Parodontitis und Atherosklerose

Wenn das Herz Probleme macht

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Moritz Kebschull
,
Søren Jepsen
Nach heutigem Stand der Wissenschaft stellen parodontale Infektionen einen unabhängigen Risikofaktor für die Atherosklerose und ihre klinischen Folgen wie zerebro- und kardiovaskuläre Erkrankungen dar. Durch parodontale Therapie kann ein positiver Effekt auf subklinische Marker der Atherosklerose erzielt werden. In diesem Beitrag wird ein Überblick über den aktuellen Stand der Erkenntnisse aus epidemiologischen und Inter ventionsstudien gegeben und mögliche Pathomechanismen für die Zusammenhänge zwischen Parodontitis und Atherosklerose werden erläutert.

Die Parodontitis zählt zu den häufigsten chronischen Erkrankungen des Menschen. Sie ist charakterisiert durch eine Zerstörung von zahntragenden Strukturen, die unbehandelt zu Zahnverlust führt. Ursächlich für die Erkrankung ist ein polymikrobieller Biofilm [Kebschull und Papapanou, 2011]. Dieser setzt sich aus mehreren hundert bakteriellen Spezies zusammen, von denen einige als Parodontalpathogene identifiziert wurden. Eine Parodontitis entwickelt sich in empfänglichen Individuen in der Regel aus einer Gingivitis, einer vollständig reversiblen Entzündung des gingivalen Weichgewebes. Die Empfänglichkeit eines Patienten für die Parodontitis ist begründet durch zahlreiche Risikofaktoren. Diese umfassen sowohl verhaltensbedingte (zum Beispiel Rauchen), systemische (wie Diabetes) als auch angeborene Faktoren (wie genetische Prädisposition).  

Interessanterweise können parodontale Erkrankungen aber nicht nur durch systemische Faktoren beeinflusst werden, sondern selbst auch systemische Auswirkungen an Orten fernab der Mundhöhle haben. Dafür liegt inzwischen eine Vielzahl von Hinweisen aus epidemiologischen, klinischen und experimentellen Studien vor. Die am besten dokumentierte Assoziation von parodontalen Erkrankungen – und Inhalt dieses Übersichtsbeitrags – besteht mit Atherosklerose und ihren Folgeerkrankungen, so dem Myokardinfarkt und dem Schlaganfall [Tonetti, 2009; Kebschull et al., 2010]. Weitere Assoziationen wurden beschrieben für Diabetes mellitus [Deschner et al., 2011], Schwangerschaftskomplikationen [Wimmer und Pihlstrom, 2008], rheumatoide Arthritis [de Pablo et al., 2009], sowie neurodegenerative Erkrankungen [Kamer et al., 2008].

Die Hypothese der kausalen Rolle einer Infektion bei der Entstehung von anderen chronischen Erkrankungen basierte grundlegend auf den Arbeiten von Robin Warren und Barry Marshall, die bereits in den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts die ursächliche Rolle einer Infektion mit dem Bakterium Helicobacter pylori bei der Entstehung eines Magengeschwürs aufzeigten [Warren and Marshall, 1983]. Für diese Entdeckung wurden die beiden Wissenschaftler im Jahre 2005 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet – ihre Arbeiten hatten aber schon weitaus früher den Anstoß zu Untersuchungen in anderen Feldern, unter anderem auch in der Zahnmedizin gegeben.

So erschienen im Jahre 1989 nahezu zeitgleich zwei Studien, die einen Zusammenhang von parodontalen Infektionen und kardiovaskulären Erkrankungen postulierten [Mattila et al., 1989; Syrjanen et al., 1989]. In der Folge wurde eine Vielzahl von Studien durchgeführt, die zumeist die Hypothese eines Zusammenhangs zwischen parodontalen Infektionen und Atherosklerose bestätigen [ausführliche Übersicht bei Kebschull et al., 2010]. Die Datenlage wurde in aktuellen Übersichtsarbeiten [Meurman et al., 2004; Behle and Papapanou, 2006; Demmer and Desvarieux, 2006; Kebschull et al., 2010; Sanz et al., 2010] sowie Metaanalysen [Janket et al., 2003; Mustapha et al., 2007; Humphrey et al., 2008] mit dem übereinstimmenden Ergebnis zusammengefasst, dass eine moderate positive Assoziation zwischen parodontalen Infektionen und Atherosklerose besteht.

