Erosionen durch säurehaltige Getränke

Steter Tropfen höhlt den Zahn

Vor 125 Jahren erfand ein amerikanischer Arzt den Global Player unter den Getränken: die braune Brause Cola. Aus der Sicht der Zahnmedizin ist der flüssige Inbegriff des „American Way of Life“ dosiert zu genießen. Auf die Frage, wie groß das Erosionspotenzial von säurehaltigen Getränken ist, gibt es differenzierte Antworten.

Säurebedingte Zahnhartsubstanzschäden (Erosionen) rücken zunehmend in den Fokus der zahnmedizinischen Forschung. Die Prävalenz von Erosionen wird international für das Milchgebiss je nach untersuchter Altersgruppe zwischen 5,7 und 100 Prozent, für die zweite Dentition zwischen 3 und 100 Prozent angegeben [Jaeggi Lussi, 2006]. Für deutsche Kindergartenkinder wurde eine Prävalenz von 32 Prozent ermittelt [Wiegand et al., 2006]. Die Häufigkeit erosiver Läsionen nimmt mit steigendem Alter der Kinder zu. Dabei entwickeln Jungen häufiger Erosionen als Mädchen. Am häufigsten betroffen sind die palatinalen Flächen der Oberkieferschneidezähne und die Kauflächen der Sechsjahrmolaren im Unterkiefer.

Untersuchungen von Ganss [2002] belegen ein fast vierfach höheres Risiko für Erosionen der bleibenden Zähne, wenn bereits im Milchgebiss erosive Defekte zu verzeichnen waren.

Bei 10,7 Prozent der deutschen Erwachsenen zwischen 35 und 44 Jahren und bei 7,9 Prozent der Senioren zwischen 65 und 74 Jahren wurden Erosionen diagno tiziert [Schiffner et al., 2002]. Auch bei den Erwachsenen waren häufiger Männer betroffen als Frauen.

Bei der Entstehung erosiver Zahnschäden spielen der steigende Konsum saurer Lebensmittel wie Fruchtund Softgetränke, aber auch Medikamente und Erbrechen eine besondere Rolle. Dabei wird dem Konsum saurer Getränke und Speisen die größte Bedeutung beigemessen [Lussi Jaeggi, 2004].

Vor allem bei Jugendlichen nimmt der Konsum von Erfrischungsgetränken wie Limonaden, Cola, Energiegetränken und Alcopops zu. 1995 konsumierten 56 bis 85 Prozent US-amerikanischer Schulkinder mindestens einen Softdrink pro Tag, die meisten davon wurden von männlichen Jugendlichen getrunken [Gleason Suitor, 2001]. Mehr als 20 Prozent tranken viermal oder mehr als viermal täglich Softdrinks. Untersuchungen von 14-jährigen Kindern in England zeigten, dass über 80 Prozent der Probanden regelmäßig Softdrinks zu sich nahmen, davon zehn Prozent mehr als dreimal am Tag [Al-Dlaigan et al., 2001]. Dabei wird das Auftreten von Erosionen mit dem pH-Wert des Getränks zum Zeitpunkt der Aufnahme ursächlich in Verbindung gebracht [Cochrane et al., 2009].

In Untersuchungen von Larsen und Nyvad [1999] wurden durch Getränke mit einem pH von weniger als 4,0 in vitro häufiger und tiefere Erosionen erzeugt. Der pH-Wert von Cola liegt zwischen 2,33 (Pepsi) und 2,38 (Coke). Der pH-Wert der Light-Varianten liegt geringfügig höher bei 2,58 (Pepsi) und 2,85 (Coke) [Murrell et al., 2010].

Das erosive Potenzial von Coca-Cola-Getränken wurde in vitro und in vivo untersucht und charakterisiert [vergleiche Murrell et al., 2010]. So zeigte eine In-vivo-Studie mit Erwachsenen, dass Orangensaft, Coca Cola und Coca Cola light zu einem deutlichen Abfall des pH-Wertes unterhalb des kritischen Wertes in Approximalplaque führten, der durch Mundtrockenheit noch deutlich verstärkt wurde. Unter Coca Cola light wurde der Ausgangs-pH-Wert allerdings deutlich schneller – nach etwa 20 Minuten – wieder erreicht als mit den anderen Getränken (nach circa 50 Minuten). Dies ist auf ihren Zuckergehalt zurückzuführen, der Bakterien als Substrat zur Verfügung steht und so die Zeit der Säureeinwirkung verlängert, wenn bakterielle Beläge vorhanden sind [Johansson et al., 2007].

