Gastkommentar

Sichergestellt

Die per Brief erfolgte Basisbefragung der KBV zum Sicherstellungsauftrag ist für Andreas Mihm, FAZ-Korrespondent in Berlin, nicht nur Meinungsrekrutierung für das Wahljahr 2013, sondern auch die Grundsatzfrage zur Absicherung des KV-Systems.

Nach einem fast 100 Jahre alten Bonmot kauft der deutsche Revolutionär vor der Erstürmung des Zuges eine Bahnsteigkarte. Den Kassenärzten kommt die Revolution im Jahr 2012 mit der Briefpost ins Haus.

Jeder der mehr als 150 000 Haus- und Fachärzte und Psychotherapeuten mit Kassenzulassung hat einen Brief von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) bekommen. Damit der nicht gleich in den Papierkorb wandert, steht in fetten Buchstaben in der Betreffzeile:

„Es geht um Ihre Zukunft – bitte sagen Sie uns Ihre Meinung.“ Denn, so erläutern die beiden KBV-Vorsitzenden Andreas Köhler und Regina Feldmann ein paar Absätze weiter unten: „Die Entscheidung, welche Richtung wir künftig einschlagen, ist so wichtig und grundsätzlich, dass wird sie nicht alleine treffen können.“

Die KBV befragt die Basis. Das alleine ist eine Revolution. Noch nie wurden alle Mediziner direkt nach ihrer Meinung gefragt. Es geht nicht um Lappalien. Das steht schon in der Überschrift: „Befragung zum Sicherstellungsauftrag.“ Es folgen zwei Seiten mit neun knapp gehaltenen Fragen.

Die KBV zeigt der Basis, dass sie ihre Belange ernst nimmt. Damit sucht sie auch den wachsenden Ärger der Ärzte über Therapiebeschränkungen, Honorarfragen, drohende Regresse sowie den wie Unkraut wuchernden Schreibkram (nicht nur) mit den Kassen zu kanalisieren. Allein die Fragen sollen der Basis signalisieren: Wir haben verstanden.

Und die KBV-Chefebene zeigt den KVen mit der Aktion, dass sie gewillt ist, deren Unzufriedenheit an Politik und Kassen weiterzugeben. Köhler sucht so die beachtlichen Fliehkräfte im System zu bändigen, den Druck ihm nicht immer freundlich gesonnener KV-Chefs abzuleiten. Er kann den freien Ärzteverbänden mit der Befragung Entgegenkommen signalisieren, nachdem deren Aktionsdrang bei den Honorarverhandlungen weitgehend ins Leere gelaufen war.

Wonach fragt die KBV? Nach Sein und Nichtsein. Wenn das keine Revolution ist. Ein bisschen hat sie Angst vor der Antwort ihrer aufgebrachten Mitglieder. Denn wer sich das Argumentationsmaterial auf der KBV-Homepage durchliest, der findet kaum Gründe dafür, den Sicherstellungsauftrag abzuschaffen. Was wäre, wenn Staat oder Kassen die Versorgung der Patienten sicherstellen würden? Festanstellung beim Staat oder Rückfall in das Einzelvertragssystem mit den Kassen „wie vor hundert Jahren“, lauten die Antworten. Mal ganz abgesehen davon, dass man den Sicherstellungsauftrag nicht so eben zurückgeben kann. Immerhin ist er den KVen per Gesetz zugeschrieben. Dann doch lieber Antwort zwei auf Frage drei des Fragebogens: Der Sicherstellungsauftrag kann nur beibehalten werden, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt werden.

Die KBV-Vertreterversammlung hat sich darüber schon Gedanken gemacht und sechs Bedingungen genannt, die in den nächsten fünf Jahren erfüllt sein sollen: volle therapeutische Freiheit, feste, kostendeckende Preise, Abschaffung jeder Art von Mengensteuerung, Wiederherstellung der ärztlichen Autonomie in Fragen der persönlichen Qualifikation, Wegfall der Regressandrohung bei veranlassten Leistungen, unbedingter Vorrang der Vertragsärzte in der ambulanten Versorgung (vor den Krankenhäusern).

Die Wunschliste findet sich eins zu eins im Fragebogen wieder. Es sollte mit dem Teufel zugehen, würden die Meinungsforscher von Infas bei der Kategorie „stimme voll und ganz zu“ bei dieser „Ja, aber“-Antwort nicht höchste Zustimmungswerte ermitteln. Damit würden die KBV-Forderungen nach mehr Freiheit und Eigenständigkeit im Wahljahr 2013 gegenüber Politik und Kassen untermauert. Diese Zustimmung zum Systemerhalt wäre eine neuartige und direkte Legitimierung des KV-Systems und seiner Bundesspitze durch die Basis. Denn wer sonst sollte die Änderungen durchsetzen? Sichergestellt wäre nicht nur die Versorgung, sondern auch der Erhalt des KV-Systems.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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