Sternstunde der Genetik

Die Codeknacker

Heftarchiv Gesellschaft
Vier Milliarden Jahre Evolution spiegeln sich im genetischen Code. Geknacktwurde er aber erst vor 50 Jahren, am 27. Mai 1961, von dem US-BiochemikerMarshall Nirenberg und seinem deutschen Doktoranden Heinrich Matthaei.

Fast alle biologischen Zellvorgänge sind genetisch gesteuert. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts interessierten sich immer mehr Gelehrte für die unentdeckten Geheimnisse der Vererbungslehre. Der Augustinermönch und Naturforscher Gregor Johann Mendel gilt als Vater der modernen Genetik. Zwischen 1856 und 1863 experimentierte er auf dem Gebiet der Erbsenzucht und formulierte 1865 in den drei „Mendelschen Gesetzen“ die Vererbungslehre. Sie beschreibt, nach welchem Muster Eigenschaften der Elterngeneration an ihre Tochtergenerationen weitergegeben werden. Ein Meilenstein. Danach dauerte es aber noch knapp 100 Jahre, bis Nirenberg und Matthaei das Prinzip der genetischen Codierung vollständig erforschten.

Die DNA als eigentliche Erbsubstanz wurde 1944 von Oswald Avery identifiziert und 1953 von James Watson und Francis Crick zum ersten Mal in einem Modell dargestellt. Die beiden Forscher beschrieben die Molekülstruktur als Doppelhelix und erklärten, dass diese Struktur nur möglich ist, wenn die komplementären Nukleotide der gegenüberliegenden Stränge in einer bestimmten Kombination aneinandergebunden sind. Wie die auf der DNA gespeicherten Informationen in Proteine übersetzt werden, das heißt, wie der genetische Code aufgebaut ist, konnten sie jedoch nicht beantworten.

Als eines der Hauptprobleme galt es herauszufinden, aus wie vielen Nukleinbasen ein Aminosäure-Code besteht und in welcher Sequenz diese sogenannten Codone zusammengesetzt sind – die Sequenz entscheidet über die Art der Aminosäure (mehr Details dazu im Infokasten). Schon damals waren die vier Basen Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin bekannt. Zwei Basen pro Codon hätten insgesamt nur 16 (4 x 4) unterschiedliche Sequenzen ermöglicht – zu wenige, denn bereits in den 1950er-Jahren waren 20 Aminosäuren bekannt. Die meisten Wissenschaftler gingen deshalb von drei Basen pro Codon mit insgesamt 64 (4 x 4 x 4) möglichen Basentripletts aus. Welches Triplett hinter welcher Aminosäure steckt, war Mitte des 20. Jahrhunderts völlig offen.

Um diese Frage zu klären, starteten Marshall Nirenberg und Heinrich Matthaei 1961 an den National Institutes of Health (NIH) in Maryland, USA, das Poly-U-Experiment. Mit diesem Triplettbindungstest wollten sie herausfinden, welches Codon welcher Aminosäure entspricht. Dazu konstruierten die beiden Forscher künstliche „messenger RNA“ (mRNA), deren Sequenz sie kannten. Anschließend fügten sie alle Elemente hinzu, die – nach damaligem Forschungsstand – für die Synthese von Proteinen gebraucht werden: die 20 Aminosäuren und Ribosome, die „Proteinfabriken“ der Zelle. Je eine der 20 eingesetzten Aminosäuren markierten Matthaei und Nirenberg radioaktiv. Nach einiger Zeit filterten sie die Ribosomen mit den gebundenen Aminosäuren aus dem Gemisch heraus.

Die erste mRNA, die sie einsetzten, hatte die Basenfolge UUU – daher Poly-U-Versuch. Sie bestand also ausschließlich aus Uracil, der Base, die statt Thymin in der mRNA vorkommt. Nur wenn die Aminosäure Phenylalanin radioaktiv markiert wurde, befand sich das radioaktive Signal auf dem Filter. Phenylalanin musste also an die Ribosomen gebunden sein. Wurden andere Aminosäuren markiert, war das Filtrat radioaktiv, nicht aber der Filter. Das Basentriplett UUU musste also für die Aminosäure Phenylalanin stehen. Nirenberg und Matthaei zogen daraus folgenden Schluss: Passen Basentriplett und Aminosäure zusammen, findet eine Proteinbiosynthese statt und die mRNA wird in ein Protein umgeschrieben. Im Falle des Tripletts UUU bedeutet das, der Baustein Phenylalanin kommt ans Ende der im Bau befindlichen Bausteinkette. Dann folgen weitere Codes und so wird Baustein an Baustein zu einem Eiweiß zusammengesetzt.

Auf ihre Entdeckung aufbauend begannen Nirenberg und Matthaei mit der Identifizierung der übrigen Kombinationsmöglichkeiten. Dank ihrer und der Arbeit anderer Forscher waren im Jahr 1965 alle möglichen Tripletts entschlüsselt. Sie sind in der sogenannten Code-Sonne zusammengefasst (siehe Abbildung).

Susanne TheisenFreie Journalistin in KölnSusanneTheisen@gmx.net

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