Auch die Art der dem Getränk beigefügten Säure beeinflusst sein erosives Potenzial. In kohlensäurehaltigen Erfrischungsgetränken sind im Allgemeinen Phosphorsäure, Zitronensäure oder Natriumzitrat enthalten. Insbesondere Zitronensäure, die über chelatbildende Eigenschaften verfügt, kann den erosiven Prozess verstärken, indem sie zum einen das im Speichel verfügbare Calcium bindet und zum anderen auf direktem Weg dem Schmelz Calcium entzieht.

Vergleichende In-vitro-Untersuchungen zeigen ein ausgeprägtes erosives Potenzial für Milchsäure, Essigsäure, Zitronensäure, Oxalsäure, Phosphorsäure und Weinsäure [Hannig et al., 2005]. Demzufolge muss für alle (meist kohlensäurehaltigen) Erfrischungsgetränke, die derartige Säuren enthalten, ein entsprechend hohes erosives Potenzial angenommen werden.

Zahl und Stärke der Säureangriffe entscheidend

Unbestritten ist, dass die Erosivität von Nahrungsmitteln und Getränken von der Dauer und der Anzahl der Säureangriffe abhängt: Bei mehr als vier Säureeinwirkungen pro Tag werden sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen vermehrt Erosionen festgestellt.

Auch das Haftvermögen der sauren Substanz spielt eine Rolle. Es sind beispielsweise deutlich geringere Kräfte notwendig, um einen Speichelfilm auf dem Zahn durch Cola oder Cola light abzulösen, als umgekehrt einen Colafilm durch Speichel [Busscher et al., 2000].

Des Weiteren sind die Aufnahmeart und die Aufnahmezeit von Bedeutung. Dabei fördern alle Trinkgewohnheiten, durch die die Kontaktzeit mit dem erosiven Getränk verlängert wird, wie das langsame Einsaugen oder das Halten der Getränke über längere Zeit in der Mundhöhle die Entstehung von erosiven Läsionen.

Busscher et al., 2000 

In Studien konnte gezeigt werden, dass Männer mit Erosionen nicht nur zweimal häufiger Cola-ähnliche Getränke konsumierten, sondern auch das Getränk um 70 Prozent länger im Mund behielten, und dass diese Männer häufiger Mundatmung aufwiesen als Männer ohne Erosionen [Johansson et al., 2002]. Aber vor allem bei Kindern spielt die Aufnahmezeit eine wichtige Rolle. So kann die Säureexposition zur Abend- oder Nachtzeit aufgrund der geringeren Speichelfließrate in der Nacht besonders schädlich sein [Millward et al., 1994].

Außerdem beeinflussen der Säuregehalt des Getränks, sein Gehalt an Calcium, Fluorid und Phosphat, die Pufferkapazität des Speichels, die Kontaktdauer mit der Zahnoberfläche sowie protektive und reparative Faktoren die Entstehung und das Ausmaß der Erosionen.

Protektoren Reparatoren

Als protektive Faktoren werden der Fluoridgehalt der Zahnoberfläche, das Pellikel, die Plaquebildung und die Calcium-Fluorid-Präzipitation genannt. Reparative Faktoren sind zum Beispiel die Speichelfließrate, die Speichelpufferkapazität und die Verfügbarkeit von Calcium-Phosphor-Verbindungen.

Die Frage, ob Milchzähne auf erosive Noxen empfindlicher reagieren als bleibende Zähne, wird kontrovers diskutiert.

In-vitro- und In-vivo-Untersuchungen deuten darauf hin, dass zwar bei kurzzeitiger Säureexposition keine Unterschiede nachweisbar sind, Milchzähne aber bei längerfristiger Säureexposition und bei Kontakt mit Getränken mit hohem erosivem Potenzial stärker geschädigt werden als Zähne der zweiten Dentition [Lussi Jaeggi, 2006]. Milchzähne scheinen nicht zuletzt aufgrund histologischer und morphologischer Unterschiede auch einen rascheren Substanzverlust durch die Kombination von erosiven Noxen mit Attrition oder Abrasion zu erleiden. Grundsätzlich ist die Kontaktzeit mit dem erosiven Getränk so kurz wie möglich zu halten, ein Nuckeln oder Hin- und Herspülen der Flüssigkeit in der Mundhöhle ist also zu vermeiden. Einige Autoren empfehlen den Gebrauch von Strohhalmen [Shellis et al., 2005]. Dadurch können die Kontaktzeit und der Abfall des pH-Wertes verringert und damit das Risiko einer Demineralisation der Zahnoberfläche gesenkt werden.

PD Dr. Christiane GleissnerPoliklinik für ZahnerhaltungskundeUniversitätsmedizin Mainz

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