenständige psychische Störung gelten kann oder ob sie nur eine Folge anderer psychischer Probleme wie zum Beispiel Depressionen ist.

Auch der Drogenbericht merkt an, dass Menschen mit pathologischem Internetgebrauch häufig auch andere psychische Erkrankungen aufweisen. Zu den Co-Morbiditäten gehören Depressionen, affektive Störungen, Aufmerksamkeitsdefizite oder Hyperaktivität sowie Substanzmissbrauch in Form von Alkohol und Nikotin.

Der Psychologieprofessor Bernard Batinic von der Universität Linz stuft Internetsucht als eigenständige Krankheit ein, betont aber auch die Notwendigkeit, genau zu differenzieren. „Es gibt Menschen, die sich den Konsum des Internets nicht einteilen können beziehungsweise nicht damit aufhören können. Doch die Linie zwischen noch normal und bereits süchtig ist sehr schwer zu ziehen. Um süchtig zu werden, müssen bestimmte psychische Vorschäden bereits vorhanden sein. Schließlich werden auch nicht alle Menschen, die Alkohol trinken, automatisch zum Alkoholiker“, zitiert ihn das Onlineportal Onmeda. Während die Wissenschaft noch diskutiert, haben sich längst erste Selbsthilfegruppen formiert. In Deutschland gibt es seit 1999 den Verein „Hilfe zur Selbsthilfe bei Onlinesucht“, der sich mittlerweile „HSO 2007“ nennt und unter www.hso2007.de informiert.

Die therapeutischen Möglichkeiten für Betroffene in Deutschland halten Experten aber noch für ausbaufähig. „Bislang mangelt es im ambulanten Suchthilfesystem an spezialisierten Beratungs- und Hilfsangeboten für pathologische Computernutzer und ihre Angehörigen“, räumt der Drogenbericht 2011 ein und kündigt an, diese Lücken in den kommenden Jahren zu schließen.

Die Behörden in Südkorea schenken dem Thema Onlinesucht schon längere Zeit große Aufmerksamkeit. Das Land ist technologisch hoch entwickelt, fast alle Haushalte verfügen über Internet mit einem leistungsstarken und schnellen Breitbandanschluss. Der leichte Zugang rund um die Uhr hat Folgen: Laut dem Ministerium für Verwaltung und Sicherheit sind zwei Millionen Südkoreaner internetsüchtig – in manchen Fällen bezahlen sie die Abhängigkeit mit dem Leben. Es gab schon mehrfach Berichte über Todesfälle infolge von exzessivem Onlinespielen. Im vergangenen Jahr machte auch der Fall eines Ehepaars Schlagzeilen, das in einer Onlinewelt ein virtuelles Kind großzog, ihr eigenes Baby hingegen verhungern ließ. Mittlerweile gibt es in Südkorea um die 100 Spezialkliniken, in denen Internetsüchtige behandelt werden. Anfänge einer gezielteren Prävention und Therapie im Bereich krankhaften Internetgebrauchs sind auch in Deutschland zu erkennen. So hat das Bundesgesundheitsministerium in Kooperation mit Experten des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters drei Broschüren für Jugendliche, Eltern und Multiplikatoren entwickelt, die unter www.computersuchthilfe.info zum Download bereitstehen.

Surfen macht sozial aktiver

Kinder ganz vom Internet fernzuhalten, um sie vor Abhängigkeiten zu schützen, sei allerdings kein sinnvoller Präventionsansatz: Onlinekompetenz ist zur notwendigen Kulturtechnik geworden – im beruflichen wie privaten Leben. Eine aktuelle Studie des ifo-Instituts ergab, dass das Internet Kinder und Jugendliche sozial aktiver macht.

Susanne TheisenFreie Journalistin in KölnSusanneTheisen@gmx.net 

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