Fortbildungsteil 2/2011

Therapeutische Intervention durch den Zahnarzt

An Konstruktionsvorschlägen zu intra- und/oder extraoralen Apparaturen, die das Schnarchen beziehungsweise das obstruktive Schlafapnoesyndrom (OSAS) positiv beeinflussen sollen, besteht in der Literatur kein Mangel. Hier eine Übersicht über den aktuellen Stand dieser Behandlungsmethode, mit der der Zahnarzt obstruktive Schlaf-Atemstörungen und das Schnarchen therapieren kann.

Zu diesem Thema sind vielfältige, teilweise erstaunlich anmutende Konstruktionen zu intra- und/oder extraoralen Apparaturen bekannt, deren tatsächliche Wirkung aber anfänglich unklar blieb. Erst mit einer intraoralen Apparatur in Form eines protrudierenden Monoblocks (sogenannte Esmarch-Orthese) konnte schließlich 1984 durch Meier-Ewert et al. der wissenschaftliche Nachweis über die positive Wirksamkeit auf das OSAS erbracht werden, nachdem zwei Jahre zuvor die erste derartige Schiene beschrieben wurde [Cartwright R.D., 1982]. In der Folgezeit erfuhr diese Urform der Unterkieferprotrusionsschiene (UPS) durch ihre fortwährende technische Weiterentwicklung und unter zunehmend strukturierter klinischer Anwendung eine steigende Akzeptanz in der klinischen Anwendung. Unter dieser günstigen Entwicklung konnten sich die UPS ganz im Gegensatz zu allen übrigen Apparaturen wie Zungenretainern, Velumschilde und andere im klinischen Einsatz bewähren. Die positiven Ergebnisse und die zunehmende Anzahl von Untersuchungen mit hohem Evidenzgrad haben schließlich dazu geführt, dass die UPS seit 2006 von der American Academy of Sleep Medizine [AASM, 2006] und seit 2009 von der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin in der S3-Leitlinie „nicht erholsamer Schlaf“ [DGSM, 2009] offiziell anerkannt und empfohlen werden. Damit sind die UPS neben der CPAP-Therapie zu einem festen und allgemein anerkannten Bestandteil in der nicht-invasiven Therapie des Schnarchens und des OSAS geworden.

Wenn auch die CPAP-Therapie in der polysomnografischen Untersuchung eine höhere Effektivität als die UPS-Therapie aufweist [Ferguson KA et al., 2006; Lim J et al., 2006], so kann jedoch bei entsprechender Indikation klinisch gesehen insgesamt von einem vergleichbaren positiven gesundheitlichen Effekt der UPS ausgegangen werden [Chan AS et al., 2009]. Wesentlicher Nachteil der CPAP-Therapie sind häufige Nebenwirkungen, was zu einer nur reduzierten Anwendung dieser Therapieform führen kann oder schließlich in einer Inakzeptanz mit Abbruch der CPAP-Therapie endet. Hierin liegt der Vorteil der UPS-Therapie [Hoekema A et al., 2004; Ferguson KA et al., 2006]. Abgesehen von einer schon grundsätzlich geringeren Nebenwirkungsrate sind diese, falls sie überhaupt auftreten, meistens vorübergehender Natur und durch geeignete Einstellungen und labortechnische Modifikationen am Gerät vermeidbar und damit eine Inakzeptanz durchaus abwendbar [Aarab G et al., 2010; Chan et al., 2008; Cistulli PA et al., 2004].

Wirkung der UPS

Die UPS bewirkt zweierlei. Erstens wird durch die Unterkieferprotrusion mechanisch der obere Luftweg – und hier überwiegend der Mesopharynxraum (PAS, posterior airway space) – erweitert (Abbildungen 1 und 2) [Haskel JA et al., 2009]. Diese Wirkung ist abhängig vom Protrusionsgrad [Kato J et al., 2000; Tsuiki S et al., 2005, Aarab G et al., 2010 ]. Zweitens kommt durch die Unterkieferprotrusion eine Tonus-Steigerung der angrenzenden Muskulatur zustande [Johal A et al., 2007]. Inwieweit dieser Effekt zur Wirkung auf das OSAS beiträgt, ist derzeit unklar. Beide Effekte führen jedoch schließlich zu einer Verbesserung der respiratorischen Parameter mit ihren weiteren positiven Auswirkungen auf den gesamten Organismus.

