Differentialdiagnose einer Schwellung im Bereich des Unterkiefers

Odontogenes Myxom

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Eine 14-jährige Patientin wurde vom Hauszahnarzt aufgrund einer vor wenigen Wochen aufgetretenen schmerzlosen Schwellung im Bereich des rechten Unterkiefers in die eigene Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie überwiesen. Bei der klinischen Untersuchung zeigte sich extraoral nur eine sehr diskrete Schwellung am rechten Unterkieferrand (Abbildung 1). Die Sensibilität im Ausbreitungsgebiet des Nervus mentalis rechts war im Seitenvergleich uneingeschränkt. Intraoral imponierte eine derbe Auftreibung im rechten Unterkiefervestibulum von regio 42 bis 46 sowie eine Fehlstellung und Kippung der Zähne in der betroffenen Region (Abbildung 2). Alle Zähne reagierten im Kälteprovokationstest positiv und im Perkussionstest negativ. Das durch den Zuweiser angefertigte Orthopantomogramm zeigte eine rund vier Zentimeter große, scharf begrenzte, multizystische Osteolyse im Corpus mandibulae von regio 42 bis 46 mit Verdrängung der Zahnwurzeln (Abbildung 3). In der veranlassten computertomografischen Untersuchung stellte sich im Bereich der Osteolysezone die linguale Kortikalis ausgedünnt und leicht verdrängt, die vestibuläre knöcherne Begrenzung stark ausgedünnt und fokal destruiert dar (Abbildungen 4a bis 4c).

Zur Diagnosesicherung wurde in Lokalanästhesie eine Biopsie von intraoral vestibulär entnommen. In der histopathologischen Begutachtung zeigten sich Anteile eines myxoiden mesenchymalen Tumors, entsprechend einem odontogenen Myxom.

Der Tumor wurde in Intubationsnarkose im Sinne einer Unterkieferkontinuitätsresektion vollständig entfernt und der Defekt mit einer Überbrückungsplatte und einem freien Beckenkammtransplantat primär rekonstruiert (Abbildungen 5, 6 und 7). Nach vollständiger histopathologischer Aufarbeitung des Resektats bestätigte sich die Diagnose eines in toto entfernten odontogenen Myxoms (Abbildungen 8a und 8b).

Diskussion

Das odontogene Myxom ist eine seltene, intraossär gelegene, gutartige Neoplasie, die lokal insbesondere knöcherne Strukturen invadieren kann. Es ist nach Odontom und Amelobastom der dritthäufigste odontogene Tumor. Das Hauptmanifestationsalter liegt zwischen dem 20. und dem 40. Lebensjahr, wobei jedes Lebensalter von früher Kindheit bis ins hohe Alter betroffen sein kann [Li et al., 2006]. Frauen sind geringfügig häufiger betroffen als Männer. Etwa zwei Drittel der Myxome treten in der Mandibula und etwa ein Drittel in der Maxilla auf. Bevorzugt ist die Molarenregion [Buchner et Odell, 2005].

Über den histogenetischen Ursprung odontogener Myxome wird seit der Erstbeschreibung durch Thoma und Goldman (1947) kontrovers diskutiert. Das fast ausschließliche Auftreten im Kieferknochen, das Vorkommen kleiner Zellinseln aus odontogenem Epithel und die histomorphologische Ähnlichkeit mit mesenchymalen Geweben der Zahnentwicklung sprechen nach WHOKlassifikation und nach der überwiegenden aktuellen Literatur für eine odontogene Genese aus follikulären oder parodontalen Zellen [Reichart et Philipsen, 2004; Buchner et Odell, 2005; Martinez-Mata et al., 2008]. Dagegen steht das sporadische Auftreten dieser Tumorentität in anderen Teilen des Skeletts, insbesondere in langen Röhrenknochen, sowie der Aufbau der extrazellulären Matrix, die im Wesentlichen aus Myofibroblasten besteht [Martinez-Mata et al., 2008]. Odontogene Myxome wachsen sehr langsam und meist ohne klinische Symptomatik. Erst bei Erreichen entsprechender Größe werden Schwellungen und Knochenauftreibungen klinisch auffällig, die betroffenen knöchernen Strukturen sind dann wie im vorliegenden Fall stark ausgedünnt oder häufig bereits durchbrochen. Gelegentlich wird das Vorliegen eines odontogenen Myxoms im Rahmen einer zahnärztlichen Routineuntersuchung als Zufallsbefund entdeckt. Etwa ein Viertel der Tumoren wird durch Sensibilitätsstörungen und Schmerzen auffällig, in knapp 20 Prozent der Fälle weist die Verlagerung von Zähnen als primäres Symptom auf die Neoplasie hin [Martinez-Mata et al., 2008].

