Gastkommentar

Über den Geldbeutel

Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr will Ärzte an Schulen schicken, um Kinder regelmäßig zu untersuchen. Die Vorsorge soll verhindern, dass aus kleinen Fehlentwicklungen große gesundheitliche Probleme werden. Während es im Kleinkind- und im Vorschulalter ein engmaschiges Netz an mehr oder weniger verbindlichen Vorsorgeuntersuchungen gibt, klafft zwischen dem fünften und dem elften Lebensjahr eine Lücke. Erst in der siebten oder achten Klasse sind wieder verpflichtende Schuluntersuchungen vorgesehen. Doch dann sind die Weichen für Übergewicht oder chronische Haltungsschäden oft längst gestellt. Bahr tut deshalb Recht daran, den Vorsorgegedanken im Gesundheitswesen zu stärken. Viele Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Rückenleiden oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursachen von Jahr zu Jahr höhere Kassenausgaben. Fehlende Bewegung und falsche Ernährung sind die Hauptursachen dieser Kostenlawine. Da viele chronische Krankheiten durch eine gesündere Lebensweise vermeidbar wären, sind höhere Investitionen in die Prävention zweifelsohne gut angelegtes Geld. Vorbild für Bahrs Pläne ist die bewährte Praxis in der Zahnmedizin. Hier ist es gelungen, mit einem umfänglichen Angebot an Vorsorgemaßnahmen die Mundgesundheit deutlich zu verbessern. Angefangen von den Fluortabletten für Säuglinge über den Zahnputzunterricht in den Kindergärten bis hin zu den Reihenuntersuchungen in der Schule reicht die Prävention im Kindesalter. Ein wichtiges Instrument, um den Vorsorgegedanken auch bei den Erwachsenen zu stärken, ist das Bonus-Heft. Wer regelmäßig kontrollieren lässt, wird finanziell belohnt, falls er einmal Zahnersatz benötigt.

Diese Erfahrungen lehren, dass Aufklärung und regelmäßige Untersuchungen allein nicht reichen, um junge Menschen zu einem gesünderen Leben zu bewegen. Nötig sind auch spürbare finanzielle Anreize. Wer seine Zähne sträflich vernachlässigt, weiß, dass er später einen erheblichen Teil der Kosten für Brücken, Kronen oder Implantate aus eigener Tasche zahlen muss. Entsprechend groß ist die Motivation, den Schadensfall zu verhindern. Es kann deshalb auch nicht verwundern, dass Fürsorgeempfänger im Durchschnitt häufiger Karies haben als der Rest der Bevölkerung: Bei Hartz-IV-Empfängern zahlt schließlich die Solidargemeinschaft die Gesamtkosten für Zahnersatz. Die vielen Vorsorgemaßnahmen gehen offenbar ins Leere, wenn man die Versicherten nicht auch am Geldbeutel packt.

Wer zu Verhaltsänderungen motivieren will, sollte deshalb über sinnvolle materielle Anreize oder Sanktionen nachdenken. Es reicht nicht, Übergewichtigen einen Schwimmkurs zu bezahlen oder Bonuspunkte für die Teilnahme an Raucherentwöhnungen zu verteilen. Erst wenn die Patienten einen spürbaren Anteil der vermeidbaren Krankheitkosten selbst tragen müssen, werden sie der Prävention den verdienten Stellenwert einräumen. Zweifellos ist es schwierig, überall eine solche Eigenverantwortung durchzusetzen. Man wird keinen Krebskranken zur Kasse bitten, der es versäumt hat, zur Vorsorge zu gehen. Auch das Auskundschaften individueller Lebensstile der Versicherten durch Krankenkassen ist indiskutabel. In einer liberalen Gesellschaft muss es erlaubt sein, selbst zu entscheiden, wie gesund man leben will. Nur die Kosten eines ungesunden Lebenswandels sollte man nicht der Allgemeinheit aufbürden dürfen. Statt im Einzelfall zu prüfen, ob eine Krankheit vermeidbar gewesen wäre, sollte die Selbstbeteiligung so gestaltet werden, dass ihre Steuerungswirkung möglichst groß ist. Wer selten Leistungen in Anspruch nimmt, müsste weniger zahlen als der, der häufig krank ist. Ärztliche Ratschläge würden mehr beachtet, wenn sie mit dem Hinweis verknüpft wären, dass man damit nicht nur sein Wohlbefinden steigern kann, sondern langfristig auch schmerzhafte Kosten vermeidet.

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