Interview mit Dr. Peter Engel, Prof. Dr. Dr. Henning Schliephake und Dr. Jürgen Fedderwitz

Gut aufgestellt für neue Herausforderungen

Der Deutsche Zahnärztetag 2012 findet vom 9. bis zum 10. November in Frankfurt/M. statt. Aus diesem Anlass positionieren sich die drei Spitzenvertreter von BZÄK, DGZMK und KZBV – Dr. Peter Engel, Prof. Dr. Dr. Henning Schliephake und Dr. Jürgen Fedderwitz – gegenüber den zm zu aktuellen Themen aus Berufs- und Wissenschaftspolitik. Im Fokus: Die Weiterentwicklung von GKV und PKV, der Forschungsstandort Deutschland und Positionen zur demografischen Entwicklung.

zm: Herr Dr. Engel, der Deutsche Zahnärztetag bietet dem Berufsstand eine breite Plattform für standespolitische Positionierungen. Welche gesundheitspolitischen Schwerpunkte sehen Sie für die kommenden Monate aus Sicht der BZÄK?

Engel:Eine der größten Baustellen steht schon seit Längerem im Fokus der Fachöffentlichkeit und wird auch die Debatten im Vorfeld des Bundestagswahlkampfs begleiten: die Weiterentwicklung von GKV und PKV und die potenzielle Angleichung der Systeme. Der Deutsche Ärztetag mit der Debatte von Jens Spahn (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) hat gezeigt, dass beide Parteien aus ihren unterschiedlichen Lagern heraus am System rütteln. In der GKV gibt es Bestrebungen, die PKV abzuschaffen, oder man will sich als GKV privatrechtlich organisieren. Die PKV ihrerseits fordert Öffnungsklauseln und Selektivverträge. Aus der Wissenschaft kommen mahnende Stimmen, die die PKV in ihrer jetzigen Form nicht mehr für zukunftstauglich halten und eine Reform fordern. Bleibt es bei der Dualität beider Systeme? Oder soll da eine Bürgerversicherung als Lösung kommen? In dieser Debatte müssen wir uns als Zahnärzte positionieren, denn entscheidend für unsere Zukunft wird sein, wie wir als Gemeinschaft der Heilberufe die Systemfrage beantworten. Es muss darum gehen, fatale Fehlentscheidungen zu verhindern. Der Weg aus unserer Sicht kann nur dahin gehen, das duale System zu erhalten, aber die tragenden Säulen von GKV und PKV grundlegend zu reformieren. Vonseiten der BZÄK wird das Thema schon seit Längerem intensiv erörtert, nicht zuletzt auch bei der jüngsten Klausurtagung des Vorstands in Bautzen. Wir werden uns in Form einer gesundheitspolitischen Agenda, die mit der KZBV konsentiert sein wird, zu all diesen Fragen positionieren und diese zum Deutschen Zahnärztetag präsentieren.

zm: Herr Prof. Schliephake, Zahnmedizin interdisziplinär  Restauration, Rekonstruktion, Regeneration  so lautet das Motto des diesjährigen Deutschen Zahnärztetages. Was bedeutet das für den Forschungsstandort Deutschland und für die Verbindungen mit anderen Forschungsrichtungen wieBiomedizin oder Nanotechnologie?Schliephake:Das Motto spannt einen weiten Bogen in der wiederherstellenden Therapie, der von den restaurativen Ansätzen bis hin zu biologischen und biomimetischen Strategien in der Regeneration reicht. Dabei bedeutet restaurativ keineswegs nur das Zuspachteln von Löchern, sondern hier sind genauso wie in der regenerativen Strategie zahlreiche neue Ansätze im Bereich der antiadhäsiven Werkstoffe und innovativen Materialien einbezogen. Diese neuen Ansätze sind im Hinblick auf Strategien gegen Biofilmbildung auch gleichzeitig Forschung in der Prävention. Damit beschreibt das Thema einen der wichtigsten, wenn nicht den Forschungs- und Entwicklungsbereich der modernen Zahnmedizin überhaupt. Denn neben der herausragenden klinischen Bedeutung umreißt es ein extrem innovationsfreudiges und wissenschaftsaffines Feld unseres Faches. Biomedizin und Nanotechnologie finden hier in der Materialentwicklung, in der Bioadhäsionsforschung und in der regenerativen Zahnmedizin im weitesten Sinne ein reiches Betätigungsfeld.zm: Herr Dr. Fedderwitz, wie richtet sich die Vertragszahnärzteschaft strategisch für die nächsten Jahre aus?Fedderwitz:Auf der letzten KZBV-Vertreterversammlung im Juni in Dresden haben wir die politischen Positionierungen für die kommenden Jahre, auch im Hinblick auf das Wahljahr 2013, andiskutiert, die auf der VV zum Deutschen Zahnärztetag auf Basis der Beschlüsse in Dresden weiter mit Inhalten gefüllt werden sollen. Die Beratungen werden in ein Positionspapier münden, das die Weiterentwicklung unserer Perspektive Mundgesundheit darstellt. Die Weichenstellungen für die nächste Legislaturperiode werden jetzt gestellt. Wie Dr. Engel ja schon sagte, geht es um nicht mehr und nicht weniger als um die zukünftige Struktur unseres Gesundheitswesens. Wir stecken in nach wie vor in dem bekannten Dilemma:Einerseits will die Gesellschaft die bestmögliche Gesundheitsversorgung, andererseits muss die Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems garantiert werden.zm: Und wo liegt der Fokus?