Basierend auf dieser Information ist es das Ziel vieler aktueller epidemiologischer Studien, diese Assoziation möglichst genau zu charakterisieren und dabei den Einfluss von Confoundern (Störfaktoren) zu minimieren. Diese stellen bei der Analyse des epidemiologischen Zusammenhangs von parodontalen Infektionen und Atherosklerose ein erhebliches Problem dar. So ist Rauchen ein etablierter Risikofaktor sowohl für Atherosklerose als auch für Parodontitis – also könnte eine erhöhte Inzidenz von kardiovaskulären Erkrankungen bei Patienten mit Parodontitis auch darin begründet sein, dass mehr Raucher an einer Parodontitis leiden [Hujoel et al., 2002].

Weitere potenzielle Confounder im Zusammenhang von parodontalen Infektionen und Atherosklerose sind Verhaltensfaktoren (Ernährungsgewohnheiten, körperliche Aktivität), der Zustand des lokalen Gesundheitssystems und sozio-ökonomische Faktoren (Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten) sowie Umgebungsfaktoren (Passivrauchen, kontaminierte Nahrung).

Um den Einfluss von Confoundern bei Studien zu minimieren, werden heute in der Regel multivariate Analysen durchgeführt, die den Einfluss von Confoundern mathematisch korrigieren. Alternativ kann eine Studie auf Teilnehmer, die sicher dem Confounder nicht ausgesetzt waren, zum Beispiel nie geraucht haben, begrenzt werden. Bei diesen Patienten wäre ein Einfluss des Rauchens auf eine untersuchte Assoziation theoretisch unmöglich, wenn man von verschwiegenem oder Passivrauchen absieht.

In der Tat wurde auch bei Patienten, die niemals geraucht haben, durchweg eine positive Assoziation von parodontalen Infektionen und Atherosklerose oder ihren Folgeerkrankungen gefunden. So zeigte für das Risiko eines Schlaganfalls bei parodontalen Infektionen eine Studie aus Korea ein Odds Ratio (OR) von 3,3 [Sim et al., 2008], eine Studie aus Finnland fand ein OR von 3,1 für Männer und 2,4 für Frauen [Pussinen et al., 2007].

Ein weiterer wichtiger Faktor für die erhöhte Plausibilität einer positiven Assoziation von parodontalen Infektionen und Atherosklerose ist die Erhebung von Daten in Studienkollektiven aus anderen geographischen Lokalisationen als den USA und Europa – wo die Mehrzahl der bisherigen Studien durchgeführt wurde. Durch diese Studien können lokalisationsspezifische Confounder ausgeschlossen werden. In der Tat zeigte sich bei der Auswertung von Daten aus Korea [Sim et al., 2008; Choe et al., 2009] und Indien [Pradeep et al., 2009] eine positive Assoziation von parodontalen Infektionen und Schlaganfall ähnlicher Ausprägung wie bei den vorangegangenen Studien aus den USA und Europa.

Von noch größerer Bedeutung könnten bislang unbekannte oder nur unzureichend charakterisierte Confounder sein. So wurde unlängst ein gemeinsamer genetischer Risikolokus für aggressive Parodontitis und Koronare Herzerkrankung identifiziert [Schäfer et al., 2009], dessen Bedeutung für die berichteten Assoziationen noch völlig unklar ist.

Es ist das Ziel der aktuell durchgeführten epidemiologischen Studien, durch die Identifikation von Determinanten der Assoziation von oraler Infektion und vaskulärer Entzündung diesen Zusammenhang mit dem Endziel einer primären oder sekundären Prävention von Atherosklerose genauer zu verstehen.

So konnten Studien, die die umfangreiche Datenbasis der US-amerikanischen Normative Aging Study (NAS) verwenden [Dietrich et al., 2008; Jimenez et al., 2009], eine deutlich stärkere Assoziation von parodontalen Infektionen und vaskulären Endpunkten bei jüngeren als bei älteren Patienten feststellen. Beruhend auf diesen Daten wurde zudem eine im Vergleich zu kardiovaskulären Endpunkten verstärkte Assoziation von parodontalen Infektionen und Schlaganfällen gefunden [Jimenez et al., 2009].

Die Hypothese einer spezifischen Rolle von parodontalen Infektionen bei der Entstehung der Atherosklerose wurde zudem gestützt durch den Nachweis einer positiven Assoziation der Zahl von spezifischen subgingivalen Parodontalpathogenen und kardiovaskulären Outcomes [Desvarieux et al., 2005; Renvert et al., 2006; Spahr et al., 2006; Nonnenmacher et al., 2007].

