Krankenversicherungsreform in der Schweiz

Gefahr für die freie Arztwahl

In der Schweiz soll in einer Reform der Krankenversicherung die Integrierte Versorgung gesetzlich vorgeschrieben werden. Zahlreiche Ärzte und Patienten sind skeptisch, da sie eine Einschränkung der freien Arztwahl und der Behandlungsfreiheit fürchten. In der Politik ist die Gesetzesvorlage ebenfalls umstritten. Ein Referendum im Sommer könnte die Pläne noch zu Fall bringen.

Managed-Care-Modelle sollen in der Schweiz zur Regel werden. Nach einer Gesetzesvorlage des Schweizerischen Nationalrats – der großen Kammer des Parlaments – soll die Integrierte Versorgung (IV) in den nächsten drei Jahren flächendeckend etabliert werden. Ziel der Reform des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) ist es, das Gesundheitswesen effizienter und kostengünstiger zu machen. Auch soll es künftig in jeder Region mindestens ein IV-Angebot geben. Die Versorgungsnetze sollen vor allem chronisch kranken Patienten zugutekommen.

Die Kostensenkungen sollen gelingen, indem alle an einem IV-Modell beteiligten Ärzte mitverantwortlich für die Einhaltung des mit den Krankenversicherungen vereinbarten Budgets sind. „Überschreitet ein Modell sein Budget, müssen sich Ärzte und Versicherer den Verlust teilen“, erläutert Dr. Daniel Bracher, Präsident der Vereinigung freie Arztwahl und Mitglied der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH). Beide Gruppierungen stehen den Plänen kritisch gegenüber.

„Die Ärzte werden unter dem Budgetzwang ihre Behandlungsfreiheit einbüßen“, fürchtet Bracher. Zudem sei bislang nicht bewiesen, dass Versorgungsnetze Qualitätsverbesserungen bringen. Stattdessen sei davon auszugehen, dass es zu einer verdeckten Rationierung von Leistungen kommt, prophezeit Bracher. Der ehemalige Pädiater fordert daher mehr Transparenz über Kosten und Leistungen im Gesundheitswesen statt gesetzlich vorgeschriebene Effizienzsteigerungen.

Als weiteren Kritikpunkt führt Bracher die Einschränkung der freien Arztwahl an. Darüber hinaus werde auch die Wahl eines Krankenhauses oder eines Pflegeheims ein geschränkt, da die Netze Exklusivverträge mit entsprechenden Einrichtungen abschließen könnten, so der Arzt.

Dafür sein ist billiger

Das Parlament will gleichwohl niemanden zur Teilnahme an einem Managed-Care-Modell zwingen. Ärzte und Patienten sollen sich freiwillig entscheiden können. Allerdings soll es für Patienten, die lediglich eine Standardversorgung wünschen, künftig teurer werden. Statt der bislang üblichen 700 Franken Selbstbehalt pro Jahr kämen auf sie dann bis zu 1 000 Franken zu. Patienten, die sich für ein IV-Netz einschreiben, müssten dagegen nur maximal 500 Franken jährlich zuzahlen.

Wer vorzeitig aus einem Modell aussteigen will, soll ebenfalls zur Kasse gebeten werden. Den Plänen des Nationalrats zufolge sollen die Verträge zwischen Kassen und Leistungserbringern eine Laufzeit von bis zu drei Jahren haben dürfen. Die IV-Verträge sollen Leistungen der obligatorischen Krankenversicherung und eventuell darüber hinausgehende Leistungen abdecken. Die Verträge sollen in erster Linie die Zusammenarbeit, die Qualitätssicherung sowie den Datenaustausch und die Vergütung der Leistungen regeln. Bei gesundheitlichen Problemen sollen sich die Patienten immer zuerst von ihrem frei wählbaren Netzarzt beraten lassen.

Interdisziplinär ist besser

Erfahrene Netzärzte begrüßen die Vorlage. „Viele Probleme, insbesondere von chronisch kranken Patienten, lassen sich nur im interdisziplinären Austausch lösen“, meint beispielsweise Dr. Alexander Weymann-Schörli, Vizepräsident des Verbands Schweizer Ärztenetze medswiss.net. Der leitende Radiologe vom Kantonsspital Frauenfeld im Kanton Thurgau sieht auf die Ärzte auch keine eingeschränkte Behandlungsfreiheit zukommen. „Das Gesetz lässt völlig offen, wie die Verträge zwischen den Leistungserbringern und den Versicherern ausgestaltet werden.“ Weymann-Schörli hält eine gesetzliche Verankerung von Managed-Care-Modellen zudem für sinnvoll, da sich die Integrierte Versorgung nur so flächendeckend vorantreiben ließe. Bislang verstünden sich noch zu wenige Ärzte in der Schweiz als Teamplayer.

Der Verabschiedung der Reformvorlage durch den Bundesrat waren jahrelange Debatten vorausgegangen. Zwischen den politischen Parteien herrscht auch nach wie vor kein Konsens über die Pläne. So moniert die Sozialdemokratische Partei beispielsweise, dass die Gesetzesvorlage der Zwei-Klassen-Medizin Vorschub leisten werde. Die FDP hingegen befürchtet, dass eine Ablehnung der Pläne die Finanzierungsprobleme im Schweizer Gesundheitssystem vergrößern werde.

FMH-Mitglied Bracher prophezeit dagegen, dass es zu Wettbewerbsverzerrungen kommen wird. „Die Vorlage belohnt ausschließlich Managed-Care-Netzwerke mit Budgetverantwortung – auch jene, die schlecht arbeiten. Hausarztmodelle und andere Formen der Integrierten Versorgung ohne Budgetmitverantwortung werden hingegen benachteiligt.“

Zustimmung ist ungewiss

In der Bevölkerung stößt das Gesetzesvorhaben ebenfalls nicht auf ungeteilte Zustimmung. Zwischen Mitte Oktober 2011 und Mitte Januar 2012 kamen mehr als 130 000 Unterschriften für ein Referendum zusammen, das die Vorlage noch kippen könnte. Eine entsprechende Volksabstimmung ist für den 17. Juni 2012 geplant. Sollte sich die Schweizer Bevölkerung tatsächlich gegen das Gesetz aussprechen, wäre die Reform vorerst jedenfalls gescheitert. Integrierte Versorgungsmodelle wird es dann zwar weiterhin geben, aber ohne umfassende gesetzliche Regelung.

Petra SpielbergAltmünsterstr. 165207 Wiesbaden

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