Fedderwitz:Im Mittelpunkt stehen die Belange des Patienten und sein Interesse an einer qualitativ hochwertigen, wohnortnahen zahnmedizinischen Versorgung. Und die Möglichkeit, dass er in der zahnmedizinischen Versorgung zwischen Alternativtherapien frei wählen kann. Dazu brauchter Mündigkeit, um Entscheidungen zu treffen. Wir sind als Anwälte des Patienten gefordert, ihn dabei durch Beratungsangebote zu unterstützen.

Dies lässt sich nur in einem wettbewerblich orientierten System umsetzten. Dazu braucht es keine Einheitsversicherung à la Bürgerversicherung, sondern das geht aus unserer Sicht nur mit einem Wettbewerb zwischen GKV und PKV. Dazu müssen sich beide Systeme weiterentwickeln, auch eine zukunftsfähige PKV muss sich den Herausforderungen stellen und sich reformieren. Wir brauchen keine PKV, die den dualen Weg verlässt und sich immer mehr GKV-Instrumente zu eigen macht. Aber auch die GKV ist auf dem falschen Weg, wenn sie ein gesetzliches Verhandlungsmandat zu privaten Leistungen und das Kippen der GOZ zugunsten einer einheitlichen Gebührenordnung fordert. Wo die GKV kein Payer ist, kann sie auch kein Player sein.zm: Herr Dr. Engel, welche zukünftigen Herausforderungen ergeben sich für die zahnärztlichen Versorgungsstrukturen und für das Behandlungsteam?Engel:Wir müssen den demografischen Wandel im Auge behalten. Menschen werden immer älter, Funktionseinschränkungen und Multimorbidität sind die Folge. Das fordert den Berufsstand in seiner medizinischen wie auch gerodontologischen Kompetenz. Aber nicht nur der Zahnarzt, sondern das gesamte Team ist gefordert. Deshalb hat uns die Bundesversammlung im letzten Jahr den Auftrag mitgegeben, entsprechende Konzepte und Handlungsoptionen zu erarbeiten.zm: Gibt es dazu schon Konkretes?Engel:Ja, ein Memorandum, das die zukünftigen Herausforderungen umreißt und das wir nun sukzessive mit Leben füllen. Der Handlungsrahmen ist weit: Die zahnmedizinische Versorgung ist Bestandteilder medizinischen Grundversorgung der Bevölkerung. Als solche müssen wir uns als Berufsstand auch verstehen. So ergibt sich zum Beispiel erhebliches Verzahnungspotenzial von Zahnärzten mit Ärzten in der Region. Das gilt vor allem für die wohnortnahe Versorgung in der Fläche.

Ein weiteres Feld ist die Fort- und Weiterbildung. Hier sind nicht nur die Hochschulen in der Pflicht, die Forschung speziell für den interdisziplinären Dialog zu erweitern. Auch die Kammern sind gefordert, entsprechende Angebote nicht nur für den Zahnarzt, sondern auch für das Praxisteam anzubieten.zm: Herr Prof. Schliephake, welche Chancen und welche Probleme sehen Sie bei der Förderung des akademischen Nachwuchses?Schliephake:Die Gewinnung und Bindung des medizinischen Nachwuchses allgemein ist ein aktuell in der Presse angesprochenes Problem. Neben der Umkehrung der Angebots- und Nachfragesituation werden Veränderungen in der individuellen Lebensplanung und die damit verbundene Verschiebung der Relativgewichte von Arbeit und Freizeit angeführt. Unabhängig davon wird die Förderung in der Zahnmedizin noch dadurch erschwert, dass das Kapazitätsrecht und die Finanzierung der Stellenkegel in den universitären zahnmedizinischen Zentren eine extreme Belastung durch die Lehre mit sich bringen und somit kaum Freiraum für wissenschaftliche Entwicklung bleibt. Dabei hat es der wissenschaftliche Nachwuchs auf der Sach- und Informationsebene so gut wie kaum eine der vorangegangenen Generationen. Langwierige Literaturrecherchen, die früher Hunderte von ausgefüllten Bibliotheksanforderungen erfordert haben, sind heute in den Literaturdatenbanken von den meisten Universitätsstandorten aus in einem Bruchteil der Zeit durchführbar.zm: Und wo hakt es?