Interventionsstudien, also Studien, die die Auswirkungen einer Parodontitistherapie auf Atherosklerosemarker untersuchen, geben weitere deutliche Hinweise auf einen kausalen Zusammenhang von parodontalen Infektionen und Atherosklerose [ausführliche Übersicht bei Tonetti et al., 2009]. Sie sind wichtig, weil sie die oben erwähnten epidemiologischen Zusammenhänge logisch mit den unten aufgeführten möglichen Pathomechanismen verknüpfen. Sie zeigen auf, wie die gewonnenen Erkenntnisse praktisch zu einer Verbesserung der Allgemeingesundheit der Bevölkerung führen können.

Parodontale Infektionen tragen zu einer lokalen [Ebersole, 2003] und systemischen Entzündungsantwort bei [Loos, 2005; Paraskevas et al., 2008]. Eine nichtchirurgische Parodontitistherapie führt zunächst zu einer deutlichen systemischen Erhöhung dieser Faktoren [Tonetti et al., 2007]. Sechs Monate nach erfolgreicher Therapie hingegen ist in einigen, aber nicht allen Studien eine Verringerung der Konzentration der erwähnten Mediatoren aufgetreten [Paraskevas et al., 2008]. Bei der Ausweitung auf weitere Analyseparameter wurde eine erhebliche Heterogenität der systemischen Entzündungsantwort auf die Therapie deutlich, eine Studie von 19 Markern zeigte drei Monate nach nichtchirurgischer Therapie einen deutlichen Anstieg der Entzündungsantwort in einem Viertel der Patienten, eine deutliche Verringerung bei einem Drittel der Patienten und keine wesentliche Änderung bei dem Rest der Patienten [Behle et al., 2009].

Andere Studien evaluierten den Einfluss von parodontalen Infektionen und Parodontitistherapie auf die endotheliale Dysfunktion, die erste Stufe der Atherosklerose-Entwicklung, gekennzeichnet durch eine nichtinvasiv messbare, verringerte vasodilatorische Kapazität von peripheren Gefäßen. Parodontale Infektionen wurden in Querschnittsstudien mit verschlechterter Endothelfunktion assoziiert [Amar et al., 2003; Mercanoglu et al., 2004]. Eine parodontale Therapie führte allein [Mercanoglu et al., 2004; Elter et al., 2006] oder in Verbindung mit einer systemischen [Seinost et al., 2005] oder lokalen [Tonetti et al., 2007] antibiotischen Therapie zu einer Verbesserung der Endothelfunktion sechs Monate nach Therapie.

Ein weiterer wichtiger Marker für Atherosklerose ist die Dicke der Intima media der Arteria carotis (IMT). Die IMT korreliert signifikant mit schwerer Parodontitis [Beck et al., 2001] und subgingivalen Konzentrationen [Desvarieux et al., 2005] oder Serumantikörper-Titern [Beck et al., 2005] gegen parodontalpathogene Bakterien. Eine mechanische Parodontitistherapie bei systemisch gesunden Patienten führte in einer Studie zu einer signifikanten Abnahme der IMT ein Jahr nach Therapie [Piconi et al., 2009].

Allerdings weisen alle oben zitierten Studien eine wesentliche Schwäche auf – sie sind an Patienten mit Parodontitis durchgeführt, die systemisch gesund waren. Dies erleichtert die Durchführung der Studie ganz wesentlich, weil nicht für andere Erkrankungen und Confounder korrigiert werden muss, birgt aber den Nachteil, dass sich die Ergebnisse der Studien nicht ohne Weiteres auf den Normalfall eines Patienten mit verschiedenen Grunderkrankungen übertragen lassen.

Die in den USA durchgeführte „Periodontitis and Vascular Events“ (PAVE)-Studie [Beck et al., 2008; Offenbacher et al., 2009] sollte diese Schwäche überwinden. Die PAVE-Studie war eine Pilotstudie zur sekundären Prävention von kardiovaskulären Ereignissen durch Parodontitistherapie bei herzkranken Patienten mit Parodontitis. Die Testgruppe wurde mittels mechanischer Parodontitistherapie und einem Mundhygieneprogramm behandelt, die Kontrollgruppe nur über die Diagnose aufgeklärt, aber nicht in den Studienzentren behandelt. Nach 25 Monaten wurden die kardiovaskulären Ereignisse in Test- und Kontrollgruppe evaluiert. Da kein Unterschied zwischen beiden Gruppen festgestellt werden konnte, wurde die Studie nicht weiter fortgesetzt.

Bei der Beurteilung dieser sehr wichtigen Studie gilt es bei aller Enttäuschung die offensichtlichen Schwächen des Studiendesigns zu beachten. Problematisch war vor allem, dass die meisten Patienten der Kontrollgruppe durchaus parodontal behandelt wurden – nur eben nicht in den Studienzentren. Dort war die Effizienz der Therapie der Testgruppe zudem nur unzureichend. Auch wurden bekannte Effekte einer Parodontitistherapie, zum Beispiel die CRP-senkende Wirkung, durch den hohen Anteil übergewichtiger Patienten in der Studie neutralisiert. Daher können aus dieser Studie keine validen Aussagen zum Wert der Parodontitistherapie bei der sekundären Prävention von kardiovaskulären Ereignissen gezogen werden. Allerdings zeigt die PAVE-Studie deutlich, welche Probleme beim Design zukünftiger Studien beachtet werden müssen.