Klinische Anwendung von UK-Protrusionsschienen

Die Grundlagen zur klinischen Anwendung der UPS stellt das Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Zahnärztliche Schlafmedizin [Schwarting S. et al., 2007] dar. Hiernach werden UPS als initiale Therapieform bei primärem Schnarchen, bei UARS sowie bei leicht- bis mittelgradigem OSAS empfohlen. Darüber hinaus ist eine UPS immer dann indiziert, wenn eine CPAP-Therapie erfolglos blieb. Die S3-Leitlinie folgt ganz überwiegend dieser Empfehlung der DGZS. Zentrale Forderung des Positionspapiers der DGZS ist die Anwendung der UPS-Therapie durch fortgebildete, möglichst auf dem Gebiet der zahnärztlichen Schlafmedizin zertifizierte Zahnmediziner. Seit 2001 setzt sich die DGZS hierfür ein und bietet eine strukturierte Fort- und Weiterbildung mit der Möglichkeit der anschließenden Zertifizierung an. Individuell angepasste UPS sollen im Gegensatz zu konfektionierten oder sogenannten „boil and bite“-Schienen wegen ihrer größeren Effektivität unbedingt bevorzugt werden [Vanderveken OM et al., 2007]. In der Protrusion einstellbare, zweiteilige UPS erleichtern dabei im Gegensatz zu Monoblöcken die Titrierung. Unter Titrierung versteht man die stufenweise Erhöhung der Protrusion ohne Nebenwirkung zur Erzielung eines maximalen schlafmedizinischen Therapieeffekts [Almaida FR et al., 2009; Krishman V, 2008]. Ziel ist die Einstellung einer möglichst geringen Protrusion und Bissöffnung. Denn mit zunehmender Protrusion und Bisssperrung häuft sich die Nebenwirkungsrate und damit die Inakzeptanz [Aarab G et al., 2010; Ptsis AJ, 2002]. Zudem kann eine zunehmende Bissöffung dem positiven Effekt der UPS auf das OSAS entgegenwirken [Nikolopoulou M et al., 2011]. Hinzu kommt, dass innerhalb der ersten Monate von einem Nachlassen der Wirksamkeit der UPS ausgegangen werden [Rose EC et al., 2002] und sich der Schweregrad des OSAS verändern kann. Die Notwendigkeit schlafmedizinischer und zahnmedizinischer Untersuchungen vor und während der UPS-Therapie ist deshalb unbestritten [Ferguson KA et al., 2006; DGSM, 2009], was den interdisziplinären Charakter und die enge Zusammenarbeit zwischen Zahnmediziner und Schlafmediziner unterstreicht. Denn ohne anfängliche und regelmäßig zu wiederholende Befundsicherung kann weder eine UPS-Therapie indiziert und begonnen, noch über Jahre hinweg effektiv gestaltet werden. Der zahnmedizinischen Befundsicherung kommt dabei zu Beginn der Therapie eine besondere und zentrale Rolle zu. Erst sie ermöglicht über das Auffinden von Prädilektoren eine Objektivierung von Indikation und Prognose.

Dieser gesamte Prozessablauf [Almeida FR et al., 2009] von der anfänglichen Befundsicherung und Indikationsstellung über die Titrierung mit nachfolgenden Kontrolluntersuchungen bedingt schließlich ein effektives Recall-System und eine präzise Kommunikation zwischen Zahnmediziner und Patient beziehungsweise Zahnmediziner und Schlafmediziner. Die Zeitintervalle des Recalls richten sich dabei nach der Dauer, in der eine Änderung der schlafmedizinischen und zahnärztlichen Parameter sowie des Zustands der UPS im Laufe der Behandlung angenommen werden kann [Rose EC et al., 2002]. Besonders zu achten ist dabei auf unerwünschte Nebenwirkungen der UPS [Ghazal A et al., 2008; Marklund M, 2001]. Zu Beginn der Therapie (nach Eingliederung der Schiene) ist eine Kontrolle innerhalb der ersten sechs bis zwölf Wochen zu empfehlen. Nachfolgende Untersuchungen sollten grundsätzlich in sechsmonatigen Abständen erfolgen [Ferguson KA et al., 2006].

Befundung

Eine in der Literatur einheitliche Empfehlung zur Befunderhebung in der zahnärztlichen Schlafmedizin fehlt bislang. Zurückgegriffen werden kann jedoch auf Befundindizes aus den einzelnen Fachgebieten der Zahnmedizin [Schlieper J, 2003]. Im Infokasten Befundindizes (siehe Vorseite) findet sich eine Zusammenstellung mehrerer Indizes, die zusammen genommen eine hinreichende Beschreibung der Befunde geben, die für das Gebiet der zahnärztlichen Schlafmedizin relevant sind. Ergänzt wird diese Zusammenstellung durch die klinische Funktionsanalyse [DGZMK, 2003], die Befundung der Schleimhäute, der Zahn- und Kieferstellung sowie der gegebenenfalls vorhandenen oder durchzuführenden Aufnahmen bildgebender Verfahren.

