Anhörung im Bundestag

Praxistest für die Praxisgebühr

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Eingereicht von den Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Harald Weinberg, Karin Binder, Inge Höger, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Kathrin Vogler und der Fraktion Die Linke stellt der Antrag im Kern Zuzahlungen – etwa zu Arzneimitteln, zum Krankenhausaufenthalt, zur Krankengymnastik – und schließlich auch die Praxisgebühr infrage. Diese Form der Eigenleistung sei „zutiefst unsozial und hat die beabsichtigte Wirkung nicht erreicht“, heißt es wörtlich im Antrag vom 15. Dezember 2009. Oftmals könnten oder wollten Patienten sich die Behandlung nicht leisten. Der von der CDU/CSU, der SPD und denGrünen bei der Einführung 2004 erwünschteSteuerungseffekt – Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse nicht übermäßig in Anspruch zu nehmen – sei nicht erreicht worden. Die Antragssteller forderten die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, nach dem sämtliche Zuzahlungen inklusive der Praxisgebühr in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abgeschafft würden. Zur Gegenfinanzierung sollten die Beitragsbemessungsgrenze der GKV auf das Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung (West) angehoben und die Pflichtversicherungsgrenze in der GKV entsprechend erhöht werden.

Zu der öffentlichen Anhörung waren Sachverständige von 22 Verbänden aus dem Gesundheitswesen geladen. Auch wenn es zu Teilaspekten des Themas Studien gibt, zeigte sich während der Veranstaltung, laut den Aufzeichnungen der Pressestelle des Deutschen Bundestages, dass ausreichende empirische Datensätze fehlen, die in Gänze aufzeigen würden, inwieweit sich die Erhebung der Praxisgebühr und andere Zuzahlungen auf das individuelle Verhalten der Patienten ausgewirkt haben.

Dennoch verwies der Sozialverband VDK Deutschland e.V. auf verschiedene Studien, wie die des Münchner Helmholtz-Instituts und der Bertelsmann-Stiftung zu chronisch Kranken. Danach hätten die Wissenschaftler herausgefunden, dass einerseits jüngere und gesunde Menschen den Arztbesuch wegen der Praxisgebühr verschöben, aber andererseits eben auch Menschen mit geringem Einkommen. Der Einzelsachverständige Jens Holst verwies auf europäische Studien. Danach hätten Zuzahlungen fürdie Krankenkassen „negative, unerwünschteEffekte“. Holst:„Zuzahlungen verringern die Therapietreue.“

KZBV plädiert für eine differenzierte Beurteilung

Die KZBV begrüßt im Grundsatz, wenn Zweckmäßigkeit und Auswirkungen der Praxisgebühr und anderer Zuzahlungen im Interesse der GKV-Patienten untersucht würden. Gerade auch dann, wenn es darum geht, gegebenenfalls bestehende unverhältnismäßige finanzielle Belastungen aufzudecken. Gleichzeitig lehne man auf Bundesebene eine pauschale, undifferenzierte Forderung nach Abschaffung sämtlicher Zuzahlungen ab. Vielmehr forderte sie eine differenzierte Beurteilung nach Regelungsgegenstand und Zuzahlungsbereich.

Der KZBV-Vorsitzende Dr. Jürgen Fedderwitz betonte, dass die Zahnmedizin durch ihre spezifischen Besonderheiten in der Versorgung gekennzeichnet ist. Zuzahlungen seien hier sinnvoll, da bei einer Therapienotwendigkeit oft Alternativen existierten. Zudem würden mit dem Instrument der Zuzahlung die GKV-Ausgaben begrenzt. Andererseits werde dem Versicherten die Teilhabe am zahnmedizinischen Fortschritt ermöglicht. Unnötige Leistungen gäbe es hier nicht.

Speziell für den zahnärztlichen Bereich begrüßt die KZBV die Forderung, die Praxisgebühr abzuschaffen. Dafür habe sich die KZBV-Vertreterversammlung bereits im Jahr 2009 ausgesprochen und gleichzeitig den Gesetzgeber aufgefordert, dieses Instrument in der vertragszahnärztlichen Versorgung abzuschaffen. Die Gründe lägen abermals in der Besonderheit des zahnmedizinischen Bereichs. Weder gebe es ein „doctor hopping“ noch überflüssige Arztkontakte. Vielmehr sei die Zahnarzt-Patient-Beziehung durch ein besonders hohes Maß an Vertrauen und eine langfristige Bindung des Patienten an seinen Zahnarzt gekennzeichnet. Überflüssige Zahnarztkontakte seien ausgeschlossen. Ergo: Eine angebotsinduzierte Nachfrage existiert nicht.

Die derzeitige Regelung, wonach den GKV-Patienten pro Kalenderhalbjahr eine zahnärztliche Kontrolluntersuchung ohne Zahlung einer Praxisgebühr ermöglicht wird, seirichtig, aber noch nicht ausreichend. Geradefür Risikopatienten aus sozial schwachen Bevölkerungsgruppen, die statistisch mehr Karies haben als andere Bevölkerungsgruppen, stelle die Praxisgebühr eine zusätzliche Barriere vor einem Zahnarztbesuch dar, betonte der KZBV-Vorsitzende.

Dagegen hätte sich die Vorauszahlung zu den Kosten einer kieferorthopädischen Behandlung bewährt. Da der Patient den von ihm vorausgezahlten Anteil (20 Prozent) nach abgeschlossener Behandlung zurückerhält, könne die im Voraus gezahlte Zuzahlung den Willen und die Bereitschaft des Patienten fördern, die Behandlung durch eigenes Zutun zu unterstützen. Im Ergebnis könne die Zuzahlung die Compliance des Patienten fördern und letztlich zum Therapieerfolg beitragen.

In der ökonomischen Theorie sei „die Nachfragesenkende Wirkung von Zuzahlungen“ schlüssig beschrieben, sagte der Vertreter der Gesetzlichen Krankenversicherung. Die Krankenversicherungen erbrächten ihre Leistungen „im Spannungsfeld zwischen Solidarität und Eigenverantwortung“. Würden die Zuzahlungen komplett gestrichen, würde sich der Höchstbeitragssatz der GKV-Mitglieder von derzeit 575 Euro im Monat auf 852 Euro erhöhen. Daran gekoppelt würde auch der Satz für die Pflegeversicherung steigen.

Auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e.V. (BDA) lehnte das Ansinnen der Linken strikt ab: Das sei eine Überstrapazierung des Solidarprinzips. Wenn eine Veränderung der Selbstbeteiligung beschlossen werden soll, dann „nur nach oben“.

Dagegen befürworteten die vertretenen Sozialverbände den Antrag der Linksfraktion und betonten den ihrer Meinung nach unsozialen Charakter von Zuzahlungen.

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