Gesundheitswirtschaft

Tante Emma und Onkel Doktor sind nicht mehr

Über Entwicklungen in der Gesundheitswirtschaft diskutierten am 12.04.2011 die Teilnehmer einer Konferenz, zu der die Financial Times Deutschland (FTD) in Berlin geladen hatte. Dabei präsentierte Dr. Nikolaus Förster, Mitglied der Chefredaktion, auf der Tagung zudem die Sieger eines von der FTD ausgelobten Preises für innovative Produkte im Gesundheitswesen.

Die bessere Verzahnung von ambulanten und stationären Versorgungsbereichen stand im Zentrum eines Tagungsblocks, der sich Entwicklungen und Innovationen in den Versorgungsstrukturen widmete. Dies aus gutem Grund: Bereits der Sachverständigenrat hatte 2009 in einem Gutachten die Bedeutung dieser Schnittstelle und besonders deren bessere Verzahnung hervorgehoben. Mit auf dem Podium der Tagung: Dr. Christoph Hans Straub vom Rhön-Klinikum Bad Neustadt/Saale (einen Tag später, am 13.04.2011, wurde Straub zum Vorstandsvorsitzenden der Barmer GEK ernannt). Straub konstatierte, dass mittlerweile immer mehr medizinische Eingriffe ambulant erfolgen. Dies allein schon mache zwangsläufig den Aufbau neuartiger Behandlungsstrukturen notwendig. Damit einhergehend sei eine Veränderung im Selbstverständnis vieler Ärzte zu beobachten. Die sähen sich nicht länger als Einzelkämpfer in der Niederlassung, sondern wollten ihrem Beruf auch gern als Angestellte nachgehen. Das veränderte Rollenverständnis und Selbstbild von Medizinern verglich Dr. Axel Baur von McKinsey mit der Veränderung, die sich nach und nach hierzulande im Einzelhandel vollzogen hat. „Tante Emma ist nicht mehr. Und Onkel Doktor auch nicht.“

Dr. Bernard Freiling vom Medivision/Endokrinologikum aus Hamburg und Prof. Dr. Matthias Schönermark von der Medizinischen Hochschule Hannover bestätigten diesen Trend, wobei sie hervorhoben, dass dies nicht nur für den weiblichen Anteil unter den Medizinern gelte, die bei diesem Arbeitsmodell ohnehin oftmals die besseren Voraussetzungen hätten, um Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Schönermark ergänzte, dass der Gesundheitsbereich erfreulicherweise flexibler und vielfältiger geworden sei, „das gibt Anlass zu Hoffnung“. Dennoch herrsche in Krankenhäusern immer noch eine starke Abgrenzungsmentalität. Gerade das undurchlässige, intransparente Sektorendenken innerhalb der Kliniken, aber auch gegenüber dem ambulanten Bereich müsse beendet werden. 58 000 Tote durch nicht abgestimmte Medikation sollten zu denken geben. „Hier hat die Non-Compliance schon manchem Patienten das Leben gerettet.“

Die Schlüsselfunktion der Hausärzte

Zwar räumte auch Stefan Lummer vom Hausärzteverband ein, dass die anfängliche Skepsis vieler Mediziner gegenüber Medizinischen Versorgungszentren und anderen Geschäftsmodellen mit Angestelltenverhältnissen von Ärzten gewichen sei. Dennoch, so Lummer, müsse gerade die Rolle des Hausarztes gestärkt werden. Schließlich habe der Sachverständigenrat auch darauf hingewiesen, dass den Hausärzten eine Schlüsselfunktion im Gesundheitswesen zukomme. Die Stärkung dieser „Gatekeeper“-Rolle habe die Politik aber in den letzten Jahren versäumt. Lummer erteilte dem jetzigen Honorarsystem, gesteuert über die KVen, eine Absage und beschied ihm wenig Zukunft: „Das ist ein überholtes Possenspiel.“

Falscher Wettbewerb bei Krankenkassen

Einen Paradigmenwechsel beim Wettbewerbsgedanken im Gesundheitssystem forderte Dr. Hans Unterhuber, Vorstand der Siemens Betriebskrankenkasse. Das jetzige System sei nicht geeignet, Wettbewerb wirklich zu fördern. Die Kassen würden lediglich um die finanziellen Mittel konkurrieren, nicht aber um die beste medizinische Versorgung. Auch Fusionen von Krankenkassen gab er eine Abfuhr, sofern es dabei nur um die resultierende Größe einer fusionierten Kasse mit einer anderen geht. Dies allein verbessere nicht die Versorgung der Versicherten, sondern sei nur machtpolitisches Kalkül. Was für eine Kasse damit nicht beendet sei, sei das schwierige Management von Hochkostenmedizin. „Die exorbitant hohen Kosten in der Vorsterbe-Phase eines Patienten bleiben auf jeden Fall erhalten“.

Mehr Prävention statt Reparaturmedizin

Angesichts des demographischen Wandels und der Frage, wie sich der Gesundheitsbereich und die Medizin darauf einstellen müssen, riet der Generalsekretär des Johanniterordens, Egon Freiherr von Knobelsdorff, das Bewusstsein der Versicherten für Prävention zu stärken. Noch viel zu sehr sei das Gesundheitswesen auf dem Prinzip aufgebaut, dass Kranke behandelt werden („Post-crash-Intervention“) anstatt mit Nachdruck darauf zu setzen, dass sich die Versicherten mehr ihrer Eigenverantwortung bewusst werden und etwas dafür tun, um möglichst lange gesund bleiben. Allerdings, so von Knobelsdorff, werde dies allein nicht ausreichen: „Wir werden gezwungen sein, nach neuen Ufern zu suchen.“

Gerade im Bereich der Patientenansprache, der -unterstützung und der Compliance, so Dr. Stefan Kottmair vom Gesundheitsdienstleister almeda aus München, lägen noch viele ungenutzte Potenziale. Immer wieder zeigten Studien, dass ein unterstützendes Patientencoaching für chronisch kranke Patienten etwa bei Diabetes, Herzinsuffizienz, Bluthochdruck oder koronaren Herz-Kreislauf-Erkrankungen äußerst sinnvoll sei. Nicht nur, dass die Patienten dadurch einen eigenverantwortlicheren Umgang mit ihrer Krankheit erlernen könnten, sei wichtig. Auch tragen derartige Programme belegbar dazu bei, Einweisungen in Krankenhäuser zu vermeiden. Damit seien sie „Kostendämpfungsprogramme der speziellen Art“. Kottmair legte Wert darauf, dass Patientenbegleitung nicht als Ersatz für die medizinische Tätigkeit von Ärzten, und ganz speziell von Hausärzten, verstanden werden soll. Vielmehr sei sie als die Arbeit der Ärzte unterstützend anzusehen.

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