Zur Dokumentation sollten, wie auch in anderen Fachbereichen der Zahnmedizin, Modelle und das Bissregistrat der Protrusionseinstellung entsprechend aufbewahrt werden. Für die Beschreibung der Unterkieferposition bei eingesetzter Schiene reicht aus klinischen Erwägungen die Messung der Protrusion (horizontale Strecke zwischen Unterkieferposition in maximaler Interkuspidation (MI) und therapeutischer Protrusion (TP), Referenzpunkt: mesiobukkaler Höcker 16 und 26) und der Bisssperrung (vertikale Strecke zwischen MI und TP, Referenzpunkt: mesiale Schneidekante 21 und 31) aus.

Prädiktoren

Bestimmte Befundkonstellationen können Hinweise auf eine zu erwartende höhere oder geringere Effektivität der UPS vor Therapiebeginn liefern [Battagel JM et al., 2005; Hoekema A et al., 2007; Sanner BM et al., 2002; Zeng B. et al., 2007].

Eine Auflistung der wichtigsten Prädiktoren findet sich im Info-Kasten links. Zusammen mit einer Bewertung der zahnmedizinischen und der schlafmedizinischen Befunde sowie der Belastbarkeit des Patienten hinsichtlich möglicher Therapieformen (zum Beispiel CPAP, operative Korrekturen) lassen sich mithilfe der Prädiktoren eine geeignete Selektion der Patienten für eine UPS-Therapie treffen und die Erfolgsaussichten steigern [Ferguson KA et al., 2006; Chan et al., 2008; Lim et al., 2006].

Verschiedene UPS-Systeme

Sinnvoll werden die UPS nach ihrem wirkungsinduzierenden protrudierenden Element, das heißt der Verschlüsselung des Oberkiefers zum Unterkiefer in der therapeutischen Protrusion, eingeteilt. Diese Verschlüsselung kann entweder starr wie in einem Monoblock oder einstellbar sein. Einstellbare Schienen lassen sich entsprechend der Position der Verbindungselemente differenzieren.

Die Position der Verbindungselemente kann entweder wie zum Beispiel beim TAP®[Pancer J, 1999] (Abbildung 3) mittig in der Front oder beidseitig lateral wie zum Beispiel bei der SomnoDent®[Barnes M et al., 2004] (Abbildung 4), IST®-Gerät [Randerath WJ, 2002] (Abbildung 5) oder H-UPS®[Schlieper J, 2004] (Abbildung 6) liegen. Beim TAP®befindet sich in der Oberkieferschiene ein Stützstift, der in der Führungsplatte der Unterkieferschiene ruht. Durch Vor- oder Zurückschrauben des Stützstiftes in der Oberkieferschiene (maximal sechs mm) lässt sich selbst bei eingesetzter Schiene die Protrusion vergrößern oder verringern. Mit der TAP®wird eine große Kraftübertragung von der Oberauf die Unterkieferschiene ermöglicht, womit ein Maximum an Protrusion erzielbar ist. Zur Anfertigung der TAP®ist wegen der frontalen Abstützung (Prinzip Frontzahn-Jig) kein Konstruktionsbiss in der therapeutischen Protrusionsstellung erforderlich, der jedoch für die Herstellung seitlich flächig abgestützter Systeme (zum Beispiel SomnoDent®, IST®-Gerät oder H-UPS®) unerlässlich ist. Bei der SomnoDent®wird die Protrusion über eine beidseits im Molarenbereich angebrachte schiefe Ebene erzielt. Dies hat den Vorteil eines in der Protrusionsstellung kranial gerichteten Kraftvektors, wodurch einer Lageverschiebung von zum Beispiel stark reduziertem oder totalem Zahnersatz entgegengewirkt wird. Der Protrusionsgrad kann ähnlich wie bei der TAP®über einen Schraubenmechanismus, der einen maximalen Auszug von sechs Millimetern ermöglicht, verändert werden. Bei dem ISTclassic®NEU wird die Protrusion über ein beidseits seitlich angebrachtes, schraubenmechanisch verstellbares Führungsteleskop eingestellt. Der Kraftvektor verläuft von distokaudal nach ventrokranial und wirkt der Scharnierachsenbewegung des Unterkiefers und damit der Mundöffnung entgegen. Dies begünstigt bei eingesetztem ISTclassic®NEU die Schlussbissposition und wirkt einem Protrusionsverlust bei Mundöffnung entgegen. Bei der H-UPS®wird dies über frontale Gummizüge erreicht, da die seitlichen Herbstscharniere kiefergelenksbezüglich angebracht sind. Durch Aufziehen von unterschiedlich breiten Distanzringen auf die Führungsstange des Herbstscharniers kann die Protrusion vergrößert, durch Entfernen dieser Ringe oder durch Einschleifen der Hülse des Herbstscharniers verringert werden. So wird eine Einstellung der H-UPS®von der retralen Kontaktposition bis in die gewünschte therapeutische Protrusion ermöglicht. Die Stahl-Kunststoff-Konstruktion ermöglicht ein Aussparen von Kunststoffschienenanteilen in der Ober- und/oder in der Unterkieferfront und die Einstellung einer minimalen Bisssperrung, die besonders bei tiefem Biss hilfreich ist.

