Leitartikel

Vom Wert des Wandels

Sehr geehrte Frau Kollegin,sehr geehrter Herr Kollege,

was ist Gesundheit? Ist es das, was man – laut aktueller Etikette – anderen nicht mehr wünschen soll, wenn sie niesen? Ist es mehr als das Fehlen von Krankheit und Gebrechen?

Darauf gibt es klare, in ihrer Begründung jeweils nachvollziehbare Antworten, in Anstandsfragen von Knigges modernen Stellvertretern, oder – in letzterem Fall – von der Weltgesundheitsorganisation. So weit, so klar. Aber was ist uns Gesundheit – die eigene, die anderer Menschen – eigentlich wert? Und lässt sich dieser Wert in bare Münze umrechnen? Lässt sich Gesundheit zu Markte tragen?

Das sind keine Themen für ein verspätetes Bier am Tresen oder die Erstsemester unter Philosophiestudenten. Das sind substanzielle Fragen, die in unseren Gesellschaftsformen eine drängende Bedeutung erhalten. Ganz pragmatisch, weil die gesellschaftlichen Parameter, die Maßstäbe für den Wert von Leistungen, in unseren Gesellschaftsformen nicht mehr zueinander passen, nicht miteinander zu korrespondieren scheinen.

Stehen wir deshalb vor dem so oft beschworenen Wertewandel? Eine Gesellschaft, die diskutiert, dass es angesichts der Mittelknappheit keine Möglichkeiten gibt, Gebührenordnungen für Ärzte und Zahnärzte so zu bewerten, dass eine der WHO entsprechende medizinische Versorgung von Patienten gewährleistet bleibt, die aber gleichzeitig dem Finanzwesen Schutzschirme in der Höhe von Billionen gewährt, provoziert solche Diskussionen.

Und dass im Rahmen des Deutschen Zahnärztetages in Frankfurt diese Diskussionen ihren Platz finden, ist unter Heilberufen kein singulär spezifisches Merkmal für uns Zahnärzte. Es wird immer offensichtlicher: Die schrumpfenden Finanzdeckel für die Töpfe gesellschaftlicher Pflichten lassen ohne Zweifel Dampf frei.

Dabei ist der Unmut über die Zustände im deutschen Gesundheitswesen nicht neu. Er blieb aber bisher mit dem Hinweis auf die weltwirtschaftliche Notlage unangefochten. Aber in Zeiten, in denen Millionen fehlen, gleichzeitig Milliarden ganz plötzlich auftauchen und optional Billionen bereitstehen, leidet zunehmend das Verständnis der Bürger.

Für das Gesundheitswesen hat die Politik zunehmend die Ökonomie zum Leitmotiv gemacht. Parteiübergreifend ist den Entscheidern die volkswirtschaftliche Denke näher als die Beratung aus zahn-/-ärztlicher Sicht. Scheinbare Kostenexplosionen, Megamärkte, Vollbeschäftigung, Durchindustrialisierung und „future lab deals“ bewegen mehr als die Warnungen zum Erhalt von zahn-/-ärztlichem Ethos oder die Angst vor lebensbedrohender Rationalisierung. Dass die Politik nicht zurückschreckt, zu reglementieren, rationalisieren und konvergieren, was das Zeug hält, beunruhigt die Bürger zusehends. Sie setzen aktuellen Umfragen zufolge den Wert von Gesundheit weit höher als je zuvor. Mehr denn je gilt: Das Gesundheitssystem steckt nicht in einer Krise des Geldes, sondern in einer Krise der Moral.

Die Politik jedenfalls muss das bezerzigen, wenn sie nicht noch mehr an Glaubwürdigkeit verlieren will. Der Wert von Gesundheit bemisst sich nicht am DAX-Index der „Player“ im Gesundheitswesen.

Wir Zahnärzte brauchen angesichts dieser Entwicklung unseren bisherigen Kurs nicht zu korrigieren. Wir müssen nur verstärkt darauf hinweisen, dass Medizin wie Zahnmedizin eben nicht in die Produktreihe aus Wellnessangeboten und Pro-Bio-Joghurt passen. Die Erkenntnis von Gesundheitsökonomen, dass Gesundheit sich nicht kaufen, aber gut verkaufen lässt, kommt ohnehin nicht mehr an. Nichts hat die Grenzen ökonomischen Denkens besser illustriert als die gegenwärtige Euro-Krise, in der man sich schnell mal um 55,5 Milliarden verrrechnen kann.

Die Menschen werden sich eher für die Haltung des mathematisch begabteren Albert Einstein erwärmen, der wusste, dass „die besten Dinge im Leben nicht die sind, die man für Geld bekommt“. Vielleicht ist ja auch die Politik bald am Wendepunkt dieser wichtigen Erkenntnis.

Mit freundlichen kollegialen Grüßen

Dr. Peter EngelPräsident der Bundeszahnärztekammer

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