Schliephake:Die strukturellen Voraussetzungen auf dieser Ebene sind wie gesagt gut. Sie bleiben nur wirkungslos, wenn die Köpfe nicht frei für neue Ideen sind, weil schlicht die Zeit zur kreativen Auseinandersetzung fehlt. Zudem haben wir als akademische Lehrer natürlich eine besondere  Verpflichtung, uns selbst in diesen Feldern zu engagieren. Trotz der allgemeinen Diskussionen über die Schwierigkeiten, wissenschaftlichen Nachwuchs zu rekrutieren, bin ich mir sicher, dass der Anteil derer, die für die wissenschaftliche Arbeit zu begeistern sind, nicht kleiner ist als in früheren Jahrgängen. Hierfür spricht, dass wir bei der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft veranstalteten  Nachwuchsakademie Zahnmedizin eine sehr große Zahl an Projektskizzen erhalten haben, die die Forschungsfreude des akademischen Nachwuchses ausdrückt.zm: Herr Dr. Fedderwitz, Alters- und Behindertenzahnheilkunde ist der Zahnärzteschaft gerade auch im Hinblick auf Versorgungsfragen ein zentrales Anliegen  wie ist der Stand der Dinge?

Fedderwitz:Wir haben uns gemeinsam mit der BZÄK mit dem Konzept zur Alters- und Behindertenzahnmedizin zu dem Thema aufgestellt und Lösungen angeboten. Damit waren wir die ersten Heilberufler, die den Mut hatten, die Defizite in der Versorgung dieser Patientengruppe aufzuzeigen und zu thematisieren. Inzwischen können wir eine erste positive Bilanz ziehen. Die Gesundheitspolitik hat den Handlungsbedarf erkannt, das Thema ist verankert, das Kürzel AuB ist dort ein Begriff. Im Versorgungsstrukturgesetz wurde eine neue Leistungsposition für die aufsuchende zahnmedizinische Betreuung beschlossen. Im Pflegeneuausrichtungsgesetz ist eine weitere kleine Verbesserung vorgesehen, was die Versorgung in stationären Einrichtungen betrifft. Doch das reicht nicht aus.Was fehlt, ist der Einstieg in ein konsequentes zahnärztliches Präventionsmanagement mit zusätzlichen vorsorgeorientierten Leistungen für Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderung, ähnlich der Betreuung, wie wir sie aus der Betreuung von Kindern und Jugendlichen kennen. Die Umsetzung unseres Gesamtkonzepts Mundgesund trotz Handicap und hohem Alter ist und bleibt unsere zentrale Forderung an die Politik.zm: Herr Dr. Engel, mit welchen konkreten Handlungsfeldern muss sich der Berufsstand derzeit beschäftigten?

Engel:Herr Dr. Fedderwitz ist ja bereits auf das sogenannte AuB-Konzept eingegangen. Der Bedarf zur Betreuung alter und behinderter Patienten ist erkannt und es gibt viel ehrenamtliches Engagement in Form von Modellprojekten. Was aber fehlt, sind die entsprechenden Rahmenbedingungen. Wir setzen uns gemeinsam mit der KZBV stark dafür ein, diese bei der Politik einzufordern, damit die notwendigen Gesetzesinitiativen in die Wege geleitet werden.

Ein weiteres Feld sind die Gesundheitsfachberufe. Wir brauchen gut ausgebildetes Praxispersonal und müssen mit fundierten Strategien dem drohenden Fachkräftemangel entgegenwirken. Hier sind auch die Kammern gefragt. Mit Aufmerksamkeit betrachten wir die wachsende Akademisierung der Gesundheitsfachberufe. Der Trend ist nicht mehr rückgängig zu machen und wir können uns dieser neuen Entwicklung gegenüber nicht versperren. Doch wir müssen dem kluge Konzepte entgegenstellen. Aus zahnärztlicher Sicht ist die Trennung von Substitution und Delegation strikt einzuhalten, unser Delegationsrahmen gibt da klare Regeln vor.