Mögliche Pathomechanismen

Zur Erklärung der beobachteten Assoziation von parodontalen Infektionen und Atherosklerose wurden diverse potenzielle Pathomechanismen beschrieben, die direkt oder indirekt die Effekte der Infektion bei der Entstehung und Progression der Atherosklerose als auch die beobachteten systemischen Effekte einer Parodontaltherapie vermitteln könnten [ausführliche Übersicht bei Kebschull et al., 2010]. Nach heutigem Kenntnisstand ist die Grundlage einer kausalen Verbindung von parodontalen Infektionen und Atherosklerose der Eintritt von oralen Bakterien, ihren Bestandteilen oder durch die Parodontitis freigesetzten Entzündungsmediatoren über das ulzerierte Taschenepithel des Parodontiums in den Blutkreislauf. Bakteriämien werden von alltäglichen oralen Aktivitäten wie Zähneputzen oder Kauen ausgelöst, also keineswegs nur durch Zahnbehandlungen. Ihre Häufigkeit und Ausprägung korreliert mit dem Schweregrad der parodontalen Infektion. Die parodontalpathogenen Bakterien gelangen über den Blutkreislauf auch in die Herzkranzgefäße und konnten in einer Vielzahl von Studien in atherosklerotischen Plaques nachgewiesen werden. Dort vermitteln sie über verschiedene Signalwege eine verstärkte Atherogenese. Die wichtigsten Pathomechanismen werden in den schematischen Abbildungen 2 bis 6 dargestellt.

Bei der Betrachtung ist zu beachten, dass die meisten Erkenntnisse auf Tier- und Zellkultur-Experimenten beruhen, bei denen eine Infektion mit einem einzelnen oder wenigen parodontalen Modellpathogenen, in der Regel mit P. gingivalis, durchgeführt wurde. Eine solche Monoinfektion mit planktonischen Keimen kann die pathophysiologischen Vorgänge bei der polymikrobiellen Biofilmbasierten Parodontitis sicher nur unvollständig abbilden.

Fazit

Nach derzeitigem Kenntnisstand besteht eine moderat ausgeprägte positive Assoziation von parodontalen Infektionen mit Atherosklerose und ihren Folgeerkrankungen. Bemerkenswert ist die weitgehende Übereinstimmung der Ergebnisse der meisten epidemiologischen Studien, obwohl diese in verschiedenen Studienpopulationen und mit unterschiedlichen Kriterien für Parodontitis und Atherosklerose durchgeführt wurden. Daher kann gefolgert werden, dass parodontale Infektionen einen unabhängigen Risikofaktor für Atherosklerose und deren klinische Folgen darstellen. Aktuelle Interventionsstudien zeigen übereinstimmend, dass durch die Behandlung einer Parodontitis ein positiver Effekt auf subklinische Marker der Atherosklerose erzielt wird. Es konnte allerdings noch nicht bewiesen werden, dass durch Prävention oder Therapie einer Parodontitis klinischen Folgeereignissen der Atherosklerose (Herzinfarkt, Schlaganfall) vorgebeugt werden kann. Die kausale Verbindung von parodontalen Infektionen mit der Atherogenese gilt als biologisch plausibel – eine Vielzahl von Studien in Tier- und Zellkulturmodellen konnte diverse Signalwege für die beteiligten Pathomechanismen aufzeigen.

Um zweifelsfrei festzustellen, ob und durch welche Mechanismen vermittelt die Prävention oder Therapie von parodontalen Infektionen eine Rolle in der primären oder sekundären Prävention von Atherosklerose und ihrer klinischen Folgeerkrankungen spielt, werden in Zukunft weitere große und exakt kontrollierte longitudinale Patientenstudien durchgeführt werden müssen.

Dr. med. dent. Moritz Kebschull

Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Søren Jepsen, MS

Poliklinik für Parodontologie, Zahnerhaltung

und Präventive Zahnheilkunde

DFG-Klinische Forschergruppe 208

„Ursachen und Folgen von Parodontopathien“

Universitätsklinikum Bonn

Welschnonnenstr. 17

Welschnonnenstr. 17

53111 Bonn

jepsen@uni-bonn.de

www.parodontologie.uni-bonn.de

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