Diagnostisch weiterführend sind zunächst konventionelle Röntgenaufnahmen wie das Orthopantomogramm und die Schichtbildverfahren, hier speziell die Computertomografie, die mit dreidimensionaler Darstellung zur Abschätzung der Tumorausdehnung der konventionellen Aufnahme weit überlegen ist [Noffke et al., 2007]. Die Tumoren imponieren als unilokuläre oder multilokuläre Aufhellungen, gele gentlich erscheinen sie seifenblasen- oder honigwabenartig. Die Grenzen sind üblicherweise gut definiert, können aber auch diffus erscheinen [Buchner et Odell, 2005].

Histopathologisch besteht das odontogene Myxom aus diffus verteilten, kleinen Tumorzellen, die von einer myxoiden oder fibromyxoiden Matrix umgeben sind. Die Tumorzellen haben eine sternförmige bis spindelzellige Morphologie mit anastomosierenden Zytoplasmaausläufern. Binukleäre Zellen, einzelne Mitosefiguren und eine geringe Kernpleomorphie können auftreten [Buchner et Odell, 2005].

Als wichtigste Differentialdiagnosen müssen der keratozystisch-odontogene Tumor, das Ameloblastom, die aneurysmatische Knochenzyste, das intraossäre Hämangiom und das zentrale Riesenzellgranulom, aber auch der Cherubismus in Betracht gezogen werden. Letzterer tritt in der frühen Kindheit bilateral auf und kann – da autosomal dominant vererbt – gegebenenfalls familienanamnestisch ausgeschlossen werden [Noffke et al. 2007]. Die übrigen genannten Läsionen sind aufgrund der intraossären Lage klinisch und röntgenologisch nur schwer zu differenzieren. Die Biopsie ist zur Diagnosesicherung unerlässlich, da sich die Therapie der verschiedenen Entitäten grundlegend unterscheiden kann. Schließlich müssen bei größeren Tumoren mit Schwellung beziehungsweise Auftreibung der knöchernen Strukturen zunächst Abszesse und entzündliche Infiltrate ausgeschlossen werden, die sich jedoch durch Schmerzen, Überwärmung und einen kürzeren Verlauf bereits klinisch deutlich unterscheiden [Simon et al., 2004].

Das in der Literatur beschriebene Behandlungsspektrum für das odontogene Myxom reicht von der Enukleation bis zur radikalen Resektion. Die Rezidivraten liegen zwischen zehn Prozent und 33 Prozent und sind maßgeblich von der Radikalität abhängig. Die Enukleation und die Kürettage sind lediglich kleinen Tumoren vorbehalten. Der gewebeschonenden Entfernung steht hier jedoch wegen des den angrenzenden Knochen infiltrierenden Wachstums ein relativ hohes Rezidivrisiko von 25 Prozent gegenüber [Leiser et al., 2009]. Eine engmaschige Verlaufskontrolle ist angezeigt um ein erneutes Auftreten rechtzeitig zu erkennen. Die Therapie der Wahl bei größeren Läsionen und Rezidiven sollte demnach – wie bei unserer Patientin erfolgt – die Resektion im Gesunden sein [Li et al., 2006].

Dr. Stefan LegalPD Dr. Dr. Martin GosauProf. Dr. Dr. Torsten E. ReichertKlinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- undGesichtschirurgieUniversität RegensburgFranz-Josef-Strauß-Allee 1193053 RegensburgStefan.Legal@klinik.uni-regensburg.de

Dr. Fabian EderInstitut für PathologieUniversität RegensburgFranz-Josef-Strauß-Allee 1193053 Regensburg

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