Zahnärztliche Schlafmedizin bei Kindern

Intraorale Protrusions-Geräte, wie sie bei Erwachsenen angewandt werden, sind für Kinder und Jugendliche wegen der hierunter auftretenden Wachstumsanpassung mit Verursachen einer Protrusion nicht indiziert [Rose EC, 2006]. Bei Kindern wirken sich im Gegensatz zum Erwachsenenalter bereits geringe dreidimensionale Veränderungen des kraniomandibulären Systems mit Verkleinerung der oberen Luftwege negativ auf den Atemwegwiderstand aus [Kikuchi M, 2005]. Aus der Literatur gibt es Hinweise darauf, dass schlafbezogene Atmungsstörungen mit dem Leitsymptom Schnarchen bei rund zehn Prozent und das Schlafapnoesyndrom bei 0,7 bis 2 Prozent aller Kinder auftreten. Wegen der negativen Auswirkungen kraniofazialer Anomalien auf die oberen Atemwege kommt diesen Anomalien eine hohe, ursächliche Bedeutung für die Entstehung obstruktiver Schlafatmungsstörungen (OSAS) im Kindesalter zu [Rose EC et al., 2006]. Verdeutlicht wird dies durch die von mehreren Autoren in der Literatur angegebene hohe Häufigkeit (33 Prozent) von Rücklagen des Unterkiefers (Angle-Klasse II) im Wechsel- und im bleibenden Gebiss und der häufigen Zahnfehlstellungen und Bisslageabweichungen, die bei den Untersuchungen von Kieferabformungen zur Anfertigung einer UPS bei Erwachsenen festgestellt werden konnten [Paeske I, 2006]. Die Behandlung derartiger charakteristischer Krankheitsbilder mit potenziell lebenslänglicher Auswirkung auf Schlaf und Atmung hat deshalb eine hohe sozialmedizinische Tragweite.

Im Wesentlichen werden bei der kieferorthopädischen Therapie der physiologisch vorgesehene Platz für die Zunge durch Umformung, das heißt durch Vergrößerung der Zahnbögen, geschaffen und der Mundinnenraum vergrößert [Pirelli P et al., 2005]. In den meisten Fällen sind eine transversale Erweiterung des oberen Zahnbogens und eine Protrusion der oberen Schneidezähne mit funktionskieferorthopädischen Geräten Voraussetzung zur gnathischen Vorverlagerung des Unterkiefers. Die dauerhafte Lageveränderung des Unterkiefers zum Oberkiefer ist jedoch nur in der Zeit des allgemeinen Längenwachstums, also bis zum 14. bis 16. Lebensjahr, aber wegen der geringen Kooperation nicht vor dem vierten Lebensjahr möglich. In diesem Zeitraum kann mit funktionskieferorthopädischen Geräten über die Förderung des kondylären Wachstums und einer Wirkung auf die suturale Entwicklung des Mittelgesichts eine Vorverlagerung des Unterkiefers erreicht werden [Cozza P et al., 2004; Villa MP et al., 2002].

Entsprechendes gilt bei einer Reposition des Oberkiefers bei Kindern und Heranwachsenen: Diese Fehlentwicklung kann mit kieferorthopädischen Maßnahmen, zum Beispiel mit einer Delaire-Maske, behandelt werden. Bei Patienten mit schmalem, hohem Gaumen wird durch eine forcierte „Gaumennahtsprengung“ eine Erweiterung des oro-nasalen Luftwegs erzielt und eine Positionsänderung der Zungenlage ermöglicht [Rose EC et al., 2006].

Dr. Dr. Jörg SchlieperOsdorfer Weg 14722607 Hamburgjoerg@dr-schlieper.de

Dr. Martin HeiseSchulstr. 3644623 Herne

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