Kluge Strategien braucht es im Übrigen auch für die wachsenden Herausforderungen aus Europa. Sei es die Revision der Berufsanerkennungsrichtlinie oder die geplante Revision der Richtlinie für Abschlussprüfungen  unser Anliegen ist stets, Überregulierungen zu vermeiden, die besonderenBelange des zahnärztlichen Berufsstands und der Freien Berufe zu wahren und die Freiberuflichkeit zu stärken.

zm: Herr Dr. Fedderwitz, welche konkreten Herausforderungen sehen Sie derzeit im vertragszahnärztlichen Bereich?

Fedderwitz:Mit der demografischen Entwicklung werden wir es künftig mehr mit altersbedingten Krankheitsbildern wie Wurzelkaries und Parodontalerkrankungen zu tun haben. Fest steht, dass wir hier eine Unterversorgung haben, und genauso klar ist auch, dass die in der GKV angebotene Therapie dazu nicht mehr zeitgemäß ist. Hier herrscht Handlungsbedarf, und die Politik hat uns aufgefordert, diese Defizite anzugehen.

Qualitätssicherung ist eine weitere originäre Aufgabe des Berufsstands. Wir wollen Qualität fördern, aber mit sektorspezifischen, sinnvollen Maßnahmen. Und das Streben nach mehr Qualität sollte die Praxen nicht mit zusätzlicher Bürokratie belasten.

zm: Und wie steht es mit der Prävention?

Fedderwitz:Wir wollen unsere Präventionsstrategie mit Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention weiter ausbauen. Ein weiteres Augenmerk gilt der Kariesentwicklung bei Kindern, vor allem bei den Risikogruppen, und der Entstehung von Karies im frühkindlichen Alter. Vor allem in den ersten drei Jahren passiert präventionsbezogen zu wenig. Wir fordern eine systematische Betreuung durch den Zahnarzt schon mit dem Durchbruch des ersten Zahnes und sind mit den relevanten Gremien im Gespräch, um hierzu ein Gesamtkonzept zu erarbeiten.zm: Herr Prof. Schliephake, vor dem Hintergrund der Debatte um die neue Zahnärztliche Approbationsordnung wurde inzwischen der Nationale kompetenzbasierte Lernzielkatalog Zahnmedizin (NKLZ) auf den Weg gebracht. Wie ist hier der Stand der Dinge, und welche Perspektiven ergeben sich daraus für die Lehre und für die Praxis?Schliephake:Zur Einordnung ist der Zusammenhang mit der neuen zahnärztlichen Approbationsordnung wichtig, deren Inhalt der Lernzielkatalog in den insgesamt 23 Arbeitspaketen in Form von Lernzieldefinitionen widerspiegelt. Der Zeitplan ist sehr ambitioniert: Die Ziele sollen bis zum Herbst dieses Jahres vorliegen und in einer abschließenden Konsensuskonferenz im Mai 2013 verabschiedet werden. Die Entwicklung findet parallel zum Nationalen kompetenzbasierten Lernzielkatalog der Medizin statt. Hier werden durch Querverweise und Koordinierungsgespräche medizinische Inhalte in die Zahnmedizin transferiert und umgekehrt. Es findet also schon im Bereich der universitären Lehre eine enge Verbindung der Zahnmedizin mit der Medizin statt. Darüber hinaus erlaubt die Definition von Lernzielen eine gewisse Flexibilität bei der Gestaltung des Lehrplans, der ja in der neuen Approbationsordnung bewusst weniger restriktiv definiert worden ist als in der alten.

In der Summe ergibt sich eine grundlegend reformierte Lehre unseres Faches, die interdisziplinäres Denken fördert und moderne wissenschaftlich fundierte Konzepte für die spätere praktische Tätigkeit vermittelt. Wir müssen uns allerdings klar darüber sein, dass auch mit dem neuen Lernzielkatalog der Wissensvermittlung innerhalb der gegebenen Zeit von fünf Jahren und 5000 Stunden Grenzen gesetzt sind und nicht alles verfügbare Wissen in jedem Spezialgebiet in dieser Zeit vermittelbar ist.Die Fragen stellte Gabriele Prchala.

INFO

Deutscher Zahnärztetag

Der Deutsche Zahnärztetag ist das zentrale Großereignis des zahnärztlichen Berufsstands. Mit der Verzahnung von Standespolitik, Wissenschaft und Praxis präsentieren die drei durchführenden Organisationen BZÄK, KZBV und DGZMK ein Konzept, das der Zahnärzteschaft eine merkliche Wirkung in der Fachwelt verschafft und auch in der Politik auf Aufmerksamkeit stößt. Der Event wird getragen von einer gemeinsamen Eröffnungsveranstaltung und Pressekonferenz, der KZBV-Vertreterversammlung, der BZÄK-Bundesversammlung und dem wissenschaftlichen Kongress der DGZMK. Von allen Veranstaltungen werden Botschaften in die Öffentlichkeit getragen.

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